Wer in Mecklenburg-Vorpommern einen Windpark betreiben will, muss die Anwohner finanziell beteiligen. Laut BVerfG ist das ein schwerwiegender Eingriff in die Berufsfreiheit, der aber wegen des Gemeinwohlziels Klimaschutz gerechtfertigt ist.
Das Mecklenburg-Vorpommersche Gesetz über die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie Gemeinden an Windparks (Bürger- und Gemeindenbeteiligungsgesetz - BüGembeteilG) ist ganz überwiegend mit dem Grundgesetz vereinbar. Dies hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit einem am Donnerstag veröffentlichten Beschluss entschieden (Beschl. v. 23.03.2022, Az. 1 BvR 1187/17).
Ein Windenergie-Unternehmen hatte wegen einer bundesweit bislang einmaligen Regelung in Mecklenburg-Vorpommern Verfassungsbeschwerde erhoben. Dort sind Betreiber seit 2016 verpflichtet, beim Bau neuer Windparks an Land eine Projektgesellschaft zu gründen und mindestens 20 Prozent der Anteile den Anwohnerinnen und Anwohnern sowie den Kommunen anzubieten. Ein Anteil darf maximal 500 Euro kosten. Alternativ können die Gemeinden eine jährliche "Ausgleichsabgabe" bekommen und die Bürgerinnen und Bürger ein risikoärmeres Sparprodukt wie eine Festgeldanlage. Hier sind Höhe und Verzinsung jeweils an den Ertrag der Gesellschaft gekoppelt. Die Regelung kommt allen im Umkreis von fünf Kilometern zugute.
Vielerorts gibt es zunächst Widerstand gegen die Windräder. Anlass für die Verabschiedung des Gesetzes war die Annahme des Gesetzgebers, dass das Land nur dann einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen Umsetzung der Energiewende leisten könne, wenn die Akzeptanz in der Bevölkerung für den Neubau der das Landschaftbild weithin sichtbar beeinträchtigen Anlagen verbessert werde. Als Ausgleich für diese Beeinträchtigung sollen Bürgerinnen und Bürger in Mecklenburg-Vorpommern an der Wertschöpfung beteiligt werden. Das beschwerdeführende Unternehmen sah sich aufgrund des Gesetzes in seinen Grundrechten verletzt.
Auch kleine Beiträge zum Klimaschutz zählen
Das BVerfG hielt die Regelungen aber für verfassungsgemäß. Wie jede Förderung des Ausbaus erneuerbarer Energien diene das Gesetz den legitimen Gemeinwohlzielen des Klimaschutzes, des Schutzes der Grundrechte vor den nachteiligen Folgen des Klimawandels und der Sicherung der Stromversorgung.
Das BVerfG sah einen Eingriff in die Berufsfreiheit von "beträchtlicher Intensität". Dem Schutz des Klimas und der Grundrechte vor den Folgen des Klimawandels komme aber ebenfalls ein beträchtliches Gewicht zu. Der Gewichtung stehe nicht entgegen, dass die in Mecklenburg-Vorpommern emissionsfrei erzeugte Strommenge angesichts der gegenwärtig global emittierten Gesamtmenge an CO2 offensichtlich sehr gering sei. "Gerade weil der Klimawandel durch zahlreiche, für sich genommen oftmals geringe Mengen an Treibhausgasen verursacht wird, kann er auch nur durch Maßnahmen zur Begrenzung all dieser Emissionen angehalten werden", heißt es in der Mitteilung zum Beschluss.
Es liege in der Natur der Sache, dass einzelne Maßnahmen für sich genommen nicht die allein entscheidende Wirkung zukomme. "Weil der Klimawandel aber nur angehalten werden kann, wenn all diese vielen, für sich genommen oft kleinen Mengen von CO2-Emissionen lokal vermieden werden, kann einer einzelnen Maßnahme nicht entgegengehalten werden, sie wirke sich nur geringfügig aus", so das BVerfG weiter.
