In der Verhandlung vor dem BGH deutet sich an, dass die Bundesrichter einem Schadensersatz für "erlittenes Leben" nicht so aufgeschlossen gegenüberstehen könnten wie die Vorinstanz. Eine Entscheidung ist aber noch nicht gefallen.
Gibt es Schadensersatz für "erlittenes Leben"? Dieser Frage stellte sich am Dienstag der Bundesgerichtshof (BGH) im Rahmen der Verhandlung über die Klage gegen einen Arzt, der einen Demenzkranken zu lange am Leben erhalten haben soll. Dabei ließ der VI. Zivilsenat deutliche Bedenken hinsichtlich dieses Begehrens erkennen. Der Sohn eines inzwischen verstorbenen Patienten macht dort posthum Schmerzensgeld und Schadenersatz geltend für die Leiden, die sein Vater unnötigerweise habe erleiden müssen, weil der Mediziner ihn nicht sterben ließ. Noch steht eine eingehende Beratung des Gerichtes aus; aber vieles deutet darauf hin, dass die Revision des Arztes Erfolg haben, die des Sohnes dagegen zurückgewiesen werden wird. abgelehnt werden wird. Wann die Entscheidung (Az. VI ZR 13/18) verkündet wird, soll erst am Mittwoch bekannt gegeben werden.
In dem Verfahren fordert der Sohn vom behandelnden Hausarzt seines Vaters insgesamt mehr als 150.000 Euro an Schmerzensgeld und Ersatz von Behandlungskosten. Sein Vater, schwer erkrankt und unfähig, noch seinen Willen zu äußern, war 2011 mit 82 Jahren gestorben. In den letzten Lebensjahren wurde er per Magensonde ernährt. Der Sohn ist der Ansicht, dass damit das Leiden seines Vaters unnötig in die Länge gezogen wurde. Wie viel Behandlung dieser selbst gewünscht hätte, weiß niemand.
Das Münchner Oberlandesgericht hatte ihm zuletzt 40.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen. Die Richter dort meinten, der Arzt habe seine Pflichten verletzt: Er hätte spätestens 2010, als eine Besserung des Zustandes seines Patienten völlig aussichtlos war, mit dem Betreuer und dem Sohn des Demenzkranken beraten müssen, ob eine Weiterbehandlung noch im Sinne des Patienten wäre.
Unzulässige Bewertung menschlichen Lebens?
Der BGH aber scheint darin nun eine unzulässige Bewertung menschlichen Lebens zu sehen. So gab die Vorsitzende Vera von Pentz zu bedenken, ein Urteil über den Wert eines Lebens verbiete sich. Nur jeder Einzelne für sich könne entscheiden, wann er nicht mehr weiterleben wolle. Dazu zog der Senat auch einen Vergleich mit dem sog. "Röteln-Fall", in dem es darum ging, ob ein schwer behindertes Kind einen Schadensersatzanspruch für sein "erlittenes Leben" haben könnte. Dies war damals vom BGH verneint worden, da kein Werturteil über das Leben eines Menschen gefällt werden dürfe (Urt. v. 18.01.1983, Az. VI ZR 114/81). Zudem wies die Vorsitzende darauf hin, dass der Sohn zu Lebzeiten des Vaters die Möglichkeit gehabt hätte, beim Betreuungsgericht eine Prüfung des Falls zu beantragen.
Der BGH-Anwalt des Klägers, Richard Lindner, wandte ein, Arzt und Betreuer hätten die künstliche Ernährung einfach immer weiterlaufen lassen. Die Justiz müsse nicht entscheiden, was lebenswert sei. Aber wenn der Vater tatsächlich gegen seinen Willen länger habe leiden müssen, sei ein Schmerzensgeld durchaus angebracht.
Der BGH-Vertreter des Mediziners, Siegfried Mennemeyer, argumentierte in der Verhandlung auch, dass die Auffassung des OLG München dazu führen könnte, dass ein finanzieller Druck auf den behandelnden Ärzten lasten würde, ein Leben nicht weiter zu erhalten, wenn sie sonst Ersatzansprüchen fürchten müssten.
Anwalt rechnet nicht mehr mit Sieg
Der Medizinrechtler Wolfgang Putz, der den klagenden Sohn in den beiden vorangegangenen Instanzen vertreten hatte und auch vor dem BGH mit dabei war, wollte dies im LTO-Gespräch kurz nach Ende der Verhandlung nicht so stehen lassen: Es sei "zynisch", so zu argumentierten, während in vielen Heimen gerade Millionen damit verdient würden, Menschen künstlich am Leben zu erhalten.
Auch äußerte Putz sein Unverständnis über die Gedankenspiele der Bundesrichter. Den Vergleich zum Röteln-Fall hält er für unpassend, so Putz, da es damals darum gegangen sei, ob ein (ungeborenes) Leben beendet werden dürfe. Hier hingegen stelle sich die Frage, ob ein natürlicher Sterbeprozess künstlich unterbunden werden solle.
Der Münchner Patientenanwalt, der zahlreiche Sterbewillige und ihre Angehörigen vertritt, rechnet in dieser Angelegenheit nun nicht mehr mit einem Sieg. Das Wichtigste aber ist aus seiner Sicht, dass Ärzte zukünftig wüssten, dass sie in einem solchen Fall mit den Verwandten und Betreuern reden müssten, bevor sie einen Patienten künstlich am Leben erhielten. Ob es nun zu einem Schmerzensgeld reiche, sei dann zweitrangig. "Vielleicht waren wir rechtsgeschichtlich damit einfach etwas zu früh dran", so Putz.
mam/LTO-Redaktion
Mit Materialien von dpa
Verhandlung über Arzthaftung für Lebenserhaltung: . In: Legal Tribune Online, 12.03.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/34327 (abgerufen am: 08.10.2024 )
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