Matratzen können auch dann noch verkauft werden, wenn sie ohne Schutzfolie ausprobiert wurden. Verbrauchern steht deshalb ein Widerrufsrecht zu, entschied der BGH. Matratzen seien keine Hygieneartikel und eher mit Kleidung vergleichbar.
Ein langer Rechtsstreit um das Verbraucher-Widerrufsrecht ist am Mittwoch zu Ende gegangen: Der Bundesgerichtshof (BGH) hat entschieden, dass Matratzen keine Hygieneartikel sind und nicht unter die Ausnahmevorschrift des § 312g Abs. 2 Nr. 3* Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) fallen. Bei Fernabsatzverträgen steht Verbrauchern daher auch dann ein Widerrufsrecht zu, wenn sie die Schutzfolie der Matratze entfernen und ausprobieren (Urt. v. 03.07.2019, Az. VIII ZR 194/16).
Ein Verbraucher hatte 2014 bei einem Onlinehändler eine Matratze bestellt, die in einer Schutzfolie geliefert wurde. In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) des Händlers wurde darauf hingewiesen, dass das Widerrufsrecht bei versiegelten Waren, die aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Hygiene nicht zur Rückgabe geeignet sind, vorzeitig erlischt, wenn die Versiegelung nach der Lieferung entfernt wird. Der Käufer entfernte die Schutzfolie aber, probierte die Matratze aus.
Weniger Tage später teilte der Mann dem Versandhändler mit, dass er die Ware leider zurücksenden müsse und der Rücktransport durch eine Spedition veranlasst werden solle. Das Unternehmen kam dieser Aufforderung allerdings nicht nach, woraufhin der Mann selbst einen Transporteur beauftragte. Nun wollte er die Rückzahlung des Kaufpreises und Erstattung der Rücksendekosten in Höhe von insgesamt 1.190,11 Euro.
Eher mit Kleidung vergleichbar
Schon das Amts- und das Landgericht Mainz waren davon ausgegangen, dass das Widerrufsrecht des Käufers einer Matratze nicht ausgeschlossen werden dürfe. Entscheidend sei, ob hygienische Gründe einer Wiederveräußerung der Ware durch den Unternehmer entgegenstünden. Da eine Matratze gereinigt werden könne, könne der Verkäufer sie auch weiterverkaufen. Der BGH hielt das zwar ebenfalls für einleuchtend, ganz sicher waren sich die Karlsruher Richter aber doch nicht.
Die Regelung im BGB basiert auf der EU-Verbraucherrechterichtlinie (Richtlinie 2011/83/EU). Für deren Auslegung hat die EU-Kommission einen Leitfaden herausgegeben, den die Instanzgerichte für unverbindlich hielten. Darin heißt es: "Damit Artikel (...) vom Widerrufsrecht ausgenommen werden können, müssen triftige Gesundheitsschutz- oder Hygienegründe für die Versiegelung vorliegen". Die Ausnahme vom Widerrufsrecht könnte demnach beispielsweise für "Auflegematratzen" gelten. Der BGH lag den Fall deshalb den Luxemburger Kollegen am Europäischen Gerichtshof (EuGH) vor.
Dieser entschied im März, dass eine Matratze nicht unter den Ausnahmetatbestand der Richtline fällt. Matratzen kämen laut EuGH eher einem Kleidungsstück nahe und damit einer Warenkategorie, für die eine Rücksendung nach Anprobe ausdrücklich vorgesehen sei. Auch nach direktem Kontakt mit dem menschlichen Körper könnten derartige Sachen gereinigt oder desinfiziert werden. Einem erneuten Verkauf stehe nichts im Wege – auch im Hotel schliefen mehrere Hotelgäste auf ein- und derselben Matratze – "aufeinanderfolgend". Und es gebe sogar einen Markt für gebrauchte Matratzen.
Der BGH schloss sich dieser Ansicht nun an und wies die Revision des Online-Händlers zurück. Die Ausnahmeregelung für Hygieneartikel greife nur dann ein, wenn die Ware nach der Entfernung der Versiegelung endgültig nicht mehr verkehrsfähig ist. Matratzen könnten hingegen genau wie Kleidungsstücke gereinigt und desinfiziert werden und wären dann für ein erneutes Inverkehrbringen geeignet. Der Verbraucher habe seine Willenserklärung daher wirksam widerrufen, der Händler müsse dem Käufer den Kaufpreis sowie die verauslagten Transportkosten erstatten.
*korrigiert am Tag der Veröffentlichung, 14:16
acr/LTO-Redaktion
BGH zum Verbraucher-Widerrufsrecht: . In: Legal Tribune Online, 03.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36251 (abgerufen am: 11.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag