Diverse Bundesländer fordern, den Katalog der Diskriminierungsverbote in Art.3 GG um das Merkmal der sexuellen Identität zu erweitern. LSBTIQ-Personen sollen so für den Fall anderer politischer Mehrheiten in Deutschland geschützt werden.
Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) hatte die Initiative schon 2023 angekündigt, doch lange Zeit passierte nichts. Rund zwei Jahre später nun wird Wegners Versprechen eingelöst: Der Bundesrat entscheidet am Freitag darüber, ob Lesben, Schwule, Bisexuelle sowie trans-, intergeschlechtliche und queere Menschen (LSBTIQ) einen verfassungsrechtlich explizit verbrieften Schutz vor Diskriminierung bekommen sollen.
Einen entsprechenden Antrag (BR-Ds.313/25) haben die Länder Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein für kommenden Freitag auf die Tagesordnung des Plenums der Länderkammer gesetzt. Auch Hamburg kündigte gegenüber LTO an, sich der Initiative anzuschließen. Bekommt der Antrag eine Mehrheit, würde er dem Bundestag zugeleitet.
Konkret soll Art.3 Grundgesetz (GG) um das Merkmal der sexuellen Identität ergänzt werden. Derzeit sieht Absatz-3 vor, dass z.B. niemand wegen seines Geschlechts, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Herkunft oder seines Glaubens benachteiligt oder bevorzugt werden darf. Dass die sexuelle Identität nun in den Katalog dieser Merkmale aufgenommen werden müsse, begründen die Initiatoren damit, dass LSBTIQ-Personen in Deutschland immer noch Benachteiligungen, Anfeindungen und gewaltsamen Übergriffen aufgrund ihrer sexuellen Identität ausgesetzt seien.
"Einfachgesetzliche Diskriminierungsverbote reichen nicht"
Als Beleg dafür verweisen die Länder in ihrem Antrag auf diverse Statistiken, etwa auf eine des Bundesministeriums des Inneren und des Bundeskriminalamts, wonach es im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr fast um die Hälfte mehr Delikte im Bereich "Sexuelle Orientierung" gegeben habe. Im Themenfeld "Geschlechtsbezogene Diversität“ habe sich die Zahl der Straftaten sogar verdoppelt.
Weiter betonen die Länder, dass auch die zahlreichen, bereits existierenden einfachgesetzlichen Diskriminierungsverbote an der Notwendigkeit einer GG-Änderung nichts ändern würden: Zwar habe sich die Lebenssituation der Betroffenen in den vergangenen zwei Jahrzehnten durch einfache Gesetze wie z.B. das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz deutlich verbessert. Nur ein im Grundgesetz verankertes Verbot schaffe aber einen stabilen Schutz und entziehe dieses Gleichheitsrecht dem Wechselspiel der verschiedenen politischen und gesellschaftlichen Kräfte. "In Deutschland, Europa und auch international lassen sich besorgniserregende Bestrebungen zu einer Abkehr vom freiheitlichen und gleichwertigen Verständnis der sexuellen und geschlechtlichen Identität erkennen", heißt es im Entwurf.
Den Vorwurf, ihr Vorschlag stelle eine inhaltsleere, bloß symbolhafte GG-Änderung dar, weisen die Initiatoren von sich: Vielmehr handele es sich um ein klares, verfassungsrechtliches Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung, die von der Gleichwertigkeit und Gleichberechtigung aller Menschen unabhängig von ihrer sexuellen und geschlechtlichen Identität ausgehe. “Eine Erweiterung um den Begriff der sexuellen Identität erkennt explizit die Geschlechtervielfalt an und stellt zugleich ein Bekenntnis zu einer geschlechterinklusiven Rechtsordnung dar.”
