BGH zum Nachbarschaftsstreit: Kein Wege­recht trotz jahr­zehn­te­langer Übung

24.01.2020

Zig Jahre lang waren sich alle einig – dann versperrte ein Nachbar den anderen die Garagenzufahrt. Muss er sich ein gewohnheitsrechtliches Wegerecht entgegenhalten lassen? Der BGH hat nun entschieden: Nein.

Grundbuch, schuldrechtliche Vereinbarung oder Gesetz: Mehr Quellen für die Entstehung eines Wegerechts gibt es laut Bundesgerichtshof (BGH) nicht – zumindest nicht im Verhältnis einzelner Grundstücksnachbarn. Wie das Karlsruher Gericht am Freitag entschied, kann in diesem konkreten Rechtsverhältnis auch durch jahrzehntelange Übung kein Wegerecht aufgrund Gewohnheitsrechts entstehen (Beschl. v. 24.01.2020, Az. V ZR 155/18).

Geklagt hatten die Eigentümer dreier nebeneinander liegender Grundstücke, die mit drei aneinandergrenzenden Häusern bebaut sind. Im rückwärtigen Teil dieser Grundstücke befinden sich Garagen. Der Weg dorthin führt allerdings über das Grundstück eines anderen Nachbarn. Dieser kündigte den "Leihvertrag über das vor über 30 Jahren bestellte, schuldrechtliche Wegerecht" jedoch 2016 und begann mit dem Bau einer Toranlage. Hinter den Häusern stehen auch Mülltonnen, außerdem hat ein gewerblicher Mieter dort ein Lager und seine Werkstatt.

Im Grundbuch war nie ein Wegerecht eingetragen. Trotzdem gab es lange keine Probleme. Nach Darstellung der klagenden Eigentümer stehen die Garagen, die laut Gerichtsmitteilung baurechtlich nicht genehmigt und auch nicht genehmigungsfähig sind, schon seit den 1940er Jahren. Aus den Jahren 1969 und 1973 gibt es Schriftstücke, die die jahrzehntelange Nutzung belegen. Die klagenden Eigentümer, die sich auf ein zu ihren Gunsten bestehendes Wegerecht, hilfsweise auf ein Notwegrecht berufen, wollten erreichen, dass der beklagte Nachbar die Sperrung des Weges durch eine Toranlage zu unterlassen hat.

Kein auf den Einzelfall beschränktes Gewohnheitsrecht

Das Oberlandesgericht (OLG) Köln hatte 2018 entschieden, dass die Zufahrt offenbleiben muss. Das ergebe sich aus Gewohnheitsrecht. Es bestehe "eine langjährige tatsächliche Übung der Eigentümer oder berechtigten Nutzer". Gleichzeitig seien alle Beteiligten davon ausgegangen, "einer rechtlichen Verpflichtung bzw. Berechtigung zu folgen", heißt es in der Kölner Entscheidung.

Der V. Zivilsenat des BGH sah das nun jedoch anders. Im Verhältnis einzelner Grundstücksnachbarn könne ein Wegerecht nicht aufgrund Gewohnheitsrechts durch eine – sei es auch jahrzehntelange – Übung entstehen. Außerhalb des Grundbuchs könne ein Wegerecht vielmehr nur aufgrund schuldrechtlicher Vereinbarung oder als Notwegrecht unter den Voraussetzungen des § 917 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) bestehen.

"Gewohnheitsrecht entsteht durch längere tatsächliche Übung, die eine dauernde und ständige, gleichmäßige und allgemeine ist und von den Beteiligten als verbindliche Rechtsnorm anerkannt wird", so der BGH in seiner Mitteilung. Es enthalte somit eine generell-abstrakte Regelung, die über den Einzelfall hinausweisen muss. "Gewohnheitsrecht kann als dem Gesetz gleichwertige Rechtsquelle allgemeiner Art nur zwischen einer Vielzahl von Rechtsindividuen und in Bezug auf eine Vielzahl von Rechtsverhältnissen entstehen, nicht aber beschränkt auf ein konkretes Rechtsverhältnis zwischen einzelnen Grundstücksnachbarn", heißt es weiter.

Der BGH hob das OLG-Urteil damit auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurück nach Köln. Das OLG müsse prüfen, ob die Zufahrt für die ordnungsgemäße Benutzung der Grundstücke erforderlich ist, so die Karlsruher Richter. Dann könnte ihnen ein Notwegrecht gemäß § 917 Abs. 1 BGB zustehen. Laut BGH kann dies aber schon an der fehlenden baurechtlichen Genehmigung der Garagen scheitern. Soweit die Grundstücke von dem Unternehmer gewerblich genutzt werden, komme laut Gericht ein Notwegrecht hingegen grundsätzlich in Betracht.

acr/LTO-Redaktion

mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

BGH zum Nachbarschaftsstreit: Kein Wegerecht trotz jahrzehntelanger Übung . In: Legal Tribune Online, 24.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39873/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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