Bundestagspräsidentin hält an Sondersitzungen fest: AfD-Frak­tion zieht vor Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt

10.03.2025

Union und SPD wollen über ihre Finanzpläne noch mit dem alten Bundestag abstimmen lassen. Zu den entsprechenden Sondersitzungen dürfe die Bundestagspräsidentin aber schon gar nicht aufrufen, argumentiert die AfD und zieht nach Karlsruhe.

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hält an den beantragten Sondersitzungen des alten Bundestags fest. Eine Aufforderung der AfD-Fraktion, die Sitzungen abzusagen, wies sie zurück. "Ich kann die Sitzung nicht absagen, weil ein Drittel der Abgeordneten nach Art. 39 des Grundgesetzes eine Sondersitzung beantragen kann", sagte sie dem ARD-Morgenmagazin. Die AfD kündigte daraufhin an, vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zu ziehen.

Die Sitzungen sind für kommenden Donnerstag (13. März) und den darauffolgenden Dienstag (18. März) geplant. In den beiden Sitzungen sollen nach dem Willen von Union und SPD ein milliardenschweres Sondervermögen und eine Reform der im Grundgesetz verankerten Schuldenbremse beschlossen werden. Ziel sind Investitionen in Infrastruktur und Verteidigung. Zur Anmeldung der Sondersitzungen haben die Fraktionen von Union und SPD im alten Bundestag zahlenmäßig genügend Abgeordnete. "Insofern bin ich verpflichtet, diese Sitzung einzuberufen", sagte Bas.

Um die mehreren Hundert Milliarden Euro freizumachen, braucht es eine Grundgesetzänderung, für die sowohl im Bundestag als auch im Bundesrat jeweils Zweidrittelmehrheiten nötig sind. Dazu bauen Union und SPD auf die Stimmen der Grünen. Im neu gewählten Bundestag, der sich erst am 25. März konstituiert, kommen Union, SPD und Grüne wegen der Zugewinne von AfD und Linken nach der Bundestagswahl vom 23. Februar nicht mehr auf eine solche Mehrheit (sogenannte Sperrminorität).

AfD strengt Organstreitverfahren an

Die AfD-Fraktion hatte Bas bereits am vergangenen Freitag mittels anwaltlichen Schreibens ("Konfrontationsschreiben") aufgefordert, die geplanten Sondersitzungen abzusagen. Die Fraktion setzte ihr dazu eine Frist bis zum Montag und kündigte zugleich an, gegebenenfalls vor Gericht zu ziehen. Nachdem am Montag bekannt wurde, dass Bas an den Sondersitzungen festhält, wird die AfD ein Organstreitverfahren (Art. 94 Abs. 1 Nr. 1 Grundgesetz (GG), §§ 63 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG)) gegen die Bundestagspräsidentin anstrengen sowie auf eine entsprechende einstweilige Anordnung vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hinwirken, gab die AfD per am Nachmittag Mitteilung bekannt. 

In Karlsruhe werde sie vertreten durch Dr. Ulrich Vosgerau (Vosgerau Legal, Berlin) und Dr. Christian Conrad (Höcker Rechtsanwälte, Köln), wie AfD-Vize und Fraktionsjustiziar Stephan Brandner auf LTO-Anfrage mitteilte. Bas könne nach Überzeugung der AfD nicht mehr den alten Bundestag einberufen, so Brandner.

Bundestagspräsidentin Bas war schon am Montagmorgen davon ausgegangen, dass es zu Klagen gegen die Sondersitzungen kommen werde. "Man wird sehen, wie es dann am Ende ausgeht", sagte Bas. Sie selbst müsse nach dem Grundgesetz aber den Pflichten ihres Amts nachkommen: "Da gibt es auch keinen Spielraum", die Sondersitzungen nicht einzuberufen.

Wie gut stehen die Chancen für die AfD?

