Die Staatsanwaltschaft Mainz ermittelt gegen den Satiriker Jan Böhmermann wegen seines Schmähgedichts gegen den türkischen Präsident Erdogan. Auch im Auswärtigen Amt hält man das Gedicht laut Tagesspiegel für strafbar.
Satire darf eben doch nicht alles: Das Gedicht über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan, welches Jan Böhmermann am 31. März in seiner Sendung "Neo Magazin Royale" vorgetragen hat, erfüllt aller Voraussicht nach den Tatbestand der Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten, § 103 Strafgesetzbuch (StGB). Dies berichtet der Tagesspiegel unter Berufung auf ein ihm vorliegendes Gutachten des Auswärtigen Amtes. Die Staatsanwaltschaft Mainz betreibt aktuell bereits ein Ermittlungsverfahren gegen den Satiriker.
Die Vorschrift des § 103 StGB ist ein Spezialfall des allgemeinen Straftatbestandes der Beleidigung nach § 185 StGB und enthält eine gegenüber diesem erhöhte Strafandrohung: Statt Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr (bei tätlicher Beleidigung: bis zu zwei Jahren), kann die Strafe im Fall des § 103 StGB bis zu drei Jahre (bei verleumderischer Beleidigung: drei Monate bis fünf Jahre) betragen.
Ebenso wie bei § 185 StGB wird die Tat jedoch nur auf Antrag verfolgt, den in diesem Fall die türkische Regierung stellen müsste. In Regierungskreisen wird mit einem solchen Antrag eher nicht mehr gerechnet, seit Bundeskanzlerin Merkel mit Erdogan telefoniert und Böhmermanns Gedicht als "bewusst verletzend" verurteilt habe, so der Tagesspiegel.
Sonderkonstellation ermöglicht Ermittlungen ohne Strafantrag
Die StA Mainz hat sich mit dem Bundesjustizministerium in Verbindung gesetzt, um zu klären, ob seitens der Türkei dennoch Strafantrag gestellt werden wird. Sollte dies geschehen, wäre zudem gemäß §104a StGB die Zustimmung der deutschen Bundesregierung zur Strafverfolgung notwendig.
Dass die Staatsanwaltschaft Mainz bereits ermittelt, obwohl ein Strafantrag – gemäß §104a StGB eigentlich Voraussetzung des Ermittlungsverfahrens – bislang nicht gestellt wurde, ist der Ziffer 210 der Richtlinien für das Bußgeld- und Strafverfahren geschuldet.
Danach soll die Staatsanwaltschaft in den Fällen der §§ 102 bis 104a StGB "beschleunigt die im Interesse der Beweissicherung notwendigen Ermittlungen durchführen sowie die Umstände aufklären, die für die Entschließung des verletzten ausländischen Staates, ein Strafverlangen zu stellen, und für die Entschließung der Bundesregierung, die Ermächtigung zur Strafverfolgung zu erteilen, von Bedeutung sein können."
Außen- und innenpolitisch brisante Lage
Böhmermanns Gedicht hatte für politische Spannungen mit der Türkei gesorgt: Der deutsche Botschafter in Ankara wurde einbestellt, türkische Medien sprachen von "Hetze", erzürnte Bürger bewarfen das Auslandsstudio des ZDF mit faulen Eiern. Der Sender entfernte das Video daraufhin aus seinem Online-Archiv und schnitt es vor einer Zweitausstrahlung der Sendung heraus. Am vergangenen Sonntag fand laut Tagesspiegel eine Krisensitzung statt, in welcher das Gutachten des Auswärtigen Amtes besprochen wurde.
Ein etwaiges Strafverfahren gegen Böhmermann wäre indes auch innenpolitisch brisant. Die Verurteilung eines deutschen Medienmachers wegen Kritik an einem ausländischen Politiker, der seinerseits mit Zensur und Repression gegen kritische Medien im eigenen Land vorgeht, dürfte vielen als Kotau vor Erdogan erscheinen.
Mit seiner Dichtkunst (Kostprobe: " Und selbst abends heißt's statt schlafen, / Fellatio mit hundert Schafen. / Ja, Erdogan ist voll und ganz, / Ein Präsident mit kleinem Schwanz.“) dürfte Böhmermann die Grenze zur Beleidigung jedoch selbst bei wohlwollender Auslegung und Berücksichtigung von Kunst- und Meinungsfreiheit überschritten haben.
Constantin Baron van Lijnden, Gutachten des AA: Erdogan-Gedicht strafbar: . In: Legal Tribune Online, 06.04.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/18995 (abgerufen am: 01.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag