BVerfG zu Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht: Uner­weis­liche Tat­sa­chen­be­haup­tung kann erlaubt sein

09.08.2016

Ein Dopingexperte erhebt schwere Vorwürfe gegen eine Sportlerin der DDR: Ihr seien bereits mit 13 Jahren Dopingmittel verabreicht worden. Beweisen kann er das nicht. Behaupten darf er es vielleicht trotzdem, so das BVerfG.

Im Streit um Doping-Vorwürfe gegen die frühere Leichtathletin Grit Breuer hat der Heidelberger Professor für Zell- und Molekularbiologie Werner Franke vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) einen späten Erfolg erzielt. Die Gerichte hätten Franke bestimmte Behauptungen über Breuer nicht ohne Weiteres verbieten dürfen, entschieden die Karlsruher Richter. Indem sie dies taten, hätten sie den heute 76-jährigen Doping-Experten in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit verletzt.

Franke hatte in einem Prozess gegen Breuers ehemaligen Trainer Thomas Springstein zu Protokoll gegeben, die Sportlerin habe von diesem in der DDR mit 13 Jahren das Mittel Oral-Turinabol bekommen. Das gab er auch an die Presse weiter. Breuer klagte mit Erfolg auf Unterlassung: Weil Franke die Vorwürfe nicht beweisen konnte, stufte das Landgericht Hamburg die Behauptung 2011 als "prozessual unwahr" ein und verurteilte ihn zur Unterlassung. Das OLG Hamburg bestätigte diese Entscheidung.

"Prozessuale Unwahrheit" überwiegt nicht automatisch

Die Urteile verletzen den Professor in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz (GG), entschieden die Karlsruher Verfassungsrichter. Die pauschale Auffassung der Gerichte, dass Breuers Persönlichkeitsrecht Frankes Meinungsfreiheit schon deshalb überwiege, weil dessen Vorwürfe sich im Prozess nicht hatten beweisen lassen, sei verfassungsrechtlich nicht tragfähig.

Bei Tatsachenbehauptungen, die weder erweislich wahr noch erweislich unwahr seien, müsse vielmehr ein Ausgleich zwischen Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit geschaffen werden. Die Zivilgerichte stellten einen solchen Ausgleich mittels der Prüfung her, ob die Äußerung durch die Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB) gerechtfertigt ist. Hiernach kann unter bestimmten Umständen auch eine möglicherweise unwahre Behauptung denjenigen, die sie aufstellen oder verbreiten, nicht untersagt werden, sofern sie im Vorfeld hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt haben.

Hinweis auf Nichterweislichkeit kann erforderlich sein

Der Umfang der Recherchepflicht richte sich danach, wie schwerwiegend die erhobenen Vorwürfe seien und falle für Äußerungen der Presse strenger aus als für solche von Privatpersonen. Bei äußerungsrechtlichen Unterlassungsbegehren könne die Wahrheitspflicht unter Umständen auch über die Verpflichtung hinausgehen, alle Nachforschungsmöglichkeiten auszuschöpfen. Wenn die Wahrheit einer persönlichkeitsverletzenden Behauptung sich nicht erweisen lasse, sei es dem Äußernden zumutbar, auch nach Abschluss umfassender Recherchen kenntlich zu machen, wenn seine Behauptungen durch das Ergebnis eigener Nachforschungen nicht gedeckt sind oder kontrovers beurteilt werden.

Für den Fall, dass Franke – was nun zu ermitteln ist - seiner Recherchepflicht hinreichend nachgekommen ist, könne die Abwägung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht ergeben, dass er seine Behauptungen in gewissem Umfang - möglicherweise mit präzisierenden Zusätzen - wird aufrechterhalten dürfen, entschied das BVerfG.

acr/LTO-Redaktion

Mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

BVerfG zu Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht: . In: Legal Tribune Online, 09.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20244 (abgerufen am: 12.12.2024 )

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