Gegenüber LTO hatten bereits vergangene Woche mehrere Staatsrechtler geäußert, dass die Sondersitzungen des alten Bundestags wohl nicht gegen die Verfassung verstoßen. Solange sich der neue Bundestag noch nicht konstituiert hat, gelte der alte noch als arbeits- und beschlussfähig. Auch Prof. Dr. Christofer Lenz (Oppenländer Rechtsanwälte), Vorsitzender des Ausschusses Verfassungsrecht der Bundesrechtsanwaltskammer, bekräftigte diese Auffassung: "Die AfD-Fraktion und die Abgeordneten des bestehenden 20. Bundestags haben kein Recht darauf, dass Sitzungen des Bundestags unterbleiben. Die Kompetenz zur Einberufung zusätzlicher Sitzungen des Bundestages liegt bei seiner Präsidentin Bärbel Bas", so Lenz. Da sich der 21. Deutsche Bundestag noch nicht konstituiert hat, hätten laut Lenz die "neuen" AfD-Abgeordneten "noch keine wehrfähigen Kompetenzen inne. Ein Recht, über Gesetzesentwürfe selbst zu entscheiden, haben sie erst mit erfolgter Konstituierung".

Die AfD bezweifelt dagegen, dass die Bundestagspräsidentin den bisherigen Bundestag abgesehen von Notfällen einberufen darf. "Das gilt insbesondere, wenn das alte Parlament über so wesentliche Fragen wie die Änderungen des Grundgesetzes entscheiden soll." Die AfD argumentiert in ihrem Konfrontationspapier, schon die Einberufung sei nichtig, da nach Angaben der Bundestagspräsidentin lediglich die Fraktionen von CDU/CSU und SPD diese verlangt hätten – und damit nicht wie vom Grundgesetz gefordert ein Drittel aller Abgeordneten (Art. 39 Abs. 3 S. 3 Grundgesetz (GG)). Fraktionen seien aber nicht befugt, ein Verlangen nach Art. 39 Abs. 3 S. 3 GG zu stellen. Es müssten konkrete, handschriftlich unterzeichnete Verlangen namentlich benannter Abgeordneter vorliegen.

In ihrer Mitteilung vom Nachmittag legt die AfD weitere Argumente nach. Bas verletze mit der Einberufung der Sondersitzungen "Organisations- und Mitwirkungsrechte" des Bundestags, soweit "in fehlerhafter Weise das Alt-Parlament zu einer Sondersitzung einberufen wird, obwohl in vergleichbarer Geschwindigkeit das bereits gewählte, neue Parlament einberufen werden könnte". Die Pflicht zur Einberufung des neuen Bundestags ergebe sich auch insbesondere daraus, dass der Bundespräsident den alten Bundestag aufgelöst hat. Es gebe, so die AfD weiter, "unter dem Grundgesetz auch kein Wahlrecht zwischen zwei nebeneinander existierenden Bundestagen oder ein politisches Ermessen der Bundestagspräsidentin, welchen Bundestag sie einberufen möchte."

Auch Linke stellt Eilantrag

Ebenso will Die Linke mit einem Eilverfahren vor dem BVerfG milliardenschwere Entscheidungen mit alten Mehrheiten im Bundestag verhindern.* Wie die Fraktionsführung mitteilte, stellten einzelne Bundestagsabgeordnete wie auch die künftige Fraktion in Karlsruhe den Antrag auf eine einstweilige Anordnung.

Ziel ist demnach, dass der alte Bundestag nach der für Freitag geplanten Feststellung des Endergebnisses der Bundestagswahl nicht mehr einberufen wird. In der Begründung des Antrags heißt es, die neuen Abgeordneten Ines Schwerdtner und Jan van Aken – die Linken-Bundesvorsitzenden – seien in ihren Mitwirkungsrechten verletzt.

Die Linke hat zugleich signalisiert, dass sie für Gespräche über eine Abschaffung oder Reform der Schuldenbremse zur Verfügung stehe. Sie ist jedoch gegen drastisch erhöhte Verteidigungsausgaben.

Ob am Ende überhaupt relevant wird, wie der juristische Streit ausgeht, wird sich zeigen: Die Grünen-Fraktionsspitze kündigte am Montagmittag an, dem Finanzpaket von Union und SPD zumindest in der zunächst vorgeschlagenen Form nicht zustimmen zu wollen. Wie es auf politischer Ebene weitergeht, hängt damit womöglich nicht mehr vom Recht ab, wenn Union und SPD sich in den Sondersitzungen nicht auf die Stimmen der Grünen verlassen können.

jb/hs/LTO-Redaktion

mit Materialien der dpa

*Anm. d. Red.: Ergänzt am Tag der Veröffentlichung, 15:38 Uhr

Zitiervorschlag

Bundestagspräsidentin hält an Sondersitzungen fest: . In: Legal Tribune Online, 10.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56759 (abgerufen am: 18.03.2025 )

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