BVerfG erklärt Regelungen für Verfassungswidrig: Stief­kin­da­d­op­tion auch ohne Trau­schein

02.05.2019

Stabile Beziehungen kann es auch ohne Ehe geben, so das BVerfG. Der vollständige Ausschluss der Stiefkindadoption in nichtehelichen Familien sei deshalb verfassungswidrig und verstoße gegen das allgemeine Gleichbehandlungsgebot.

Der vollständige Ausschluss der Stiefkindadoption allein in nichtehelichen Familien ist verfassungswidrig. Die bisherige Rechtslage, nach der in nichtehelichen Lebensgemeinschaften ein Stiefelternteil die Kinder des anderen nicht adoptieren kann, ohne dass die Verwandtschaft zu ihrem bisherigen Elternteil erlischt, verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG). Dies hat das Bundeserfassungsgericht (BVerfG) mit am Donnerstag veröffentlichtem Beschluss entschieden und die zugrundeliegenden Vorschriften im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) für verfassungswidrig erklärt sowie dem Gesetzgeber aufgegeben, bis zum 31. März 2020 eine Neuregelung zu treffen (Beschl. v. 26.03.2019, Az. 1 BvR 673/17).

Nach der bisherigen Rechtslage ist eine zur gemeinsamen Elternschaft führende Stiefkindadoption nur möglich, wenn der Stiefelternteil mit dem rechtlichen Elternteil verheiratet ist. In nichtehelichen Familien ist die Stiefkindadoption nach §§ 1754 Abs. 1 und 2, 1755 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB faktisch ausgeschlossen. Nach den Vorschriften würde nämlich jedes bislang bestehende Elternverhältnis erlöschen. Das Kind hätte dann nur noch den Stiefelternteil als rechtlichen Elternteil, was typischerweise nicht im Interesse der Beteiligten liegt. Zwischen dem nicht verheirateten Stiefelternteil und dem Kind bestehen ohne Adoption keine gesetzlichen Rechtsbeziehungen. 

BGH hielt Normen noch für verfassungsgemäß

Das BVerfG hatte die Verfassungsbeschwerde einer Familie zu entscheiden, die genau vor diesem Problem stand. Der Mann hatte gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin die Adoption ihrer leiblichen Kinder begehrt. Der leibliche Vater der Kinder war 2006 verstorben, seit 2007 lebt die Mutter mit ihrem Lebensgefährten zusammen. 2009 wurde ein gemeinsamer Sohn geboren. Da die Mutter nicht auf ihre Witwenrente, die einen wesentlichen Teil ihrer Existenzgrundlage ausmacht, verzichten wollte, beschloss das Paar, nicht zu heiraten. 

Die gemeinsame Adoption blieb den beiden daraufhin verwehrt. Auch vor dem Bundesgerichtshof (BGH) hatte das Paar keinen Erfolg. Der BGH begründete seine Entscheidung mit der Gesetzeslage, die eindeutig sei und keine andere Auslegung zulasse. Der XII. Zivilsenat am BGH hielt die Normen auch nicht für verfassungswidrig – der Gesetzgeber handele innerhalb seines Ermessensspielraums, wenn er die Stabilität einer Beziehung an der rechtlichen Absicherung der Partnerschaft festmache. 

Das BVerfG sah das jedoch anders und hob die Entscheidung auf. Zwar liege für sich genommen keine Verletzung des Eltern- oder Familiengrundrechts oder eine Verletzung des Rechts der Kinder auf staatliche Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung vor. Die derzeitige Rechtslage führe aber zu einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung von Kindern in nichtehelichen Stiefkindfamilien gegenüber Kindern in ehelichen Stiefkindfamilien. 

BVerfG: Nichteheliche Familie hat sich etabliert

Die Absicht des Gesetzgebers, Kinder vor ungünstigen familiären Bedingungen zu schützen und deshalb die Stiefkindadoption nur in Stabilität versprechenden Lebensgemeinschaften zuzulassen, sei zwar legitim. "Sind die Eltern die Ehe eingegangen, spricht dies für einen über einen kurzfristigen Beziehungswunsch hinausgehenden Bindungswillen und damit für die Stabilität der Beziehung", finden auch die Verfassungsrichter in ihrer Entscheidung. Die gesetzliche Regelung werde aber stabilen nichtehelichen Stiefkindfamilien nicht gerecht.

"Die nichteheliche Familie hat sich mehr und mehr als weitere Familienform neben der ehelichen Familie etabliert", so der Senat. "Es gibt keine Erkenntnisse, die heute die Annahme rechtfertigten, dass die Paarbeziehung innerhalb einer nichtehelichen Stiefkindfamilie typischerweise besonders fragil und nur in einer kleinen Zahl von Fällen stabil wäre." Vielmehr würden die Statistiken darauf hindeuten, dass sich die nichteheliche Familie als weitere Familienform etabliert habe und die typisierende Einordnung als "instabil" nicht mehr zulässig sei. 

Der strikte Adoptionsausschluss sei daher nicht mehr realitätsgerecht und betreffe auch stabile Stiefkindfamilien, bei denen ein tragfähiges Eltern-Kind-Verhältnis entsteht und die Adoption dem Kindeswohl dienlich wäre. Der Schutz des Stiefkindes vor einer nachteiligen Adoption lasse sich auf andere Weise sichern. Dabei könnten im neuen Gesetz statt oder neben dem Ehekriterium alternative Stabilitätsindikatoren verwendet werden - etwa die bisherige Beziehungsdauer.

Nach Auffassung von Prof. Dr. Nina Dethloff von der Universität Bonn, Direktorin des Instituts für Familienrecht, hat das BVerfG eine wegweisende Entscheidung getroffen. "Sie beendet die bestehende Diskriminierung von Kindern, die in nichtehelichen Stieffamilien aufwachsen. Das Gericht stellt zu Recht fest, der legitime Zweck, dass Kinder in stabilen Verhältnissen aufwachsen, sei auf eine Weise zu erreichen, die die Grundrechte der Kinder weit weniger beeinträchtigt."

Wie der Blick in andere Länder zeige, lasse sich die Stabilität etwa auch durch die Dauer der Partnerschaft nachweisen. Dethloff sagte gegenüber LTO: "Der völlige Ausschluss einer Adoption beraubt die Kinder demgegenüber der Möglichkeit, dass ihr sozialer Elternteil jemals auch rechtlicher Elternteil mit allen Pflichten und Rechten wird - und ist damit evident zu ihrem Nachteil."

acr/LTO-redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG erklärt Regelungen für Verfassungswidrig: . In: Legal Tribune Online, 02.05.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/35151 (abgerufen am: 13.12.2024 )

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