Der Entwurf von Bundesjustizminister Buschmann zur Einführung eines "Quick Freeze"-Verfahrens wurde am Dienstag zur Abstimmung an die anderen Ressorts der Bundesregierung verschickt. Die Reaktionen fallen gespalten aus.
Nachdem der Europäische Gerichtshof (EuGH) im September die derzeitig ausgesetzte Regelung zur Vorratsdatenspeicherung in Deutschland für unionsrechtswidrig erklärte (Urt. v. 20.09.2022, Az. C-793/19 und C-794/19), werden alternative Lösungen gesucht. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hat einen Vorschlag für ein auf konkrete Verdachtsfälle beschränktes Verfahren zur Sicherung von Telekommunikationsdaten vorgelegt, über den LTO am Dienstag vorab berichtete. Der Entwurf zur Einführung von "Quick Freeze" wurde am Dienstagmorgen zur Abstimmung an die anderen Ressorts der Bundesregierung verschickt.
Bei dem Verfahren werden Telekommunikationsanbieter verpflichtet, bei einem Anfangsverdacht Daten zu einzelnen Nutzern für einen bestimmten Zeitraum zu speichern - sozusagen "einzufrieren". Möglich soll dies allerdings lediglich bei schweren Straftaten wie etwa Totschlag, Erpressung oder Kindesmissbrauch sein. Außerdem muss ein Richter der Maßnahme zustimmen.
Zugriff auf die Daten oder einen Teil davon sollen die Ermittler allerdings erst in einem zweiten Schritt erhalten - das ist dann das sogenannte "Auftauen". Auch hier muss wieder ein Richter zustimmen. Die Hürde liegt hier höher als beim "Einfrieren". Der Verdacht muss hier schon konkreter sein, sich beispielsweise gegen eine bestimmte Person richten.
Buschmann: "Ein effektives und rechtssicheres Ermittlungsinstrument"
Der Bundesjustizminister sieht seine generelle Abkehr von der Vorratsdatenspeicherung durch den Koalitionsvertrag von SPD, FDP und Grünen gedeckt. In der vor dem Urteil geschlossenen Vereinbarung der Ampel-Parteien heißt es: "Angesichts der gegenwärtigen rechtlichen Unsicherheit, des bevorstehenden Urteils des Europäischen Gerichtshofs und der daraus resultierenden sicherheitspolitischen Herausforderungen werden wir die Regelungen zur Vorratsdatenspeicherung so ausgestalten, dass Daten rechtssicher anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden können." Mit seinem Vorschlag wolle er "den Ermittlern ein effektives und rechtssicheres Ermittlungsinstrument an die Hand geben".
Auch der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Konstantin Kuhle sieht in dem "Quick Freeze"-Verfahren eine taugliche und dringend erforderliche Alternative. Er sagte am Dienstag: "Eine anlasslose Speicherung der Verbindungsdaten von Millionen Bürgerinnen und Bürgern ist mit den Grundrechten nicht vereinbar". Durch das wiederholte Scheitern der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung fehlten den Ermittlern derzeit wichtige Befugnisse. Deshalb sei "ein zügiges Gesetzgebungsverfahren für den Quick-Freeze-Ansatz" für das Schließen dieser Sicherheitslücke wichtig.
Unterstützung kam auch von der ehemaligen FDP-Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, die sich bereits in ihrer Zeit als Ministerin mit alternativen zur Vorratsdatenspeicherung beschäftigt hatte. "Nach über 10 Jahren ohne belastbare rechtliche Grundlagen erhalten die Sicherheitsbehörden mit der „Quick Freeze“ Lösung nun endlich ein rechtskonformes Ermittlungsinstrument zur Verfolgung von Internetstraftaten", so die Ex-Ministerin gegenüber LTO. Und hatte auch eine Ansage in Richtung der Bundesinnenministerin, die für eine weitergehende Lösung eintritt. "Nun muss nur noch Ministerin Faeser erkennen, dass ihr im eigenen Haus der Geist der Vergangenheit entgegenweht, der bisher wirksame Instrumente für die Sicherheitsbehörden verhindert hat. Die Kämpfe der Zukunft gewinnt man aber nicht mit den Geistern der Vergangenheit", so Leutheusser-Schnarrenberger.
"Das Beispiel zeigt einmal mehr: Der inneren Sicherheit ist mehr geholfen, wenn der Gesetzgeber von Anfang an mit Augenmaß handelt, statt stets die Grenzen des verfassungsrechtlich gerade noch Zulässigen auszuloten", sagte Dr. Benjamin Lück, Jurist bei der NGO Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) zu LTO. So produziere der Gesetzgeber nur jahrelang nicht angewandte Sicherheitsgesetze, die am Ende doch auf dem Schrotthaufen landen. "Wir erwarten nun, dass Minister Buschmann auch in der Ressortabstimmung standhaft bleibt und dem Versprechen im Koalitionsvertrag treu bleibt. Verkehrsdaten dürfen für einen längeren Zeitraum nur anlassbezogen und auf richterliche Anordnung hin gespeichert werden", so Lück.
DRB: "Quick Freeze"-Lösung greift zu kurz
Kritik an dem Vorschlag kam dagegen von den Justizministern in Hessen und Bayern. Der hessische CDU-Minister Prof. Dr. Roman Poseck sagte: "Die Vorschläge sind kein ‚ausgewogener Ausgleich‘ unterschiedlicher Interessen, sondern eine unnötige und gefährliche Beschränkung effektiver Strafverfolgung." Die Bundesregierung müsse den Entwurf von Justizminister Marco Buschmann für ein Quick-Freeze-Verfahren stoppen. Das Quick-Freeze-Verfahren sei kein adäquater Ersatz für die anlasslose Vorratsdatenspeicherung. Auch das hätten Praktikerinnen und Praktiker aus der Strafverfolgung glasklar benannt. "Das Einfrieren findet erst bei Vorliegen eines Straftatverdachts statt. Dieser Zeitpunkt ist für eine effektive Strafverfolgung aber in der Regel zu spät, weil die Daten nicht mehr vorhanden sind", so Poseck weiter.
Bayerns Justizminister Georg Eisenreichs (CSU) setzte mit seiner Kritik am gleichen Punkt an: "Das Quick-Freeze-Verfahren als echte Alternative darzustellen, ist entweder bewusste Augenwischerei oder Unkenntnis. Wo nichts ist an Daten, lässt sich auch nichts einfrieren." Die Bundesregierung sei nun gefordert, im Rahmen, in dem der EuGH eine anlasslos IP-Adressespeicherung zugelassen habe, die Verkehrsdatenspeicherung zeitnah wiederzubeleben.
Der Deutsche Richterbund (DRB) warnte, die "Quick Freeze"-Lösung greife zu kurz, weil sich damit nur Verkehrsdaten einfrieren ließen, die bei den Providern noch vorhanden sind. Die Unternehmen bewahrten Daten zu eigenen Zwecken in der Regel aber nur für einige Tage auf, sagte DRB-Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn. "Es ist zu hoffen, dass der Bundesjustizminister und die Bundesinnenministerin sich rasch auf einen Kompromiss einigen können und es nicht zu einer langwierigen politischen Blockade kommt."
pab/dpa/LTO-Redaktion
Reaktionen auf "Quick Freeze"-Vorschlag: . In: Legal Tribune Online, 25.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49987 (abgerufen am: 08.11.2024 )
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