BVerfG zum "Recht auf Vergessen": Ver­dachts­be­rich­t­er­stat­tung bleibt online ver­fügbar

30.07.2020

War eine Verdachtsberichterstattung zulässig, muss der Presseartikel nur in Ausnahmefällen nachträglich gelöscht oder verändert werden. Das BVerfG hat die Pressefreiheit hochgehalten und zum "Recht auf Vergessen" konkretisiert.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit nun veröffentlichtem Beschluss noch einmal betont, dass eine zulässige Verdachtsberichterstattung auch die langfristige Archivierung im Online-Archiv einer Zeitung im Normalfall rechtfertigt (Beschl. v. 07.07.2020 Az. 1 BvR 146/17). Die Richter haben eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen die zivilgerichtliche Zurückweisung eines Löschungsbegehrens gegenüber einem Pressearchiv richtete, nicht zur Entscheidung angenommen. 

Die zweite Kammer des Ersten Senats hat für Fälle von Verdachtsberichterstattung festgehalten, dass es entscheidend ist, ob die ursprüngliche Berichterstattung zulässig war. Entspricht ein Presseartikel den gesteigerten Anforderungen der Verdachtsberichterstattung, so könnten Löschungs-, Auslistungs- oder Nachtragsansprüche nur in Ausnahmefällen geltend gemacht werden. 

Hintergrund der Entscheidung ist der Fall eines Unternehmensberaters, der 2007 unter anderem die Firma Siemens beraten hatte. Die Europaausgabe einer englischsprachigen Tageszeitung hatte damals über den Verdacht berichtet, der Unternehmensberater habe für Siemens Bestechungsgelder in großem Umfang an potenzielle Kunden gezahlt. Mit dem Argument, dass damals nicht einmal ein förmliches Ermittlungsverfahren eröffnet worden war, verlangte der Berater, dass die Berichte, die noch immer online verfügbar sind, zu löschen oder zumindest einen Nachtrag in diesen anzufügen. Mit diesem Begehren war er bereits vor den Zivilgerichten gescheitert. Die hielten dem klagenden Mann entgegen: Die Berichterstattung sei, als sie veröffentlich wurde, zulässig gewesen, es habe ein erhebliches Interesse der Öffentlichkeit an den Bestechungsvorwürfen in Millionenhöhe gegeben. Entsprechend dürften sie auch - unverändert - online vorgehalten werden.

Nachtragsanspruch nur, wenn sich die Sachlage zwischenzeitlich deutlich verändert hat

Das BVerfG hat unter Verweis auf seine Entscheidungen zum "Recht auf Vergessen" festgehalten, dass ein zulässiger Bericht das berechtigte gesteigerte Interesse der Presse begründe, diesen auch ohne Änderungen dauerhaft öffentlich verfügbar zu halten. Ist die Presse zum Zeitpunkt der Veröffentlichung korrekt vorgegangen, so könne sie verlangen, sich mit dem Thema nicht nachträglich erneut befassen zu müssen, so die Richter. 

Außerdem haben die Richter klargestellt, dass ein Nachtragsanspruch nicht allein dadurch begründet werden kann, dass strafrechtliche Ermittlungen gar nicht aufgenommen oder eingestellt worden sind. Denn hierfür könnten auch Gründe wie etwa Beweisnot vorliegen, die den Verdacht an sich aber nicht entkräften würden. Erforderlich für einen Nachtragsanspruch sei vielmehr, dass sich die Sachlage in der Zwischenzeit deutlich geändert hat, wie es zum Beispiel im Falle eines Freispruchs der Fall sei.

Entscheidend war für die Verfassungsrichter auch der Umstand, dass der Name des Beraters nicht mit hoher Priorität kommuniziert wurde und unvoreingenomme Dritte bei einer Internetrecherche nicht in unzumutbarer Weise einfach auf den Bericht stoßen. 

vbr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG zum "Recht auf Vergessen": . In: Legal Tribune Online, 30.07.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42356 (abgerufen am: 01.10.2024 )

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