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BVerfG lehnt Eilantrag ab: Vorab-Verbot von Corona-"Spa­zier­gängen" ver­fas­sungs­widrig?

von Dr. Markus Sehl

31.01.2022

Polizisten stehen neben Teilnehmern einer Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen. am 29.1.2022 in Freiburg.

Das BVerfG beschäftigte sich mit einem Fall aus Freiburg. Dort fanden bereits andere Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen statt. Foto: picture alliance/dpa | Philipp von Ditfurth

Die "Montagsspaziergänge" und die Reaktionen durch Städte und Gemeinden haben das BVerfG erreicht. Fürs Erste stellte die Kammer nur eine Folgenabwägung im Versammlungsrecht an. Die entscheidende Rechtsfrage bleibt offen.

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Können Städte und Gemeinden vorab unangemeldete Versammlungen gegen die Corona-Politik verbieten? Diese Frage hat nun auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erreicht. Einen Eilantrag gegen das präventive Verbot von sogenannten "Montagsspaziergängen" in Baden-Württemberg hat die 1. Kammer des Ersten Senats beim BVerfG abgelehnt (Beschl. v. 31.01.2022, Az. 1 BvR 208/22).

Der Eilantrag gehört zur Verfassungsbeschwerde eines Bürgers, der sich gegen die Allgemeinverfügung und zwei Gerichtsentscheidungen dazu wehrt. Sowohl das Verwaltungsgericht (VG) Freiburg als auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hatten Eilanträge gegen eine Freiburger Allgemeinverfügung, die entsprechende Versammlungen untersagte, Ende Januar zurückgewiesen. Die Verfügung sei voraussichtlich rechtmäßig.

Die Stadt Freiburg hatte diese am 7. Januar 2022 erlassen. Sie gilt vorerst bis zum 31. Januar und untersagt "alle mit generellen Aufrufen zu 'Montagsspaziergängen' oder 'Spaziergängen' in Zusammenhang stehenden, nicht angezeigten und nicht behördlich bestätigten Versammlungen und Ersatzversammlungen auf der Gemarkung der Stadt Freiburg i. Br. unabhängig vom Wochentag und unabhängig davon, ob einmalig oder wiederkehrend stattfindend".

Ähnlich gehen andere deutsche Kommunen seit Ende Dezember 2021 vor. Sie sehen sich insbesondere damit konfrontiert, dass Versammlungen die Anmeldungen bei der Versammlungsbehörde umgehen wollen. Damit entziehen die Gruppen den Städten und Gemeinde die Möglichkeit, konkrete Versammlungen wegen zu erwartender Verstöße gegen Versammlungsrecht als ultima ratio zu verbieten bzw. zumindest mit Auflagen zu versehen. Den Behörden fehlt damit auch der Anfasser im Vorfeld für eine verwaltungsrechtliche Bearbeitung, am Ende steht die Polizei dann vor Ort den Versammlungen gegenüber - und zwar regelmäßig ohne zu wissen, wer für die Versammlungen als Anmelder verantwortlich ist.

"Eine verfassungsrechtlich offene Frage"

Im Eilrechtsschutzverfahren kann das BVerfG eine vorläufige Regelung anordnen – könnte also in diesem Fall etwa die Allgemeinverfügung außer Kraft setzen – wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile geboten ist. Also vor allem dann, wenn die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache absehbar Erfolg haben würde. Die Rechtsfrage, ob pauschale Versammlungsverbote per Allgemeinverfügung eigentlich mit der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Grundgesetz vereinbar sind, ist, so die Kammer, "eine verfassungsrechtlich offene Frage, deren Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss".

Ausdrücklich verweisen die Richterin Britz, sowie die Richter Harbarth und Radtke auf Entscheidungen des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH) und des VG Stuttgart - die jeweils zu unterschiedlichen Einschätzungen kamen. Der BayVGH änderte die Vorentscheidung des VG München ab, das Vorab-Verbot per Allgemeinverfügung der Stadt München sei rechtmäßig. Dagegen hielt das VG Stuttgart ein in Bad Mergentheim durch Allgemeinverfügung erlassenes präventives Verbot von sogenannten Corona in einem Eilverfahren für voraussichtlich verfassungswidrig – und traf eine einstweilige Regelung.

Risikoeinschätzung der Behörde und der Gerichte nicht offensichtlich fehlerhaft

In dem Verfahren vor dem BVerfG fällt die Folgeabwägung aus Sicht der Kammer gegen den Antragssteller aus. Die Erwägungen des VG und des VGH seien nicht offensichtlich fehlerhaft. Die hatten sich darauf gestützt, dass die "Montagsspaziergänge" nicht angemeldet würden, um vorbeugende Auflagen zu umgehen und es zu vermeiden, Verantwortliche sowie Ordner zu benennen.

Die Gerichte hätten, so die Kammer des BVerfG, auch annehmen dürfen, dass wer zu solchen "Spaziergängen" aufruft oder an ihnen teilnehmen will, überwiegend nicht dazu bereit sein wird "versammlungspolizeiliche, dem Infektionsschutz dienende Auflagen, wie insbesondere das Tragen von Masken oder das Einhalten von Abständen", zu beachten. Die Gerichte hätten sich auch auf ihre Vorerfahrungen mit zwei "Montagsspaziergängen" in Freiburg stützen dürfen. Und diese hätten die Annahmen zu Verstößen belegt.

Zum Nachteil des Beschwerdeführers falle insbesondere ins Gewicht, so die Kammer, dass durch die Gestaltung als "Spaziergang" eine Vorfeldkooperation und damit grundrechtsschonendere Maßnahmen gezielt ausgehebelt wurden – was dem Beschwerdeführer gerade bewusst war.

Der abgewiesene Eilantrag ist mit einem anhängigen Hauptsachverfahren verbunden. Das BVerfG könnte also in absehbarer Zeit Gelegenheit bekommen, sich mit der Rechtsfrage noch einmal grundsätzlich zu beschäftigen.

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BVerfG lehnt Eilantrag ab: . In: Legal Tribune Online, 31.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47380 (abgerufen am: 11.11.2025 )

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