Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit ist wesentlich für den demokratischen Rechtsstaat. Trotzdem kann es eingeschränkt werden, auch zum Schutze der Gesundheit. Wie genau das geht, hat das BVerfG am Sonntag gezeigt.
Die Versammlungsbehörde Berlin sprach ein Verbot für eine Dauermahnwache auf der Straße des 17. Juni vom 30. August bis zum 14. September aus. Einen gegen dieses Verbot gerichteten Eilantrag lehnte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Sonntag ab (Beschl. v. 30.8.2020, Az. 1 BvQ 94/20).
Sie wollten einmal mehr gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie protestieren. Statt einem Demonstrationszug sollte dieses Mal die Form einer Dauermahnwache, eine Art Protestcamp, gewählt werden. Ort des Geschehens sollte vom 30. August bis zum 14. September die Straße des 17. Juni in Berlin sein, die durch den Tiergarten zum Brandenburger Tor führt und am Rand des Regierungsviertels liegt. Doch die örtliche Versammlungsbehörde sprach für dieses Unterfangen ein Verbot aus.
Dagegen wandte sich der Veranstalter mit einem Antrag auf Eilrechtsschutz an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG), das Gericht lehnte den Antrag jedoch ab (Beschl. v. 29.8.2020, Az. Az. OVG 1 S 101/20 und OVG 1 S 102/20). Lediglich der Antrag bezüglich der für Samstag geplanten Versammlung hatte Erfolg. Schließlich wandte der Veranstalter sich mit einem weiteren Eilantrag an das BVerfG, doch auch in Karlsruhe hatte der Antrag keinen Erfolg.
Unzulässig und unbegründet
Die 1. Kammer des Ersten Senats entschied, dass der Antrag sowohl unzulässig als auch unbegründet sei. Hinsichtlich der Zulässigkeit scheitere der Antrag am Grundsatz der Subisdiarität, der auch im verfassungsrechtlichen Eilrechtsschutzverfahren gelte. Vor Anrufung des BVerfG seien zunächst die Fachgerichte anzurufen. Das habe der Veranstalter aber nicht getan, da er angibt, seine Anmeldung der Mahnwache nach dem Beschluss des OVG konkretisiert zu haben. Damit habe er einen neuen Sachverhalt geschaffen, über den das OVG noch nicht entschieden habe. Der fachgerichtliche Rechtsschutz wurde daher noch nicht ausgeschöpft, so das BVerfG.
Darüber hinaus sei der Antrag auch unbegründet. Im Rahmen des Eilrechtsschutzes vor dem BVerfG prüft das Gericht zunächst, ob offensichtlich Grundrechte des Antragstellers verletzt sind. Wenn dies nicht der Fall ist, trifft es anschließend eine Folgenabwägung.
Versammlungsfreiheit versus Gesundheitsschutz
Einen offensichtlichen Grundrechtsverstoß sahen die Richter in dem Verbot des Protestcamps nicht. Die Versammlungsbehörde habe ihr Verbot auf § 15 Abs. 1 Versammlungsgesetz gestützt. Bei Durchführung des Camps sei nämlich eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit zu befürchten, weil nicht zu erwarten sei, dass die Teilnehmer die infektionsschutzrechtlichen Mindestabstände einhalten würden. Mildere, ebenso geeignete Maßnahmen wie ein Verbot stünden daneben nicht zur Verfügung. Diese vom OVG bestätigte Einschätzung sei jedenfalls nicht offensichtlich unzutreffend, entschieden die Karlsruher Richter.
Sie erläuterten in diesem Rahmen ausführlich, dass es außer Zweifel stünde, dass ein Eingriff in die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zum Schutze des Grundrechts Dritter auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG gerechtfertigt werden könne. Unter strenger Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes könnten zum Schutz vor Infektionsgefahren auch versammlungsbeschränkende Maßnahmen ergriffen werden. Das könne bis zu einem Verbot der Versammlung reichen, wenn keine milderen Maßnahmen ersichtlich seien. Mildere Mittel könnten insbesondere die Verpflichtung zur Einhaltung von Mindestabständen oder zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen sein sowie die Beschränkung der Teilnehmerzahl. Auch die Durchführung einer Versammlung als ortsfeste Kundgebung anstelle eines Aufzugs oder die Verlegung der Versammlung sind laut BVerfG in Betracht kommende Maßnahmen.
Da eine Beschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit des Veranstalters jedoch aus Sicht des BVerfG nicht offensichtlich war, wurde im nächsten Schritt eine Folgenabwägung vorgenommen. Bei einer solchen Folgenabwägung werden die Folgen für den Fall, dass keine einstweilige Anordnung ergeht, sich danach jedoch herausstellt, dass die Maßnahme verfassungswidrig war, abgewogen mit den Folgen für den Fall, dass eine Anordnung ergeht und sich danach herausstellt, dass die Maßnahme eigentlich verfassungsgemäß war.
Nach Versammlung am Samstag: Keine milderen Maßnahmen ersichtlich
Das BVerfG stellte insoweit fest, dass im ersten Fall eine Verletzung des Veranstalters in seinem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit vorliege. Diese Grundrechtsverletzung wäre von erheblichem Gewicht und zwar nicht nur im Hinblick auf den Antragsteller, sondern "angesichts der Bedeutung der Versammlungsfreiheit für eine freiheitliche Staatsordnung auch im Hinblick auf das demokratische Gemeinwesen insgesamt", führte das Gericht aus. Erginge demgegenüber eine einstweilige Anordnung und würde sich später herausstellen, dass das Verbot des Camps rechtmäßig ist, wären grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützte Interessen einer großen Anzahl Dritter von hohem Gewicht betroffen.
Diese Abwägung gehe nun, so die Kammer, zum Nachteil des Veranstalters des Protestcamps aus. Ein anderes Ergebnis ergäbe sich lediglich, wenn die Durchführung des Camps unter Bedingungen möglich wäre, die hinreichenden Schutz vor Infektionsgefahren sicherstellen würden. Aber auch diese Option verneinte das BVerfG letztlich.
So hatte die antragstellende "Querdenker"-Initiative in Karlsruhe kein anderes Hygienkonzept vorgelegt, als das, welches bereits am Samstag gescheitert war und zur Auflösung der Versammlung durch die Polizei geführt hatte: "Mit Blick auf nach Durchführung der gestrigen Versammlung nunmehr vorliegende Erfahrungen musste sich der Antragsteller dazu veranlasst sehen, die praktische Eignung seines Konzepts zu bewerten und dieses erforderlichenfalls anzupassen. Dass dies geschehen ist, ist indes weder dargelegt noch sonst ersichtlich. Im Übrigen ist das Konzept auf eine an einem einzelnen Tag stattfindende Versammlung zugeschnitten. Der Antragsteller hat nicht dargelegt, dass es auch für das nunmehr über einen Zeitraum von 14 Tagen geplante Camp realisierbar ist", erklärte das BVerfG in seiner Mitteilung vom Sonntag.
ast/LTO-Redaktion
Keine Dauermahnwache in Berlin: . In: Legal Tribune Online, 31.08.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/42642 (abgerufen am: 08.12.2024 )
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