Nach BVerfG-Entscheidung zu Rundfunkbeitrag: Leidet das Ver­fahren an einem "Demo­k­ra­tie­pro­blem"?

05.08.2021

Nicht nur Vertreter des öffentlichen Rundfunks, sondern auch Politiker und Politikerinnen verbuchten das Urteil des BVerfG zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags als Erfolg. Doch es gab auch Kritik.

Der Erfolg der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ARD, ZDF und Deutschlandradio vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) löste einige Reaktionen in der Politik aus, vor allem in Sachsen-Anhalt. Das Land habe die Rundfunkfreiheit im Grundgesetz verletzt, weil es einem Staatsvertrag nicht zugestimmt habe, entschied das Karlsruher Gericht am Donnerstagmorgen (Beschl. v. 20.07.2021, Az. 1 BvR 2756/20 u.a.) . Bis es eine Neuregelung gibt, steigt der Beitrag rückwirkend seit 20. Juli um monatlich 86 Cent auf 18,36 Euro.

Wie erwartet zeigten sich die Vorsitzenden der drei beschwerdeführenden Rundfunkanstalten erfreut über ihren Erfolg in Karlsruhe. "Der klare Beschluss der Karlsruher Richter bestätigt und stärkt die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks", erklärte der ZDF-Intendant Thomas Bellut am Donnerstag. Dem ARD-Vorsitzenden und Intendanten des WDR Tom Buhrow zufolge versetzt die Entscheidung die ARD in die Lage, in den kommenden Jahren weiter das bestmögliche Programm für die Menschen zu machen.

Laut Deutschlandradio-Intendant Stefan Raue handelt es sich um eine "bedeutende Entscheidung für die Rundfunkfreiheit in unserem Land". Das Bundesverfassungsgericht habe in beeindruckender Deutlichkeit den Wert eines staatsfern organisierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks betont. Medienpolitische Erwägungen und Finanzierungsfragen dürften nicht verknüpft werden, erklärte Raue. Das ZDF kündigte zudem bereits an, zusammen mit ARD, Deutschlandradio und dem Beitragsservice die Umsetzung des Gerichtsbeschlusses vorzubereiten.

Doch in den Reihen der Politik spalten sich die Meinungen in Bezug auf den Beschluss vor allem in Sachsen-Anhalt. Schließlich war es auch Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), der den Gesetzentwurf im Dezember vor der Abstimmung im Landtag zurückgezogen hatte, weil sich abzeichnete, dass seine Partei - anders als die Koalitionspartner SPD und Grüne - die Erhöhung nicht mittragen würden. Und mit der AfD, die als Kritikerin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bekannt ist, wollte der Regierungschef keine gemeinsame Sache machen. Weil aber alle 16 Landesparlamente zustimmen müssen, ist die Erhöhung somit blockiert und der öffentlich-rechtliche Rundfunk zog vor das BVerfG. Die schwarz-rot-grüne Landesregierung von Sachsen-Anhalt war an dem Streit über die Erhöhung Ende des vorigen Jahres beinahe zerbrochen.

Kritik in Sachsen-Anhalt

So begrüßten die Grünen in Sachsen-Anhalt die Entscheidung des BVerfG zur Erhöhung des Rundfunkbeitrags und kritisierten im selben Atemzug den früheren Koalitionspartner CDU scharf für dessen Medienpolitik. "Die CDU hat den Rundfunkanstalten aber auch dem Land Sachsen-Anhalt mit ihrem unverantwortlichen und eigenmächtigen Handeln, die Anpassung des Rundfunkbeitrags abzulehnen, immens geschadet", teilte Grünen-Fraktionschefin Cornelia Lüddemann nach der Entscheidung mit. "Ich begrüße sehr, dass das Bundesverfassungsgericht im Sinne der Sender geurteilt hat und deren Unabhängigkeit damit sichert."

Die Linke in Sachsen-Anhalt warf der geschäftsführenden Landesregierung verfassungswidriges Verhalten vor. "Das heute veröffentlichte Urteil ist eine deutliche Ohrfeige für die immer noch geschäftsführende Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt", teilte Linken-Fraktionschefin Eva von Angern am Donnerstag mit. "Das Urteil macht noch einmal deutlich, dass hier sehenden Auges Verfassungsbruch durch die Koalition aus CDU, SPD und Grünen begangen wurde, nur um den Leuten vorzugaukeln, dass eine Erhöhung des Rundfunkbeitrags von 86 Cent verhindert werden könnte." Leidtragende seien nun die Beitragszahler.

Das sieht die AfD in Sachsen-Anhalt anders. Sie übte harsche Kritik an der Entscheidung, das Urteil sei "zutiefst undemokratisch", weil es die Mitbestimmung der Länder bei der Festsetzung des Beitrages aushebele, findet der Parteivorsitzende Tino Chrupalla. Es sei Zeit für die Umwandlung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in ein Bezahlmodell. "Jeder Bürger soll frei entscheiden können, ob er das Programm ganz oder teilweise abonnieren will", sagte Chrupalla, der gemeinsam mit Alice Weidel das Spitzenduo der AfD für die Bundestagswahl bildet.

Die Begründung des BVerfG, Sachsen-Anhalt habe durch die unterlassene Zustimmung zum Ersten Medienstaatsvertrag die Rundfunkfreiheit verletzt, wirke außerdem als "Freifahrtschein für eine weitere Ausweitung der Ausgaben für immer neue Sender und Sendeformate des öffentlich-rechtlichen Rundfunks", monierte Chrupalla.

Haseloff sieht ein "Demokratieproblem"

Reiner Haseloff selbst indes verteidigte sein damaliges Vorgehen. Allein die Debatte um die Erhöhung habe bei den Sendern schon positive Veränderungen gebracht, sagte der amtierende Ministerpräsident am Donnerstag in Magdeburg.

So hätten die Anstalten etwa bei der Verteilung von Gemeinschaftseinrichtungen als auch in der Programmplanung Ostdeutschland zuletzt deutlich mehr Raum gegeben. Kritiker der Beitragserhöhung hatten unter anderem bemängelt, dass der Osten vor allem bei ARD und ZDF zu selten vorkomme. "Es hat sich sehr sehr viel in Bewegung gesetzt und ist auf dem richtigen Wege", meinte Haseloff.

Er respektiere die Entscheidung des Gerichts, sagte der Regierungschef und betonte die hohe Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Haseloff bedauerte allerdings, dass die Karlsruher Richterinnen und Richter kein neues Verfahren für die Festlegung der Beitragshöhe vorgegeben hätten. So bleibe unklar, was passiert, wenn die KEF einen bestimmten Finanzbedarf ermittelt, den die Landtage dann nicht akzeptieren würden. Die Parlamente seien immerhin frei in ihrer Entscheidung. "Das ist ein Demokratieproblem, was wir hier haben, das nicht aufgelöst ist."

dpa/pdi/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Nach BVerfG-Entscheidung zu Rundfunkbeitrag: Leidet das Verfahren an einem "Demokratieproblem"? . In: Legal Tribune Online, 05.08.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45658/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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