Weil die Bundesregierung nicht ausreichend begründet hat, warum sie die Frage eines Bundestagsabgeordneten zu Auslandseinsätzen des Verfassungsschutzes nicht beantworten will, hat sie sein parlamentarisches Fragerecht verletzt.
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle war mit einem Organstreitverfahren beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erfolgreich. Eine durch die Bundesregierung nicht ausreichend begründete Ablehnung einer Auskunft verletzt ihn in seinem parlamentarischen Fragerecht aus Art. 38 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz. Das hat am Mittwochnachmittag der Zweite Senat entschieden (Urt. v. 14.12.2022, Az. 2 BvE 8/21).
Kuhle hatte Ende 2020 angefragt, wie viele Mitarbeiter des Verfassungsschutzes in den vergangenen fünf Jahren ins Ausland entsandt waren. Damals war die FDP noch in der Opposition. Das CSU-geführte Innenministerium verweigerte ihm die Auskunft. Begründet wurde dies damit, dass daraus Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des Bundesamts für Verfassungsschutz gezogen werden könnten. Daraufhin hatte Kuhle in Karlsruhe ein Verfahren gegen die Bundesregierung angestrengt.
Begründet hat die Bundesregierung die verweigerte Auskunft damit, dass "in besonderem Maße das Staatswohl" berührt sei. Durch die Auskunft könnten Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des Bundesamts für Verfassungsschutz gezogen werden.
Das konnte die Verfassungsrichterinnen und Verfassungsrichter nun allerdings nicht überzeugen. "Dies wird den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Verweigerung der Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage nicht gerecht", sagte Vizegerichtspräsidentin Doris König bei der Urteilsverkündung in Karlsruhe. Der Informationsanspruch des Bundestags und einzelner Abgeordneter sei zwar nicht grenzenlos. Hier sei aber nicht ersichtlich, inwiefern die begehrte Auskunft die Funktionsfähigkeit des Verfassungsschutzes beeinträchtigen könnte. Kuhle habe weder nach Einsatzorten und -zeiten noch nach Tätigkeitsschwerpunkten oder anderen Einzelheiten gefragt.
Auch verfüge der Bundestag mit Regeln zur Geheimschutzordnung über "ein taugliches Instrument des Ausgleichs zwischen exekutivem Geheimhaltungsinteresse und parlamentarischem Informationsinteresse", heißt es im Urteil. Besonders geheimhaltungsbedürfte Informationen können in der besonders gesicherten Geheimschutzstelle hinterlegt werden, außerdem werden Verschwiegenheitspflichten strafrechtlich (etwa über § 353b Strafgesetzbuch) abgesichert. Kurzum: Auf heikle Fälle zwischen Staatsschutzinteresse und parlamentarischem Informationsinteresse ist der Bundestag eigentlich vorbereitet.
Kuhle interessiert sich für die Auslandseinsätze, weil das BfV vor allem als Inlandsnachrichtendienst angelegt ist und im Ausland eigentlich der Bundesnachrichtendienst (BND) Aufklärung betreibt. Der Politiker sieht hier Potenzial für Zuständigkeitskonflikte. Wenn mehrere Sicherheitsbehörden mit ihren eigenen Logiken, Protokollen und Herangehensweisen am selben Fall arbeiten, hätte das in der Vergangenheit etwa bei NSU oder beim Anschlag von Anis Amri für Unsicherheit gesorgt, meint Kuhle.
Eine Frage der Mosaiksteine
Argumentiert hatte das Bundesinnenministerium - nun unter SPD-Führung - mit einer "Mosaiktheorie". Dabei verwies es insbesondere auf die Gefahr, dass fremde Nachrichtendienste und Staaten aus den von Kuhle begehrten Antworten Rückschlüsse ziehen könnten. Dabei sei nicht der isolierte Gehalt einer einzelnen Information maßgeblich. Vielmehr erklärte der Parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Mahmut Özdemir (SPD), bei der mündlichen Verhandlung im März in Karlsruhe: Es komme auf das Potenzial als Mosaikstück an - also darauf, ob fremde Dienste sich aus vielen kleinen Informationen ein Bild zusammensetzen können.
Das BVerfG erkennt die potentielle Gefahr grundsätzlich an, sie entbinde aber die Bundesregierung nicht von der konkreten Darlegung, dass es sich bei der jeweiligen erfragten Tatsache gerade um einen solchen "Mosaikstein" handeln könnte, der geeignet wäre, für einen fremden Geheimdienst ein solches Gesamtbild entstehen zu lassen. Konkret sei das in Kuhles Fall nicht dargelegt worden.
Die Bundesregierung argumentierte weiter, die Frage allenfalls im Parlamentarischen Kontrollgremium beantworten zu wollen, ein kleines Bundestagsgremium mit strikten Geheimhaltungsregeln, das die Arbeit der deutschen Geheimdienste kontrolliert. Kuhle ist dort kein Mitglied, andere aus seiner Fraktion schon. Aber erzählen dürften die ihm ohnehin nichts, die Sitzungen des Gremiums sind geheim. Benötige der einzelne Abgeordnete etwa im Zusammenhang mit Gesetzgebungsverfahren zur Regelung der Arbeit der Nachrichtendienste konkrete Informationen, helfe auch nicht weiter, dass besondere Gremien dazu unterrichtet werden, in denen er nicht Mitglied ist, heißt es in der Begründung des Urteils.
Die Richterin König verwies bei der Begründung darauf, dass die Informationsrechte des Bundestags nicht durch die Einrichtung des Parlamentarischen Kontrollgremiums verdrängt worden seien. "Das Staatswohl ist nicht allein der Regierung, sondern Bundestag und Bundesregierung gemeinsam anvertraut", sagte sie.
Anordnen kann das BVerfG die Beantwortung nicht, nun muss die Bundesregierung eine neue Entscheidung über ihre Antwort treffen. Will sie die Antwort ablehnen, wird sie einiges an - wiederum sensiblen - Begründungen dafür aufbieten müssen.
BVerfG zu Verfassungsschutz im Ausland: . In: Legal Tribune Online, 14.12.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50474 (abgerufen am: 14.10.2024 )
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