BGH stärkt Privatautonomie: Bank darf Girokonto grundlos kündigen

von Marcus Geschwandtner und Stefan Friedrich

16.01.2013

Die Commerzbank durfte einem rechtsextremen Buchhändler das Girokonto grundlos kündigen, so der BGH in einem Urteil von Dienstag. Anders als Sparkassen seien private Banken nicht an die Grundrechte gebunden und das AGG sei erst gar nicht einschlägig. Marcus Geschwandtner und Stefan Friedrich befürchten eine neue Diskussion über ein "Girokonto für jedermann", obwohl diese vermieden werden könnte.

Eine private Bank kann einem Kunden den Girovertrag ordentlich kündigen, ohne dies näher zu begründen. Das entschied der Bundesgerichtshof (BGH) am Dienstag (Urt. v. 15.01.2013, Az. XI ZR 22/12). Geklagt hatte der Buchvertrieb "Lesen und Schenken", der in seinem Programm auch rechtsextreme Titel führt. Die Commerzbank hatte ihm 2009 mitgeteilt, die Kontoverbindung "aus grundsätzlichen Erwägungen" nicht mehr aufrechterhalten zu können.

Die Bank hatte ihre Kündigung auf Nr. 19 Abs. 1 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Privat- und Genossenschaftsbanken gestützt. Nach Ansicht der Karlsruher Richter hält diese Vorschrift einer Inhaltskontrolle stand. Zudem sei es grundsätzlich nicht verbots- oder treuwidrig, wenn eine Privatbank ihr Kündigungsrecht ausübe. Das bürgerliche Recht sei vom Grundsatz der Privatautonomie geprägt und statuiere keine über eine mittelbare Drittwirkung des allgemeinen Gleichheitssatzes begründbare Pflicht, alle Kunden gleich zu behandeln.

Die "weltanschauliche Ausrichtung" sei außerdem kein Grund, bei dem das Diskriminierungsverbot des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes greife, so der Vorsitzende Richter Ulrich Wiechers. Das hatte der BGH bereits auf eine Klage des ehemaligen NPD-Vorsitzenden Udo Voigt gegen ein Wellnesshotel hin festgestellt. Die Unannehmlichkeiten, die ein Wechsel der Bankverbindung mit sich bringe, müsse die Klägerin hinnehmen. Der Anwalt des Buchvertriebs hatte argumentiert, dass jedes Unternehmen auf eine Bankverbindung angewiesen sei und deshalb darauf vertrauen dürfte, dass die Bank die Geschäftsbeziehung nicht grundlos beende.

Sparkassen sind anders als private Banken an Grundrechte gebunden

Mit dem Urteil stärkt der BGH die Rechtsposition nicht öffentlich-rechtlich verfasster Banken. Lediglich aus formalen Gründen verwies das höchste Zivilgericht den Fall an das Oberlandesgericht (OLG) Bremen zurück. Die Vorinstanz müsse noch klären, ob ein ordnungsgemäß bevollmächtigter Mitarbeiter die Kündigung unterschrieben habe.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Karlsruhe mit der Kündigung eines Girovertrags beschäftigen musste. Bereits im Jahr 2003 musste der XI. Zivilsenat die Frage beantworten, ob eine Sparkasse den Girovertrag mit einem NPD-Landesverband wirksam gekündigt hatte. Im Gegensatz zur gestrigen Entscheidung erachtete der BGH die ordentliche Kündigung der Sparkasse für nichtig, da die Bank als Anstalt des öffentlichen Rechts unmittelbar an die Grundrechte gebunden sei und die Kündigung gegen das in Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verankerte Willkürverbot verstoßen habe (Urt. v. 11.03.2003, Az. XI ZR 403/01).

Anders als der Buchhändler konnte sich der NPD-Landesverband zudem auf Art. 21 GG berufen. Als Grund für die Kündigung durfte die Sparkasse nicht eine verfassungsfeindliche Zielrichtung der Partei anführen, da es dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten sei, eine solche festzustellen.

Alljährliche Diskussion um "Girokonto für jedermann"

Dass der BGH gestern abermals über den Fortbestand eines Girovertrags zu entscheiden hatte, zeigt, welche enorme Bedeutung ein Girokonto im Alltag sowohl für juristische als auch für natürliche Personen hat. Außerdem wird offenkundig, wie unsicher Banken und Kunden bei der Beurteilung von Abschluss und Beendigung eines Girovertrags seit geraumer Zeit sind.

Indirekt bezieht sich das aktuelle Urteil damit auch auf das "Girokonto für jedermann". Zwar geht es dabei in erster Linie um Bürger aus sozial schwächeren Schichten. Dennoch dürfte die Entscheidung erneut Anlass geben für die alljährlich öffentlich geführte Diskussion um einen Kontrahierungszwang für Banken.

Seit 1995 fordern Bündnis 90/Die Grünen, die SPD und Die Linke, Banken gesetzlich zu verpflichten, kontolosen Bürgern auf Antrag ein "Girokonto auf Guthabenbasis" einzurichten, sofern dies nicht im Einzelfall unzumutbar ist. Naturgemäß wehren sich die Banken gegen einen solchen Kontrahierungszwang. Sie halten eine Empfehlung des Zentralen Kreditausschusses (ZKA) für ausreichend, die vorsieht, jedem Bürger auf Wunsch ein Girokonto zur Verfügung zu stellen.

Wie Banken einen Imageschaden vermeiden können

Keiner der Ansätze ist perfekt: Ein Kontrahierungszwang ist ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff in die Privatautonomie der Banken. Die Empfehlung des ZKA ist hingegen lediglich eine rechtlich unverbindliche Bitte an die Banken.

Dabei gibt es einen Mittelweg: Entsprechend § 161 Aktiengesetz könnte der Gesetzgeber die Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder jeder Bank verpflichten, jährlich zu erklären, ob der Empfehlung des ZKA im letzten Jahr uneingeschränkt entsprochen wurde und ob ihr im nächsten Jahr weiterhin entsprochen werden soll. Zudem müssten die Banken die Schlichtungssprüche ihrer jeweiligen Kundenbeschwerdestelle zu Streitigkeiten über den Abschluss und die Beendigung von Giroverträgen als bindend akzeptieren. Darüber hinaus könnte die "Erklärung zum Girokonto für jedermann" den bestehenden und potenziellen Vertragspartnern dauerhaft im Internet zugänglich gemacht werden.

Auf diese Weise könnten die Banken einen Imageschaden vermeiden und der enormen Bedeutung des Girokontos im Alltag Rechnung tragen. Rechtliche Unsicherheiten würden beseitigt, während jeder Bank die Möglichkeit verbliebe, jährlich neu zu entscheiden, wie sie mit der Empfehlung des ZKA umgehen möchte. Alles in allem ein Gewinn für alle Beteiligten.

Der Autor Dr. Marcus Geschwandtner ist Rechtsanwalt und Partner, der Autor Dr. Stefan Friedrich Rechtsanwalt am Standort Bonn der Kanzlei Dr. Fandrich Rechtsanwälte. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören das Bank- und Kapitalmarktrecht sowie das Gesellschaftsrecht.

Mit Material von dpa.

Zitiervorschlag

Marcus Geschwandtner und Stefan Friedrich, BGH stärkt Privatautonomie: Bank darf Girokonto grundlos kündigen . In: Legal Tribune Online, 16.01.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7976/ (abgerufen am: 22.04.2024 )

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