“Inhaltsleere Aufblähung”
Ob die Argumentation der CDU-Ministerpräsidenten Wegner, Wüst und Günther indes auch bei ihren Parteifreunden in der Bundestagfraktion verfangen wird, ist fraglich. Noch 2019 war eine entsprechende Gesetzesinitiative von FDP, Linken und Grünen an der Union gescheitert. Ihr damaliger Koalitionspartner, wie heute die SPD, hatte sich für eine GG-Änderung ausgesprochen und tut das auch heute noch, wie die rechtspolitische Sprecherin Carmen Wegge MdB gegenüber LTO klarstellt:
“Wir als SPD-Fraktion begrüßen ausdrücklich die Initiative, die sexuelle Identität als Diskriminierungsmerkmal im Grundgesetz zu verankern. Wir halten es für einen längst überfälligen und wichtigen Schritt.” Die Erweiterung von Artikel 3 des Grundgesetzes um dieses Merkmal würde einen wesentlichen Beitrag zur weiteren Gleichstellung und zum Schutz vor Diskriminierung leisten, so Wegge.*
Anders jedoch die Union: Der aktuelle Kanzleramtsminister und frühere Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Thorsten Frei (CDU), hatte im Jahr 2023 gegenüber LTO der Ergänzung eine Absage erteilt und vor einer "Aufblähung" des GG gewarnt: Die Rechte von Schwulen, Lesben und Bisexuellen seien bereits heute "vollumfänglich grundgesetzlich – auch in Artikel 3 GG – verbrieft". Mit einer GG-Änderung bestehe die Gefahr, "dass weitere Gruppen in den Katalog von Merkmalen des Artikels 3 Absatz 3 Satz 1 GG aufgenommen werden wollen". Die "Präzision des Grundgesetzes" lebe von seiner Kürze und der damit verbundenen Prägnanz.
Union in Sorge: “Diskriminierungsschutz für Pädophile”?
Ähnlich sieht es heute auch der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Günter Krings MdB: Der verfassungsrechtliche Diskriminierungsschutz sei aktuell bereits umfassend. "Ungleichbehandlungen wegen der sexuellen Orientierung werden durch Art. 3 Abs. 1 GG nach der hierzu sehr klaren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz und durch die EU-Grundrechtecharta effektiv untersagt.” Zudem sollte der Grundrechtskatalog des Grundgesetzes, so Krings, nur mit größter Zurückhaltung geändert werden.
Der CDU-Rechtspolitiker äußerte im Gespräch mit LTO auch Bedenken hinsichtlich des Begriffs der "Sexuellen Identität". Dieser sei rechtstechnisch zu unbestimmt, so Krings. "Eine solche offene Formulierung lädt zu Auslegungsstreitigkeiten ein, die niemand will und führt zu Schwierigkeiten, wenn wir sicherstellen wollen, dass sich nicht etwa auch Pädophile auf diese Bestimmung berufen, denn für diesen Personenkreis wollen wir ja alle gerade keinen Diskriminierungsschutz.”
Der Position der Unionsfraktion widersprechen die Initiatoren indes in ihrem Gesetzentwurf aufs Schärfste. Und zwar ebenfalls mit einem Verweis auf das Bundesverfassungsgericht: Das Gericht habe 2017 den Zweck des Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG "äußerst deutlich" erklärt: Dieser liege darin, Angehörige strukturell diskriminierungsgefährdeter Gruppen vor Benachteiligung zu schützen. “Diese diskriminierungsgefährdeten Gruppen, und folglich die auszusprechenden Diskriminierungsverbote, beruhen nicht auf beliebigen Kategorien, sondern erfassen nur jene Gruppen, welche hoch aktuelle strukturelle Abwertungen, Ausgrenzungen, Benachteiligungen und Gewalt erfahren – deshalb ist der Katalog von Diskriminierungskategorien weder beliebig noch endlos", heißt es im Entwurf.
Schutz bereits in einigen Landesverfassungen
Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes verweist auf ihrer Homepage auf den Mehrwert einer GG-Änderung: "Die Aufnahme des Begriffs in Artikel 3 würde gewährleisten, dass homo- und bisexuelle Menschen im selben Maß wie Angehörige anderer sozialer Gruppen vor Benachteiligung geschützt sind." Bereits jetzt ist in den Landesverfassungen von Berlin, Brandenburg, Bremen, dem Saarland, Sachsen-Anhalt und Thüringen dieser Schutz bereits umgesetzt.
Ob sich neben den fünf Ländern, die eine GG-Änderung befürworten, am Freitag noch weitere dazu gesellen werden, ist noch offen. Bayern z.B. wollte sich gegenüber LTO im Vorfeld der Plenarsitzung nicht zum geplanten Abstimmungsverhalten äußern.
Wenn der Bundesrat entscheiden sollte, den Gesetzentwurf einzubringen, kann sich zunächst die Bundesregierung dazu äußern. Um das Grundgesetz zu ändern, bedarf es dann im Bundestag einer Zwei-Drittel-Mehrheit - genau wie abschließend im Bundesrat, der - auch wenn die Initiative von ihm selbst ausging - am Ende des Gesetzgebungsverfahrens über seine Zustimmung zur GG-Änderung entscheidet.
*Anm.der Redaktion: Statement aus der SPD-Bundestagsfraktion wurde am 25.09.2025, 9:31 Uhr, ergänzt.
Bundesrat entscheidet am Freitag: . In: Legal Tribune Online, 24.09.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/58223 (abgerufen am: 07.11.2025 )
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