Das BVerfG hat die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Vorratsdatenspeicherungsgesetz abgelehnt, viele Fragen könnten erst im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Eine Aussetzung im Eilverfahren sei nicht geboten.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit am Freitag veröffentlichten Beschlüssen zwei Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen das Gesetz zur Einführung einer Speicherpflicht und einer Höchstspeicherfrist für Verkehrsdaten (Vorratsdatenspeicherung) vom 10. Dezember 2015 abgelehnt (Beschl. v. 08.06.2016, Az. 1 BvQ 42/15 und 1 BvR 229/16).
Mit der Datenspeicherung allein sei noch kein derart schwerwiegender Nachteil verbunden, dass es die Außerkraftsetzung eines Gesetzes erfordere, so die Verfassungsrichter. Darüber hinaus habe der Gesetzgeber den Abruf von Telekommunikations-Verkehrsdaten von qualifizierten Voraussetzungen abhängig gemacht, die das Gewicht der durch den Vollzug der Vorschrift drohenden Nachteile im Vergleich mit den Nachteilen für das öffentliche Interesse an einer effektiven Strafverfolgung weniger gewichtig erscheinen ließen.
Mit ihren Eilanträgen begehrten die Beschwerdeführer die eingeführte Vorratsspeicherung von Telekommunikations-Verkehrsdaten zu Zwecken der öffentlichen Sicherheit außer Kraft zu setzen. Die von ihnen angegriffenen Regelungen finden sich in den neu geschaffenen §§ 113a bis 113g Telekommunikationsgesetz (TKG), in dem neu gefassten § 100g der Strafprozessordnung (StPO) und den neu geschaffenen §§ 101a und 101b StPO.
Technische Datentrennung darf nachgebessert werden
Zwar könne die umfassende und anlasslose Bevorratung sensibler Daten über praktisch jedermann einen erheblichen Einschüchterungseffekt bewirken, weil das Gefühl entstehe, ständig überwacht zu werden, so das BVerfG. Der in der Speicherung für Einzelne liegende Nachteil für ihre Freiheit und Privatheit verdichte und konkretisiere sich jedoch erst durch einen Abruf der Daten zu einer möglicherweise irreparablen Beeinträchtigung. Dies gelte auch für die Speicherung der Daten von Berufsgeheimnisträgern, befand die 3. Kammer des ersten Senats.
Ein die Aussetzung der Speicherpflicht erfordernder besonders schwerer Nachteil ergebe sich auch nicht daraus, dass bei Kurznachtrichten Verkehrsdaten und Kommunikationsinhalte möglicherweise nicht getrennt werden könnten. Eigentlich sollten mit dem Gesetz nach dem klaren Wortlaut des § 113b Abs. 5 TKG nur die Standortdaten von etwa SMS gespeichert werden, nicht aber deren Inhalt. Offenbar ist diese Art der Datentrennung aber technisch gar nicht möglich.Trotzdem rechtfertige das nicht, sich über die Maßgabe des Gesetzes hinwegzusetzen, so das Gericht. Vielmehr seien dann zunächst die technischen Bedingungen zu schaffen, um die Speicherpflicht erfüllen zu können.
Hauptsacheverfahren abzuwarten ist hinnehmbar
Im Verkehrsdatenabruf nach § 100g Abs. 1 und 2 StPO liege zwar ein schwerwiegender und nicht mehr rückgängig zu machender Eingriff in das Grundrecht aus Art. 10 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber habe aber mit § 100g Abs. 2 StPO den Abruf von Telekommunikations-Verkehrsdaten im Sinne des § 113b TKG von qualifizierten Voraussetzungen abhängig gemacht, weswegen die dem Einzelnen und der Allgemeinheit durch den Vollzug der Vorschrift drohenden Nachteile für die Übergangszeit bis zur Entscheidung über die Hauptsache hinnehmbar seien. Ebenso erscheine diese Beeinträchtigung im Vergleich mit den Nachteilen für das öffentliche Interesse an einer effektiven Strafverfolgung weniger gewichtig, heißt es in der Mitteilung des Gerichts.
Das BVerfG hatte bereits in seiner Entscheidung über den Antrag auf einstweilige Anordnung gegen das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung von 2007 wegen des öffentlichen Gewichts einer wirksamen Verfolgung schwerer Straftaten solche Abrufersuchen zugelassen, die der Verfolgung von Katalogtaten im Sinne des § 100a Abs. 2 StPO dienten. Bedingung dafür war, dass darüber hinaus auch die Voraussetzungen des § 100a Abs. 1 StPO vorlagen. Diese Voraussetzungen ergeben sich nunmehr unmittelbar aus § 100g Abs. 2 Satz 1 StPO. Angesichts dieser Einschränkungen hat das öffentliche Strafverfolgungsinteresse nach Auffassung der Verfassungsrichter grundsätzlich derartiges Gewicht, dass die Aussetzung der Vorschrift durch eine einstweilige Anordnung trotz der entgegenstehenden gewichtigen Nachteile nicht geboten sei.
Das gleiche gelte auch für die das zu beachtende Verfahren regelnden §§ 101a, 101b StPO. Ob und gegebenenfalls in welcher Weise die Europäische Grundrechtecharta oder sonstiges Unionsrecht für die Beurteilung der angegriffenen Vorschriften Bedeutung entfaltet, sei im Hauptsacheverfahren zu entscheiden. Dass Unionsrecht dazu verpflichten könnte, die angegriffenen Vorschriften schon im Eilverfahren im Wege der einstweiligen Anordnung außer Kraft zu setzen, sei weder substantiiert vorgetragen noch ersichtlich.
acr/LTO-Redaktion
BVerfG lehnt Eilanträge gegen VDS ab: . In: Legal Tribune Online, 15.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20021 (abgerufen am: 09.10.2024 )
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