Druckversion
Sonntag, 3.12.2023, 15:13 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/nachrichten/n/bgh-xiii-zb-101-19-abschiebungshaft-minderjaehrige-zweifel-alter-aufklaerung/
Fenster schließen
Artikel drucken
43228

BGH zur Abschiebungshaft für Minderjährige: Alters­prü­fung bei Zwei­feln

28.10.2020

Junge Frau hält Hände an einen Zaun

© Siam - stock.adobe.com

Minderjährige sollen vor ihrer Abschiebung nur ausnahmsweise in Haft genommen werden. Lässt sich das Alter nicht klar bestimmen, hat sich das Tatgericht mit den Zweifeln auseinander zu setzen und Aufklärung zu leisten, so der BGH.

Anzeige

Haftrichter müssen bei Abschiebungen gründlich prüfen, ob der Betroffene wirklich volljährig ist, bevor er in Abschiebungshaft genommen wird. Das mahnt der Bundesgerichtshof (BGH) in einer am Dienstag veröffentlichten Entscheidung an. Nur wenn das Alter offenkundig zu niedrig angegeben werde, seien weitere Ermittlungen nicht erforderlich, entschieden die obersten Zivilrichter in Karlsruhe. Zweifel müssten aber aufgeklärt werden (Beschl. v. 25.08.2020, Az. XIII ZB 101/19).

Hier ging es um eine junge Frau, die nach eigener Darstellung 2001 in Eritrea geboren wurde. Allerdings war sie in der Vergangenheit bei der österreichischen Botschaft in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba mit einem Reisepass vorstellig geworden, der sie als 1992 geborene Äthiopierin auswies. Ihr Asylantrag wurde Anfang 2018 abgewiesen. Zwei Abschiebeversuche scheiterten, weil sie sich wehrte und schrie. Das Amtsgericht (AG) Ingolstadt ordnete daraufhin eine erneute Abschiebehaft an, eine Beschwerde wies das Landgericht (LG) Ingolstadt ab.

Im Zweifel muss das Alter aufgeklärt werden

Die Entscheidung hat der BGH nun aufgehoben und festgestellt, dass es unzulässig war, die junge Frau in Abschiebehaft zu nehmen. Nach § 62 Abs. 1 S. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) dürfen Minderjährige nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist. Einen begründeten Ausnahmefall vermissten die Karlsruher Richter in der Entscheidung des Haftrichters aber.

Das AG Ingolstadt war davon ausgegangen, dass die Frau bereits volljährig ist und sah deswegen keinen Anlass für die Ausnahmeregelung. § 26 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) sieht vor, dass ein Gericht den Sachverhalt nur aufzuklären hat, wenn Zweifel an der Volljährigkeit des Betroffenen bestehen.

Der Senat entschied zwar, dass Zweifel nicht bereits dadurch begründet seien, dass der Betroffene selbst angebe, minderjährig zu sein. Wenn dies offensichtlich falsch sei, müssten keine weiteren Ermittlungen zum Alter angestellt werden. Könnten aber keine klaren Aussagen dazu getroffen werden, ob das 18. Lebensjahr bereits begonnen hat, "ist eine weitere Aufklärung erforderlich".

Äthiopischer Kalender läuft mehr als sieben Jahr nach

Und in dem Fall aus Ingolstadt hätten begründete Zweifel an der Volljährigkeit bestanden, so der BGH. So hatte ein Jugendamt den Eindruck gewonnen, dass die Frau "eine zierliche, jugendlich wirkende Person mit einem schlanken, mädchenhaften Körperbau in einer pubertären Entwicklung" sei, die auch "kindlich-jugendlich" kommuniziere.

Sie selbst gab laut BGH an, in Äthiopien falsche Angaben gemacht und sich älter geschminkt zu haben, um an einen Pass zu kommen. Wie es weiter heißt, hatten sich die Gerichte auch auf Datumsangaben in alten Schulzeugnissen gestützt. Dabei hätte ihnen aber klar sein müssen, dass der äthiopische Kalender dem unsrigen um mehr als sieben Jahre nachläuft.

