Wer um das Leben eines Angehörigen bangt oder trauert, möchte von der Presse in Ruhe gelassen werden. Das APR gewährt auch Promis dieses Recht – unter Abwägung mit berechtigten Informationsinteressen der Öffentlichkeit, so der BGH.
Das Bangen um das Leben eines nahen Angehörigen wird genau wie die Trauer vom allgemeinen Persönlichkeitsrecht (APR) geschützt. Eine Berichterstattung über eine derartige emotionale Ausnahmesituation betrifft den Angehörigen auch dann unmittelbar in seinem APR, wenn dessen Gefühlswelt nur "zwischen den Zeilen" präsent ist. Gleichzeitig löst der Tod einer gesund erscheinenden, mitten im Leben stehenden Person ein berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit an den Umständen des Todesfalles aus. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden und der Unterlassungsklage des Klägers, dem Ehemann der verstorbenen Schauspielerin Lisa Martinek, gegen die Beklagte, der "BILD"-Herausgeberin Axel Springer SE, teilweise stattgegeben (BGH, Urt. v. 13.12.2022, Az. VI ZR 280/21).
Der Ehemann Martineks hatte Axel Springer auf Unterlassung der Berichterstattung in Wort und Bild verklagt, die den Tod der damals bloß 47-jährigen Schauspielerin zum Gegenstand hatte. Als Anspruchsgrundlage stützte er sich auf §§ 1004 Abs. 1 S. 2 (analog), 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.V.m. Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK).
Lisa Martinek war eine – so geht es auch aus dem BGH-Urteil hervor – "in Deutschland sehr bekannte Schauspielerin." Im deutschen Fernsehen galt sie als feste Größe – zu sehen etwa in Produktionen wie der ZDF-Krimireihe "Das Duo" oder der ARD-Serie "Die Heiland – Wir sind Anwalt". 2019 war sie mit ihrem Ehemann und den drei Kindern im Sommerurlaub auf Elba, als sie bei einem Bootsausflug ohnmächtig wurde. Der Ehemann steuerte das Boot umgehend an Land, sämtliche Wiederbelebungsversuche blieben jedoch erfolglos. Ihr Tod löste deutschlandweit große Bestürzung, aber auch mediales Interesse aus. Ausführlich berichtete damals unter anderem die Bild-Zeitung: In mehreren Wort- aber auch Bild-Beiträgen wurde über die Geschehnisse auf dem Wasser und an Land berichtet – die Geschehnisse auf dem Wasser aus „Nahsicht“, also aus Sicht einer fiktiven auf dem Boot anwesenden Person. Die Rettungsversuche von Einsatzkräften auf dem Land schilderte die Berichterstattung dagegen aus der Sicht eines Dritten.
Der Ehemann sah sich durch die Axel Springer SE in seinem APR verletzt und zog vor das Landgericht (LG) Berlin, das ihm im Wesentlichen Recht gab und die Berichterstattung weitgehend untersagte (Urt. v. 06.08.2020, Az. 27 O 615/19). Mit ihrer Berufung zum Kammergericht (KG) Berlin hatte wiederum die Axel Springer SE größtenteils Erfolg (Urt. v. 19.08.2021, Az. 10 U 1068/20). Im Revisionsverfahren vor dem BGH begehrte dann der Ehemann die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils, während die Axel Springer SE vollständige Klageabweisung beantragte.
Es ist nicht das erste Mal, dass sich der BGH mit der Berichterstattung über den Tod Martineks auseinandersetzen musste: Bereits am 17. Mai 2022 untersagte der VI. Zivilsenat der Betreiberin des Internetportals www.bunte.de und der Verlegerin der "BUNTEN" Teile ihrer Berichterstattung (Az. VI ZR 141/21). Die dort angelegten Maßstäbe hat der BGH nun bestätigt.
Bangen und Trauer sind Teil der Persönlichkeitssphäre
Der VI. Zivilsenat arbeitete zunächst heraus, inwieweit das APR den bangenden und später trauernden Ehegatten schützt. Die Richter stellten fest, das APR gewähre ein Recht auf Privatsphäre, kurzum: ein Recht unter Umständen "in Ruhe gelassen zu werden". Das gelte insbesondere für eine Person, die um das Leben eines nahen Angehörigen bangt oder trauert. Es bestehe dort eine berechtigte Erwartung, nicht "Schaulust und Sensationsgier" zum Opfer zu fallen.
