Druckversion
Freitag, 23.05.2025, 17:41 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/nachrichten/n/bgh-xzr111-17-flug-annullierung-streik-sicherheitskontrolle-entschaedigung
Fenster schließen
Artikel drucken
30753

BGH zu Fluggastentschädigung bei Streik an Sicherheitskontrolle: Außer­ge­wöhn­li­cher Umstand bef­reit nicht immer von der Ver­ant­wor­tung

04.09.2018

Flug annulliert

© VRD - stock.adobe.com

Keine Entschädigung für Streiks als außergewöhnliche Umstände - so weit der Grundsatz der Fluggastrechte-VO. Annulliert die Airline einen Flug aber wegen eines Streiks an der Sicherheitskontrolle, muss sie ggf. dennoch zahlen, so der BGH.

Anzeige

Wird ein Flug gestrichen, ist das für die Passagiere mehr als ärgerlich: Die geplante Urlaubsreise oder der Geschäftstermin stehen plötzlich auf tönernen Füßen. Doch auch im Nachhinein droht oft Ungemacht, nämlich wenn die Geschädigten von der Fluggesellschaft eine Entschädigung verlangen. Die zieht sich gerne auf das Argument der sogenannten außergewöhnlichen Umstände zurück, im Volksmund auch bezeichnet als "Höhere Gewalt". 

Art. 5 Abs. 3 der europäischen Fluggastrechte-Verordnung (VO) Nr. 261/2004 sieht vor, dass in diesem Fall keine Zahlung geleistet werden muss. Zu solchen außergewöhnlichen Umständen zählt nach ständiger Rechtsprechung auch ein Flughafenstreik, für den die einzelne Airline i. d. R. nichts kann. Wird allerdings nur die Sicherheitskontrolle eines Flughafens bestreikt, kann sie durchaus ersatzpflichtig sein, entschied am Dienstag der Bundesgerichtshof (BGH) (Urt. v. 04.09.2018, Az. X ZR 111/17).

Streik muss kein außergewöhnlicher Umstand sein

Der Ausgangsfall stammte aus Hamburg, von wo ein Ehepaar am 9. Februar 2015 eine Urlaubsreise nach Lanzarote starten wollte. Weil aber an diesem Tag die Passagierkontrolle am Hamburger Flughafen bestreikt wurde, annullierte die Airline den Flug und schickte das Flugzeug stattdessen ohne Passagiere auf die kanarische Insel. Das Paar forderte für den Ausfall von dem Unternehmen eine Entschädigung nach Art. 5 Abs. 1 der Fluggastrechte-Verordnung (Fluggastrechte-VO), was dieses aber ablehnte. Dagegen zog das Paar schließlich vor Gericht.

Dort hatte man zunächst keinen Erfolg, da in der bestreikten Kontrolle ein außergewöhnlicher Umstand zu sehen sei, der die Airline von ihrer Entschädigungspflicht freistelle, so die unteren Instanzen. Von dem Streik seien außerdem zahlreiche Passagiere des Lanzarote-Flugs betroffen gewesen, befand das Landgericht (LG) Hamburg im Berufungsverfahren. Zwar wurden nicht alle Kontrollpunkte bestreikt, doch an den weiterhin geöffneten habe sich ein solcher Andrang gebildet, dass es nicht möglich gewesen wäre, die Menschen sorgfältig zeitig bis zum Abflug zu kontrollieren. Daher habe ein Sicherheitsrisiko bestanden, das die Annullierung rechtfertige.

Der BGH hob das Urteil nun auf und verwies die Sache zur neuerlichen Entscheidung zurück nach Hamburg. Der für Reiserecht zuständige X. Zivilsenat sah den Streik "zwar grundsätzlich geeignet, außergewöhnliche Umstände zu begründen", betonte aber: "[...] Dies setzt nach der Fluggastrechteverordnung jedoch voraus, dass sich die Folgen des Ausstands nicht mit zumutbaren Maßnahmen abwenden lassen und diese Folgen die Absage des Flugs notwendig machen." Anders gesagt: Hätte die Airline den Umstand verhindern können, kann sie sich im Nachhinein nicht darauf berufen.