Vor diesem Hintergrund hätte sich der Tatrichter auch mit den abweichenden Einschätzungen der fachkundigen Behörden auseinandersetzen und die eingereichten Urkunden eingehender überprüfen müssen, so der BGH. Die Frau habe daher nicht in Abschiebungshaft genommen werden dürfen. Sie wurde allerdings am 3. Januar 2019 nach Äthiopien abgeschoben.

mgö/LTO-Redaktion

Mit Materialien der dpa

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

BGH zur Abschiebungshaft für Minderjährige: Altersprüfung bei Zweifeln . In: Legal Tribune Online, 28.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43228/ (abgerufen am: 03.12.2023 )

Infos zum Zitiervorschlag
  • Mehr zum Thema
    • Asyl- und Ausländerrecht
    • Abschiebung
    • Flüchtlinge
    • Haft
  • Gerichte
    • Bundesgerichtshof (BGH)
30.11.2023
Asyl

EuGH zum erneuten Antrag auf Asyl:

Zwei Anträge, zwei Merk­blätter

Bei einem weiteren Asylantrag in einem zweiten Mitgliedstaat muss ein Ausländer das Merkblatt über das Asylverfahren erneut erhalten. Die Gefahr einer Abschiebung durch das Erstland ist gerichtlich aber nicht zu prüfen, entschied der EuGH.

Artikel lesen
13.11.2023
Flüchtlinge

Formulierungshilfe des BMI zur Rückführung:

See­not­ret­tung bald strafbar?

Die Bundesregierung will mehr Härte gegen Schleuser. Nach der Formulierungshilfe aus dem BMI für das entsprechende Gesetz könnten jedoch auch Seenotretter einen Straftatbestand erfüllen. Das BMI will sich anders verstanden wissen.

Artikel lesen
03.12.2023
Mord

Übersichten, Pläne, Aufzeichnungen:

Kar­to­grafie des Rechts

Die bekannten Stolpersteine, Stadtforschungsprojekte oder die neuen "Medieval Murder Maps": Recht und Unrecht füllen Karten. Letztere verraten eine ganze Menge über unsere Geschichte, sofern man sich die Zeit nimmt, sie zu studieren.

Artikel lesen
02.12.2023
Notare

Berufsziel Notar:

Wie Jura­stu­die­rende die Wei­chen stellen können

Wer mit dem Gedanken spielt, später im Notarberuf zu arbeiten, kann schon im Studium darauf hinarbeiten. Neben den klassischen Rechtsgebieten wie Erbrecht und Gesellschaftsrecht sollte man sich auch für wirtschaftliche Fragen interessieren.

Artikel lesen
01.12.2023
Gil Ofarim

Resümee zum Prozess gegen Gil Ofarim:

Zer­ris­senes Bild und neue Fragen

Ofarim hat mit seinem Geständnis den Prozess beendet. Er hinterlässt ein zerrissenes Bild, tiefes Bestürzen und unbeantwortete Fragen, die neue Spekulationen ankurbeln. Linda Pfleger hat den gesamten Prozess beobachtet und zieht ein Resümee.

Artikel lesen
30.11.2023
Klimaschutz

Klimaklagen von Umweltverbänden erfolgreich:

Sofort­pro­gramm heißt sofort – auch für die Bun­des­re­gie­rung?

Die Bundesregierung muss mit einem Sofortprogramm für mehr Klimaschutz sorgen, so steht es im Klimaschutzgesetz und so sieht es auch das OVG Berlin-Brandenburg. Die Ampel-Koalition könnte trotzdem auf Zeit spielen. 

Artikel lesen
TopJOBS
Geld ver­die­nen als Te­le­fon­an­walt / Te­le­fon­an­wäl­tin

DAHAG Rechtsservices AG , 100% Re­mo­te

Rechts­an­walt/ Rechts­an­wäl­tin Aus­län­der­recht (m/w/d)

rightmart , Bre­men

Steu­er-/Wirt­schafts­prü­fung­sas­sis­tent*in­nen (m/w/d)

Geipel & Kollmannsberger Partnerschaft mbB , Mün­chen

Wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­ter (m/w/d)

SammlerUsinger , Ber­lin

Re­fe­ren­dar*in / Dok­to­rand*in (m/w/d)

Becker Büttner Held , Ham­burg

Rich­ter/in auf Pro­be (m/w/d)

Ministerium für Justiz und Verbraucherschutz des Landes Sachsen-Anhalt , Mag­de­burg

vier Stel­len als No­ta­ras­ses­so­rin / No­ta­ras­ses­sor (w/m/d)

Sächsisches Staatsministerium der Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung , Dres­den

Voll­ju­ris­ten (m/w/d) – Ih­re Zu­kunft in der hes­si­schen Jus­tiz

Hessisches Ministerium der Justiz , Wies­ba­den

Alle Stellenanzeigen
Veranstaltungen
Montagskaffee: Strategisches Selbstmarketing beim Networking?

04.12.2023

RA-MICRO Basiswissen – der einfache Einstieg in RA-MICRO

04.12.2023

Mandantenakquise mit dem Deutschen Anwaltssuchdienst

04.12.2023

GvW DigiTalk: EU Data Act

05.12.2023

Essentials – Die moderne Anwaltskanzlei

05.12.2023

Alle Veranstaltungen
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH