Keine neue Blamage für die Bundesregierung. Der Bundestag hat alle drei Richter-Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Die Koalition kann aufatmen, doch woher kamen die Stimmen?
Der Bundestag hat im zweiten Anlauf drei neue Richter für das Bundesverfassungsgericht gewählt. Wie Bundestagsvizepräsidentin Andrea Lindholz bekanntgab, erhielten die von der SPD nominierten Kandidatinnen Sigrid Emmenegger und Ann-Katrin Kaufhold sowie der Unions-Kandidat Günter Spinner in geheimer Wahl jeweils die notwendige Zweidrittelmehrheit der 613 abgegebenen Stimmen. Auf Emmenegger entfielen 446 Ja-Stimmen, 161 Abgeordnete stimmten gegen die Juristin, die vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig kommt. Es gab 6 Enthaltungen. Für die Juraprofessorin Ann-Katrin Kaufhold sprachen sich 440 Abgeordnete aus. Der Verwaltungsrichter Spinner erhielt den Angaben zufolge 424 Ja-Stimmen. Die Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen lag bei 409 Stimmen.
Damit haben Union und SPD einen Konflikt hinter sich gelassen, der die Koalition elf Wochen lang - fast den ganzen Sommer über - schwer belastet hat. Im ersten Versuch war die Wahl im Juli geplatzt, weil in der Union der Widerstand gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf unter anderem wegen deren Haltung zu Abtreibungen so groß geworden war, dass Fraktionschef Jens Spahn (CDU) die Reißleine zog. Die Wahl wurde kurzfristig abgesetzt, die SPD sah das Vertrauen in der Koalition schwer erschüttert. Die Potsdamer Staatsrechtlerin verzichtete später nach einigem Zögern auf ihre Kandidatur. An ihrer Stelle wurde nun Emmenegger gewählt, gegen die es in der Union keine Einwände gab.
Vor allem Unions-Fraktionschef Spahn dürfte bei der Verkündung des Wahlergebnisses ein Stein vom Herzen gefallen sein. Ihm war das Wahldesaster vom Juli angelastet worden, weil er die Stimmung in der Fraktion nicht rechtzeitig erkannt hatte. Er geht deswegen angeschlagen aus dem Konflikt hervor.
Wer sind die neuen Richter?
Günter Spinner ist Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht (BAG). Spinner stand auf der Vorschlagsliste, die das BVerfG Ende Mai beschlossen hatte, ganz oben. Als einziger der drei Vorgeschlagenen war er einstimmig auf die Liste gesetzt worden. Hintergrund ist, dass das BVerfG, wenn eine Stelle zu lange unbesetzt bleibt, gem. § 7a BVerfGG eigene Vorschläge machen kann. Er gilt als fachlich versierter und menschlich umgänglicher Richter. Er wird Nachfolger von Verfassungsrichter Josef Christ.
Ann-Katrin Kaufhold ist für die Nachfolge von Ulrich Maidowski vorgesehen. Die Münchner Rechtsprofessorin gilt als Schülerin von Andreas Voßkuhle, der bis 2020 BVerfG-Präsident war. Im Klimaschutz-Verfahren, das 2021 zum legendären Klima-Beschluss des BVerfG führte, vertrat sie den Bundestag. Ihre Habilitation widmete Kaufhold der "Systemaufsicht" im Zusammenhang mit Finanzmärkten. Ann-Katrin Kaufhold wird voraussichtlich am Freitag vom Bundesrat zur Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts gewählt, wie LTO berichtete.
Sigrid Emmenegger erhielt als Ersatzkandidatin für Frauke Brosius-Gersdorf mit 446 die meisten Stimmen. Sie ist Richterin am Bundesverwaltungsgericht und promovierte einst bei Andreas Voßkuhle, bei dem sie von 2009 bis 2013 auch wissenschaftliche Mitarbeiterin am BVerfG war. Emmenegger hat in den letzten Jahren vor allem über Höchstspannungsfreileitungen und Erdkabel publiziert, Themen also, die keine Angriffspunkte für eine neue Kampagne boten. Ob es sich insofern um einen feigen Vorschlag der SPD handelte, wird in der aktuellen Folge des LTO-Podcasts die Rechtslage diskutiert.
Woher kamen die Stimmen?
Da die Wahl geheim war, bleiben aber auch danach unangenehme Fragen offen. Vor allem eine: Welche Rolle hat die AfD gespielt? Es lässt sich nicht feststellen, ob eine der Zweidrittelmehrheiten nur mit Stimmen der AfD zustande gekommen ist. Das hängt unter anderem davon ab, wie geschlossen die Koalition für ihre Kandidaten gestimmt hat. Gegen Kaufhold gab es zum Beispiel in der Union vereinzelte Bedenken wegen ihrer Haltung zum Klimaschutz und zu Vergesellschaftungen.
Auch das Abstimmungsverhalten der Grünen lässt sich nur schwer einschätzen - vor allem, nachdem Kanzler Friedrich Merz (CDU) die zweitgrößte Oppositionsfraktion in der Generaldebatte am Mittwoch noch scharf attackiert hatte. Die Linke war ihrerseits sauer, weil die Union mit ihr nicht über den Kandidaten Spinner reden wollte. Schließlich entschied sich die Fraktion, ihren Abgeordneten das Abstimmungsverhalten freizustellen. Die AfD hatte vor der Wahl eine Ablehnung Kaufholds angekündigt, gegen die anderen beiden aber keine Einwände geltend gemacht.
Union, SPD und Grüne stellen zusammen 413 Abgeordnete und damit sieben weniger als zwei Drittel aller Parlamentarier. Aus fast allen Fraktionen fehlten aber einzelne Parlamentarier bei der Abstimmung. Nur die SPD meldete Vollzähligkeit. Die Wahlergebnisse zwischen 424 und 446 Stimmen deuten daraufhin, dass wahrscheinlich eher die Minderheit der Linken- und AfD-Abgeordneten für die Richter stimmten, aber jedenfalls so viele, dass die Zwei-Drittel-Mehrheit erreicht wurde.
Die drei neuen Verfassungsrichter müssen nach ihrer Wahl noch ein paar Tage warten, bis sie ihre Büros in Karlsruhe beziehen können. Die Ernennung durch den Bundespräsidenten ist für Anfang Oktober geplant. Bereits an diesem Freitag steht aber im Bundesrat die Wahl der neuen Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts an. Für diesen Posten ist Kaufhold vorgeschlagen.
dpa/fz/LTO-Redaktion
Bundestag wählt Kaufhold, Emmenegger und Spinner: . In: Legal Tribune Online, 25.09.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58242 (abgerufen am: 08.11.2025 )
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