Einem Häftling, der wegen seiner Meinung nach menschenunwürdiger Haftbedingungen gegen Bayern vor Gericht gehen will, muss laut BVerfG PKH bewilligt werden. Ihm sei die Unterstützung zu Unrecht verwehrt worden, so die Verfassungsrichter.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in einer jetzt bekannt gewordenen Entscheidung einer Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe (PKH) stattgegeben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landgericht (LG) zurückverwiesen (Beschl. v. 20.05.2016, Az. 1 BvR 3359/14). Ein ehemaliger Gefangener hatte versucht eine Amtshaftungsklage gegen den Freistaat Bayern anzustrengen.
Der Mann befand sich mit drei weiteren Gefangenen über einen Zeitraum von etwa sechs Monaten in Strafhaft. Er behauptete, in zwei identisch beschaffenen Hafträumen untergebracht gewesen zu sein, die jeweils eine Gesamtgrundfläche von 16 Quadratmeter und eine vom übrigen Haftraum baulich abgetrennte Toilette aufgewiesen hätten. Unter Berufung auf menschenunwürdige Haftbedingungen beantragte er die Bewilligung von PKH für seine Klage gegen den Freistaat.
Das LG lehnte die Gewährung einer PKH ab, das Oberlandesgericht (OLG) wies die sofortige Beschwerde des ehemaligen Häftlings dagegen zurück. Die Begründung der Gerichte: Er sei nicht menschenunwürdig untergebracht worden.
Ungeklärte Rechtsfragen im PKH-Verfahren entschieden
Die Ablehnung der PKH verletzt den ehemaligen Häftling in seinem Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG), entschied der erste Senat in Karlsruhe. Es seien schwierige und ungeklärte Rechtsfragen unzulässiger Weise im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden worden.
Es sei zwar verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von PKH davon abhängig zu machen, ob die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen dürften aber nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können.
Etwas anderes gelte nur dann, wenn die Rechtsfrage angesichts der gesetzlichen Regelung oder im Hinblick auf Auslegungshilfen, die von bereits vorliegender Rechtsprechung bereitgestellt werden, ohne Schwierigkeiten beantwortet werden könne. Die Frage nach der Menschenwürdigkeit der Unterbringung von Gefangenen hänge dabei von einer Gesamtschau der tatsächlichen, die Haftsituation bestimmenden Umstände ab. Die Abwägungsparameter für den Fall der Gemeinschaftshaft bei engem Raumangebot seien in der Rechtsprechung aber nicht geklärt.
Ungeklärtes Verhältnis von GG zu EMRK
Ob und unter welchen Bedingungen auch eine anteilige Grundfläche von vorliegend nur vier Quadratmeter pro Strafgefangenem den Anforderungen der Menschenwürdegarantie genügen kann, sei in der Rechtsprechung nicht geklärt und werde von den Gerichten verschieden beurteilt. Ungeklärt sei die Frage des Verhältnisses der Anforderungen aus Art. 1 Abs. 1 GG zu denen aus Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK). Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gehe, bezogen auf das Verbot der Folter, der unmenschlichen oder erniedrigenden Bestrafungen oder Behandlung nach Art. 3 EMRK, von einem Richtwert von vier Quadratmeter Grundfläche pro Gefangenem aus. Für erniedrigende Haftbedingungen spreche eine starke Vermutung, wenn ein Häftling nicht über drei Quadratmeter Grundfläche verfügt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte betont, dass die Anforderungen des Grundgesetzes höher sind.
Dasselbe gelte auch für die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage nach der Beurteilung einer Haftsituation durch die gemeinschaftliche Unterbringung auf engem Raum, die weitgehend ungeklärt sei. Offen sei bislang auch, wie sich die bei höherer Belegzahl auf geringem Raum auftretenden Stress- und Konfliktsituationen und die Anforderungen an eine unabdingbare Privatsphäre auf den Raumbedarf auswirken und welches Gewicht - auch ausgleichend - weitere Faktoren, wie etwa Einschlusszeiten, haben.
Indem LG und OLG der beabsichtigten Amtshaftungsklage ungeachtet dieser ungeklärten Rechtsfragen die Erfolgsaussicht von vornherein abgesprochen und die PKH verweigert haben, haben sie den Anspruch des Mannes auf Rechtsschutzgleichheit verletzt, entschieden die Verfassungsrichter. Die für die Beurteilung des Begehrens maßgeblichen Rechtsfragen durften nicht in das Prozesskostenhilfeverfahren vorverlagert werden, sondern bedürfen einer Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren, die es dem Ex-Häftling auch ermöglicht, diese gegebenenfalls einer höchstrichterlichen Klärung zuzuführen.
acr/LTO-Redaktion
BVerfG zur Versagung von Prozesskostenhilfe: . In: Legal Tribune Online, 01.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19857 (abgerufen am: 13.10.2024 )
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