Zu hohe Anforderungen an Airlines?

Aus den Feststellungen des LG Hamburg ergebe sich nicht, dass die Airline aufgrund der überfüllten Passagierkontrollen auf dem Flug überhaupt keine Reisenden hätte mitnehmen können. Aufgrund des Sicherheitsrisikos habe man den Flug ohnehin nicht von sich aus streichen dürfen. Denn für die Sicherheit des Fluges sei die Luftsicherheitsbehörde zuständig. Solange keine Anhaltspunkte für ein konkretes Sicherheitsrisiko vorgelegen hätten, könne man die Absage damit nicht erklären.

Thomas Ubber, Seniorpartner der Wirtschaftskanzlei Allen&Overy in Frankfurt, sieht die Entscheidung zwiegespalten, wie er gegenüber LTO erklärte. Zwar sei es gut, dass der BGH nun klargestellt habe, dass auch Streiks an Passagierkontrollen grundsätzlich außergewöhnliche Umstände begründen könnten. Allerdings drohten den Fluggesellschaften "gravierende Konsequenzen", sofern durch das Urteil das Prinzip der Verschuldenshaftung abgeschafft werden sollte - gerade im Kontext der jüngsten Entscheidung des EuGH zu sog. "wilden Streiks" (Urteil vom 17.4.2018, Az. C-195/17).

Seiner Meinung nach stellt der BGH nämlich zu hohe Anforderungen an Airlines, die auf Streiks reagieren müssen: "Wie soll eine Airline bei Streiks in der Sicherheitskontrolle treffsicher innerhalb kürzester Zeit beurteilen können, ob einem Flug Sicherheitsbedenken entgegenstehen oder nicht? Und wie soll die Airline praktische Maßnahmen gegen die Auswirkungen eines solchen Streiks ergreifen?"

Es bleibe nun abzuwarten, wie das LG Hamburg mit den Vorgaben aus Karlsruhe in seiner neuerlichen Entscheidung verfahren wird.

mam/LTO-Redaktion

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

BGH zu Fluggastentschädigung bei Streik an Sicherheitskontrolle: . In: Legal Tribune Online, 04.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30753 (abgerufen am: 23.05.2025 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Zivil- und Zivilverfahrensrecht
    • Europa
    • Fluggastrechte
    • Flugsicherheit
    • Flugverkehr
    • Verbraucherschutz
  • Gerichte
    • Bundesgerichtshof (BGH)
Wahlplakate in Polen 16.05.2025
Nachrichten

Polen wählt am Sonntag:

Prä­si­den­ten­wahl mit­ent­schei­dend für Jus­tiz­re­form

Die Präsidentenwahl in Polen entscheidet mehr als nur über ein Amt – sie könnte den Kurs der Justizreform, die Zukunft des Rechtsstaates sowie die Rolle des Landes in der EU bestimmen. Europa schaut genau hin.

Artikel lesen
Bundespolizisten gehen am Hauptbahnhof in München 13.05.2025
Schengen-Abkommen

BayVGH zu Kontrolle nach Österreich rechtskräftig:

Bund ver­stößt an Grenzen gegen gel­tendes Recht

Schon lange vor der jüngsten Weisung des neuen Innenministers wurde an der Grenze zu Österreich kontrolliert. Zumindest in einem Fall hat die Bundesregierung damit gegen geltendes Recht verstoßen.

Artikel lesen
Ein Schild mit der Aufschrift Bundesrepublik Deutschland 09.05.2025
Hintergründe

Der Dobrindt-Erlass über Zurückweisungen an der Grenze:

Von der "Herr­schaft des Unrechts" ins "Not­lagen-Chaos"?

Die Diskussion um den Dobrindt-Erlass über Grenz-Zurückweisungen krankt an vielen Missverständnissen. Neben die "Merkel-Rechtsbruch-Theorie" tritt nun Wirrwarr um die Ausrufung einer Notlage. Daniel Thym klärt das juristische Durcheinander.