BVerfG betont Pilotcharakter der Maßnahme
Gleichzeitig gebe es beim Ausbau der Windenergie offenkundig "Akzeptanzprobleme", hieß es weiter. Durch kommunale und bürgerschaftliche Teilhabe könnten diese verringert werden. In Mecklenburg-Vorpommern sei diese Teilhabe "erstmals hoheitlich" auch dort gesichert, "wo sie eigeninitiativ nicht zustande kommt".
Die Richterinnen und Richter halten dies offensichtlich für nachahmenswert: "Das Gesetz kann daher als Modell für vergleichbare Regelungen zur Sicherung einer akzeptanzsteigernden bürgerschaftlichen und kommunalen Beteiligung am Ausbau der Windenergie dienen." Auch mit Blick auf die Stromversorgung wird an anderer Stelle der "Pilotcharakter der Maßnahme" erwähnt.
Die Beteiligungspflichten könnten sich laut BVerfG auch positiv für die Unternehmen auswirken. Das gesetzliche Ziel der Akzeptanzsteigerung decke sich mit dem Interesse der Anlagenbetreiber an einer Ausweitung der Flächen für Windenergie. Dies relativiere die Schmälerung der Rendite, die die Betreiber durch die Beteiligung hinzunehmen hätten.
Das BVerfG beanstandet nur ein Detail des Gesetzes. Es verpflichtet die Projektträger, den Kommunen unverzüglich nach Erhalt der Genehmigung umfassende Informationen über das Vorhaben und die wirtschaftlichen Rahmendaten zur Verfügung zu stellen. Diesen Aufwand halten die Richterinnen und Richter zumindest dann für unverhältnismäßig, wenn sich die Gemeinden ohnehin nicht für Anteile, sondern für die jährliche Abgabe entscheiden.
Verschiedene Regelungen in Bund und Ländern
Auf Bundesebene können Windpark-Betreiber die betroffenen Kommunen seit 2021 auf freiwilliger Basis finanziell beteiligen. Anteile für die Anwohner sind nicht vorgesehen. Die einzelnen Bundesländer können aber weitergehende Regelungen erlassen. In Brandenburg sind Projektträger etwa verpflichtet, Gemeinden in einem Drei-Kilometer-Radius jährlich 10.000 Euro zu zahlen.
Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) hatte kürzlich ein umfassendes Maßnahmenpaket zum Ökostrom-Ausbau vorgestellt. Darin ist vorgesehen, dass die finanzielle Beteiligung der Kommunen "maßvoll überarbeitet" und weiterentwickelt wird. Derzeit hinken die meisten Länder dem Ziel der Bundesregierung für den Windkraftausbau weit hinterher. Angestrebt ist, dass zwei Prozent der Landesfläche für den Bau von Windrädern ausgewiesen werden.
Mecklenburg-Vorpommerns Wirtschafts- und Energieminister Reinhard Meyer (SPD) begrüßte die Entscheidung. Damit habe sich das Bundesland als Wegbereiter einer Idee erwiesen, die inzwischen auch Eingang ins Erneuerbare-Energien-Gesetz des Bundes gefunden habe. "Allerdings gibt es immer noch einen entscheidenden Unterschied: Die Beteiligung im Erneuerbare-Energien-Gesetz erfolgt auf freiwilliger Basis", sagte Meyer. Einer verpflichtenden Bundesregelung stünden mit der Entscheidung des BVerfG nun aber keine juristischen Zweifel mehr im Weg.
Der Bundesverband Windenergie (BWE) reagierte enttäuscht auf die Karlsruher Entscheidung. "Es gibt eine bundeseinheitliche Regelung zur Beteiligung", erklärte Geschäftsführer Wolfram Axthelm. "Es gilt zu vermeiden, dass parallel erlassenes Landesrecht den notwendigen zügigen Ausbau der Windenergie blockiert."
acr/LTO-Redaktion
mit Materialien der dpa
BVerfG zur Bürgerbeteiligung an Windparks: . In: Legal Tribune Online, 05.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48352 (abgerufen am: 04.10.2024 )
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