Nach Auffassung der Richter beeinträchtigte insbesondere der Bericht über die Vorgänge auf dem Meer diese berechtigte Erwartung des Ehemanns. Daran ändere auch die Bekanntheit Lisa Martineks nichts. Zum einen hatte sich die Familie auf das Boot räumlich zurückgezogen, zum anderen war der Ehemann nicht mit der Veröffentlichung der Berichte einverstanden – es fehle insoweit an einer sog. "Selbstöffnung". Indem über die Umstände des Todes der Schauspielerin in Bild und Wort berichtet wurde, sei somit sein APR betroffen.
Ehemann in Berichten "zwischen den Zeilen" präsent
Von Axel Springer wurde eingewandt, das APR des Ehegatten sei bereits deshalb nicht verletzt, weil die Gefühlswelt des Ehemanns nicht dargestellt worden sei. Dem trat der BGH entgegen: Zwar setze ein Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB stets die "unmittelbare" eigene und nicht nur mittelbare, "reflexartige" Betroffenheit des Klägers in seinem APR voraus. Der Kläger müsse dafür aber bei der Berichterstattung nicht zwingend im Mittelpunkt stehen, vielmehr genüge, dass dessen Persönlichkeitssphäre stillschweigend oder ausdrücklich zum Thema des Berichts zugehörig erscheine.
Dabei hatte das KG als Berufungsinstanz insoweit zwischen der Berichterstattung auf dem Wasser und auf dem Land differenziert – es finde eine "Perspektivwechsel" statt, indem hinsichtlich der Geschehnisse auf dem Boot die "Distanz als Berichterstatter" aufgegeben und erst später wieder hergestellt werde. Diese klare Trennung lediglich anhand des Erzählstils vollzog der BGH nicht mit. Es genüge, dass der Bericht Bezüge zum Ehemann herstelle, dessen Persönlichkeitssphäre dem Leser gleichsam "zwischen den Zeilen" begegne.
Insoweit trennte der BGH zwischen den einzelnen Artikeln der Wortberichterstattung und Bildberichterstattung. Letztere hätten im Wesentlichen keinen hinreichenden Bezug zum Ehemann aufgewiesen, sodass darin keine unmittelbare Beeinträchtigung vorläge. Die in Rede stehenden Wortberichte über das Geschehen auf dem Boot, den Urlaub der Familie und die Rettungsbemühungen beträfen den Ehemann aber unmittelbar und nicht nur reflexartig.
Stirbt ein Mensch mitten im Leben, besteht ein berechtigtes Informationsinteresse
Das APR ist ein sog. Rahmenrecht, sprich: nicht jede Beeinträchtigung ist Verletzung, vielmehr muss diese positiv durch Abwägung mit widerstreitenden Interessen festgestellt werden. Im konkreten Fall traten die Richter also in eine Abwägung mit der Meinungsfreiheit ein (Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 EMRK). Dabei komme es entscheidend darauf an, ob ein "berechtigtes Informationsinteresse der Öffentlichkeit" bestehe oder bloß die Neugier der Leser befriedigt werden solle.
Nach Auffassung der Richter besteht an dem jähen Tod eines mitten im Leben stehenden Menschen ein öffentliches Interesse, das über bloße Neugier hinausgeht. Diese Tatsache könne nämlich Anlass einer Debatte sein und zur öffentlichen Meinungsbildung beitragen. Außerdem sei auch der Ehemann als Schauspieler, Regisseur und Produzent eine Person des öffentlichen Lebens und genieße einen gegenüber einer unbekannten Privatperson herabgesetzten Schutz der Privatsphäre.
Die Frage, ob das APR des Ehemannes dahinter zurücktritt, hat das Gericht in Bezug auf die verschiedenen Bild-Beiträge nicht einheitlich beantwortet. So untersagte das Gericht mehrere Passagen, die sich mit den Vorgängen auf dem Boot, dem Urlaub, aber auch der Einweisung Martineks in ein Krankenhaus beschäftigten. Unbeanstandet blieben allerdings die Bildberichterstattung sowie Ausführungen zu den Rettungsbemühungen an Land. Rettungsmaßnahmen durch Einsatzkräfte würden von einem verstärkten Informationsinteresse begleitet, während die Emotionen des Ehemannes in dieser nicht länger öffentlichkeitsabgewandten Situation zurückträten.
lm/LTO-Redaktion
BGH zum Persönlichkeitsrecht des Ehemanns: . In: Legal Tribune Online, 27.01.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/50912 (abgerufen am: 13.11.2024 )
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