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BGH sieht keine Beleidigung mehr: Wit­ten­berger "Judensau" darf bleiben

14.06.2022

Eine als „Judensau“ bezeichnete Schmähplastik ist an der Stadtkirche zu sehen. Das Relief ist stark umstritten.

Eine als "Judensau" bezeichnete Plastik ist an der Stadtkirche zu sehen. Das Relief ist stark umstritten. Foto: picture alliance/dpa | Hendrik Schmidt

An einer Stadtkirche in Wittenberg befindet sich ein Steinrelief - die Wittenberger "Judensau". Der BGH entschied, dass das Relief nicht entfernt werden muss. Es sei nicht mehr beleidigend.

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Das "Judensau"-Relief an der Stadtkirche Wittenberg muss nicht entfernt werden, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) am Dienstag (Urt. v. 14.06.2022, VI ZR 172/20). Die Richterinnen und Richter wiesen die Revision zurück. Die später von der Gemeinde vorgenommene Kommentierung schaffe Kontextualisierung zu dem Relief und beseitige den beleidigenden Charakter der Darstellung, hieß es bei der Begründung der Entscheidung. Es liege also keine gegenwärtige Rechtsverletzung des klagenden Mannes vor. Auch die Vorinstanz, das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg, kam zu dieser Ansicht.

Das Relief zeigt eine Sau, an deren Zitzen zwei Menschen saugen, die durch Spitzhüte als Juden identifiziert werden sollen. Eine laut BGH als Rabbiner geltende Figur hebt den Schwanz des Tieres und blickt in den After. Schweine gelten im jüdischen Glauben als unrein.

Ein jüdischer Kläger wollte, dass die antijüdische Darstellung entfernt wird. Falls das der Kirche nicht möglich sein sollte, begehrte er hilfsweise die Feststellung, dass das Relief eine Beleidigung nach § 185 des Strafgesetzbuches (StGB) ist. Der Fall hat auch deshalb Brisanz, weil die Wittenberger Stadtkirche als Mutterkirche der Reformation gilt. Hier predigte einst Martin Luther (1483-1546).

 

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Richtiger Kläger, richtige Beklagte

Sowohl vor dem Landgericht Dessau-Roßlau als auch vor dem OLG Naumburg war der Kläger erfolglos. Per Revision zog er dann vor den BGH.

Doch auch da scheiterte er nun. Es fehle an der gegenwärtigen Rechtsverletzung. Isoliert betrachtet verhöhne und verunglimpfe das Relief zwar das Judentum als Ganzes – aber nicht mehr zusammen betrachtet mit der am 11. November 1988 gegossenen Bodenplatte samt Inschrift und Schrägaufsteller mit der Überschrift "Mahnmal an der Stadtkirche Wittenberg". Nach der Sichtweise eines unvoreingenommenen und verständigen Betrachters sei so das "Schandmal" in ein "Mahnmal" zum Zwecke des Gedenkens und der Erinnerung an die jahrhundertelange Diskriminierung und Verfolgung von Juden umgewandelt worden – und habe sich von der diffamierenden und judenfeindlichen Aussage distanziert, so heißt es in der Mitteilung des Gerichts.

Der BGH klärte auch die Frage, ob der Mann überhaupt klagebefugt war. Da das Relief isoliert betrachtet alle Juden verunglimpfe, könne auch jeder Jude in Deutschland dagegen vorgehen. Die bis zur Verlegung der Bodenplatte diffamierende Aussage sei auch der Kirche zuzurechnen, weshalb sie die richtige Beklagte sei.

Auch Ex-BGH-Richter Thomas Fischer vertrat auf LTO die Auffassung, dass das Relief für sich genommen eine Beleidigung darstelle – daran ändere allerdings auch die Bodenplatte nichts. Die Wittenberger "Judensau" gehöre ins Museum, so Fischer.

Der Kläger hatte bereits angekündigt, dass er bei einer Niederlage am BGH auch noch das Bundesverfassungsgericht und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte einschalten werde.

pdi/LTO-Redaktion

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BGH sieht keine Beleidigung mehr: Wittenberger "Judensau" darf bleiben . In: Legal Tribune Online, 14.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48737/ (abgerufen am: 01.02.2023 )

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