Artikel lesen
Bundespolizisten stehen am Grenzübergang zwischen dem Ort Freilassing (Deutschland) und der Stadt Salzburg (Österreich) auf der Saalachbrücke und kontrollieren die Einreise. 08.05.2025
Flüchtlinge

Schreiben an die Bundespolizei:

Sind Dobrindts Zurück­wei­sungen recht­lich mög­lich?

Auch Flüchtlinge, die einen Asylantrag stellen wollen, sollen nicht mehr nach Deutschland einreisen können. Nur für vulnerable Gruppen soll es Ausnahmen geben, so die Pläne von Innenminister Dobrindt. Was sagt das Europarecht dazu?

Artikel lesen
Die Statue verkörpert Gerechtigkeit mit Schwert und Waage, symbolisiert das Streben nach Gleichbehandlung vor Gericht und im Rechtsstaat. 06.05.2025
Nachrichten

Studie der Arag zum Vertrauen in den Rechtsstaat:

Hälfte der Deut­schen glaubt an Gleich­be­hand­lung vor Gericht

Wie viel Vertrauen bringen Menschen ihrer Justiz und ihrem Rechtsstaat entgegen? Dieser Frage ist der Rechtsschutzversicherer Arag in einer internationalen Studie nachgegangen. Bei der Effizienz der Gerichte sind die Deutschen skeptisch.

Artikel lesen
Zigarettenautomat 02.05.2025
Rauchen

LG Heilbronn zu Warnhinweisen am Zigarettenautomaten:

Ein Auf­k­leber reicht

Ein Tabakgroßhändler muss nicht jede Auswahltaste eines Zigarettenautomaten mit Warnhinweisen versehen. Der Verbraucher benötige die Hinweise nicht: Seine Kaufentscheidung stehe schon vor dem Gang zum Automaten fest, so das LG Heilbronn.

Artikel lesen
logo lto karriere
TopJOBS
Logo von DLA Piper UK LLP
As­so­cia­te (m/w/x) im Be­reich Cor­po­ra­te/M&A

DLA Piper UK LLP , Mün­chen

Logo von BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
RECHTS­AN­WÄL­TE (W/M/D) FÜR PRO­DUKT­HAF­TUNG

BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB , Köln

Logo von VirchowBund
Ver­bands­ju­rist / Ver­bands­ju­ris­tin (m/w/d)

VirchowBund , Ber­lin

Logo von RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Rechts­an­wäl­te (m/w/d) als An­ge­s­tell­te oder in frei­er Mit­ar­beit

RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH , 100% Re­mo­te

Logo von GvW Graf von Westphalen
Re­fe­ren­da­riat – Steu­er­recht

GvW Graf von Westphalen , Ham­burg

Logo von BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
RECHTS­AN­WÄL­TE (W/M/D) FÜR PRO­DUKT­HAF­TUNG

BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB , Ber­lin

Logo von BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB
RECHTS­AN­WÄL­TE (W/M/D) FÜR PRO­DUKT­HAF­TUNG

BLD Bach Langheid Dallmayr Rechtsanwälte Partnerschaftsgesellschaft mbB , Ham­burg

Logo von hkk Krankenkasse
Voll­ju­rist (m/w/d) Team Kla­gen & Wi­der­sprüche

hkk Krankenkasse , Bre­men

Mehr Stellenanzeigen
logo lto events
Moovijob Day Luxembourg in Trier

23.05.2025, Trier

Plötzlich doch selbständig? Wie aus einer Scheinselbständigkeit von Lehrkräften eine selbständige Tätigkeit werden kann

26.05.2025, Bonn

Logo von Hagen Law School in der iuria GmbH
Fachanwaltslehrgang Erbrecht im Fernstudium/ online

23.05.2025

Konfliktvermeidung durch Vertragsgestaltung und Vertragsgestaltung zur Konfliktlösung

26.05.2025, Frankfurt am Main

Matchwinner Verfahrensrecht

26.05.2025

Mehr Events
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH