Minderjährige sollen vor ihrer Abschiebung nur ausnahmsweise in Haft genommen werden. Lässt sich das Alter nicht klar bestimmen, hat sich das Tatgericht mit den Zweifeln auseinander zu setzen und Aufklärung zu leisten, so der BGH.
Haftrichter müssen bei Abschiebungen gründlich prüfen, ob der Betroffene wirklich volljährig ist, bevor er in Abschiebungshaft genommen wird. Das mahnt der Bundesgerichtshof (BGH) in einer am Dienstag veröffentlichten Entscheidung an. Nur wenn das Alter offenkundig zu niedrig angegeben werde, seien weitere Ermittlungen nicht erforderlich, entschieden die obersten Zivilrichter in Karlsruhe. Zweifel müssten aber aufgeklärt werden (Beschl. v. 25.08.2020, Az. XIII ZB 101/19).
Hier ging es um eine junge Frau, die nach eigener Darstellung 2001 in Eritrea geboren wurde. Allerdings war sie in der Vergangenheit bei der österreichischen Botschaft in der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba mit einem Reisepass vorstellig geworden, der sie als 1992 geborene Äthiopierin auswies. Ihr Asylantrag wurde Anfang 2018 abgewiesen. Zwei Abschiebeversuche scheiterten, weil sie sich wehrte und schrie. Das Amtsgericht (AG) Ingolstadt ordnete daraufhin eine erneute Abschiebehaft an, eine Beschwerde wies das Landgericht (LG) Ingolstadt ab.
Im Zweifel muss das Alter aufgeklärt werden
Die Entscheidung hat der BGH nun aufgehoben und festgestellt, dass es unzulässig war, die junge Frau in Abschiebehaft zu nehmen. Nach § 62 Abs. 1 S. 3 Aufenthaltsgesetz (AufenthG) dürfen Minderjährige nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist. Einen begründeten Ausnahmefall vermissten die Karlsruher Richter in der Entscheidung des Haftrichters aber.
Das AG Ingolstadt war davon ausgegangen, dass die Frau bereits volljährig ist und sah deswegen keinen Anlass für die Ausnahmeregelung. § 26 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) sieht vor, dass ein Gericht den Sachverhalt nur aufzuklären hat, wenn Zweifel an der Volljährigkeit des Betroffenen bestehen.
Der Senat entschied zwar, dass Zweifel nicht bereits dadurch begründet seien, dass der Betroffene selbst angebe, minderjährig zu sein. Wenn dies offensichtlich falsch sei, müssten keine weiteren Ermittlungen zum Alter angestellt werden. Könnten aber keine klaren Aussagen dazu getroffen werden, ob das 18. Lebensjahr bereits begonnen hat, "ist eine weitere Aufklärung erforderlich".
Äthiopischer Kalender läuft mehr als sieben Jahr nach
Und in dem Fall aus Ingolstadt hätten begründete Zweifel an der Volljährigkeit bestanden, so der BGH. So hatte ein Jugendamt den Eindruck gewonnen, dass die Frau "eine zierliche, jugendlich wirkende Person mit einem schlanken, mädchenhaften Körperbau in einer pubertären Entwicklung" sei, die auch "kindlich-jugendlich" kommuniziere.
Sie selbst gab laut BGH an, in Äthiopien falsche Angaben gemacht und sich älter geschminkt zu haben, um an einen Pass zu kommen. Wie es weiter heißt, hatten sich die Gerichte auch auf Datumsangaben in alten Schulzeugnissen gestützt. Dabei hätte ihnen aber klar sein müssen, dass der äthiopische Kalender dem unsrigen um mehr als sieben Jahre nachläuft.
Vor diesem Hintergrund hätte sich der Tatrichter auch mit den abweichenden Einschätzungen der fachkundigen Behörden auseinandersetzen und die eingereichten Urkunden eingehender überprüfen müssen, so der BGH. Die Frau habe daher nicht in Abschiebungshaft genommen werden dürfen. Sie wurde allerdings am 3. Januar 2019 nach Äthiopien abgeschoben.
mgö/LTO-Redaktion
Mit Materialien der dpa
BGH zur Abschiebungshaft für Minderjährige: . In: Legal Tribune Online, 28.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43228 (abgerufen am: 05.12.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag