Nicht jede noch so kleine Arbeitnehmervereinigung kann eine tariffähige Gewerkschaft sein: Eine gewisse Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler dürfe man voraussetzen, entschied das BVerfG.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat eine Verfassungsbeschwerde einer Vereinigung von Beschäftigten in der privaten Versicherungsbranche nicht zur Entscheidung angenommen. Diese zog nach Karlsruhe, weil sie durch ein Landesarbeitsgericht (LAG) als nicht tariffähig angesehen worden war (Beschl. v. 13.09.2019, Az. 1 BvR 1/16). Es stehe mit dem Grundrecht auf Koalitionsfreiheit im Einklang, dass die Anerkennung einer Arbeitnehmervereinigung als tariffähige Gewerkschaft von einer gewissen Durchsetzungskraft gegenüber der Arbeitgeberseite abhängig gemacht wird, so die Karlsruher Verfassungsrichter.
Ob Vereinigungen tariffähig sind und damit Partei eines Tarifvertrags sein können, entscheiden die Arbeitsgerichte. Im Fall der beschwerdeführenden Vereinigung stellte das LAG fest, dass keine tariffähige Gewerkschaft vorliegt. Weder aus der vergangenen Teilnahme am Tarifgeschehen noch aus der Größe und Zusammensetzung der Vereinigung war laut LAG ersichtlich, dass die Vereinigung über die erforderliche Durchsetzungskraft verfüge. Diese sah durch die Einschätzung des LAG unter anderem ihre Rechte aus Art. 9 Abs. 3 Grundgesetz (GG; Vereinigungs- bzw. Koalitionsfreiheit) verletzt und zog nach Karlsruhe.
Das BVerfG nahm die Verfassungsbeschwerde aber nicht zur Entscheidung an. Das LAG habe nämlich sehr wohl davon ausgehen dürfen, dass die Vereinigung keine tariffähige Gewerkschaft ist, und dabei maßgeblich auf die Größe und Zusammensetzung der Mitgliederschaft abstellen dürfen. Ohne eine gewisse Geschlossenheit der Organisation und Durchsetzungskraft, so die Verfassungsrichter, bliebe eine Arbeitnehmervereinigung vom guten Willen der Arbeitgeberseite und anderen Arbeitnehmerkoalitionen abhängig, könnte also den Aufgaben aus der Tarifautonomie nicht gerecht werden. Vor allem die Mitgliederzahl gebe Aufschluss darüber, ob eine Vereinigung hinreichenden Druck aufbauen kann, um Verhandlungen über den Abschluss eines Tarifvertrags zu erzwingen.
Das LAG habe bei der Beurteilung des Einzelfalls auch keine überbordenden Anforderungen an die Durchsetzungsfähigkeit gestellt. Die Annahme, dass sich aus "einem Organisationsgrad von nicht mehr als 0,05 Prozent unter Berücksichtigung der konkreten Zusammensetzung der Vereinigung keine hinreichende Durchsetzungsfähigkeit gegenüber dem sozialen Gegenspieler" ergebe, ist nach Auffassung des BVerfG nachvollziehbar.
acr/LTO-Redaktion
BVerfG zur Tariffähigkeit von Gewerkschaften: . In: Legal Tribune Online, 22.11.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38843 (abgerufen am: 05.10.2024 )
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