Geldstrafen wegen Pyrotechnik gehören praktisch zum Alltagsgeschäft des Sportgerichts beim Deutschen Fußball-Bund. Ob das rechtens ist, darüber entscheidet jetzt der Bundesgerichtshof.
Wer ist zur Verantwortung zu ziehen, wenn auf den Tribünen in Fußball-Stadien verbotene Pyrotechnik oder Böller gezündet werden? Bisher müssen die Vereine dafür büßen und bezahlen. Aber darf der Deutschen Fußball-Bund (DFB) überhaupt diese Geldstrafen verhängen? Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe spricht in dieser Grundsatzfrage am Donnerstag ein Urteil.
Hintergrund ist ein Rechtsstreit zwischen dem DFB und dem FC Carl Zeiss Jena. Im Sommer 2018 wurde im Fanblock des Drittligisten mehrfach Pyrotechnik gezündet. Der Verein wurde daraufhin vom DFB-Sportgericht wegen unsportlichen Verhaltens mit einer Geldstrafe in Höhe von knapp 25.000 Euro belegt. Die Berufung vor dem DFB-Bundesgericht blieb erfolglos, weshalb der Verein dann das Ständige Schiedsgericht für die 3. Liga anrief. Aber auch vor dem Schiedsgericht hatte der Verein keinen Erfolg.
Die obersten Zivilrichterinnen und -richter des BGH überprüfen nun, ob dieser Schiedsspruch Bestand haben kann. Das Frankfurter Oberlandesgericht (OLG) hatte ihn in der Vorinstanz bestätigt und entschieden, dass eine Haftung des Vereins nicht gegen die Grundsätze der öffentlichen Ordnung verstößt. Außerdem stelle das Ständige Schiedsgericht der 3. Liga ein Schiedsgericht dar, das die ordentliche Gerichtsbarkeit ausschließe, so das OLG. Der BGH kann einen Schiedsspruch nur aufheben, wenn er elementare Grundsätze der Rechtsordnung verletzt, wie der Vorsitzende Richter Thomas Koch in der Verhandlung am 1. Juli erläuterte hatte. "Das ist also eine sehr hohe Hürde."
Aber: Ein solcher Grundsatz ist das Schuldprinzip. Es besagt, dass jede Verurteilung und jede Strafe ein Verschulden voraussetzt. Koch sagte, hier werde eine wichtige Weichenstellung sein, ob die Zahlungen rechtlich als Strafe oder Präventionsmaßnahme zu werten seien. Auf der anderen Seite stehe die Verbandsautonomie, die Einschränkungen des Schuldprinzips unter Umständen rechtfertigen könnte.
Ein zentraler Kritikpunkt schien für das Gericht zu sein, dass Heim- wie Gastvereine gleichermaßen haften. Anders als der Gastgeber, der auch wirtschaftlich profitiere, habe der Gastverein keinen Einfluss auf den Stadionbetrieb, sagte Koch.
Fan-Experte sieht Strafensystem kritisch
Die Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) in Frankfurt/Main sowie die Fan-Organisationen sehen die langjährige Praxis seit vielen Jahren kritisch. "Aus Sicht der KOS und der Fanprojekte sollte ein Vorgehen nach Fanvergehen strikt täterorientiert sein, wobei der staatlichen Strafverfolgung Priorität eingeräumt werden sollte", sagte KOS-Leiter Michael Gabriel der Deutschen Presse-Agentur. "Aus unserer Perspektive sollte der Fußball unbedingt vermeiden, ein gefühltes zweites Sanktionssystem aufzubauen. Betroffene Fans beschweren sich seit Jahren über ihren Eindruck, dass sie einer Doppelbestrafung ausgesetzt sind. Hieraus speist sich nicht nur das Feindbild in Richtung Polizei, sondern auch in Richtung DFB."
Die Entscheidung des BGH könnte den Dauerstreit um die Kollektivstrafe neu anfachen. Von einer Kollektivstrafe spricht man, wenn ein Sportgericht einen Club beispielsweise nach Fan-Krawalle dazu verurteilt, Spiele vor leeren Zuschauer-Blöcken oder gar im leeren Stadion auszutragen. Dann müssen auch friedliche Anhänger die Konsequenzen eines Fehlverhaltens anderer tragen. Das Thema ist seit vielen Jahren ein Politikum in den Auseinandersetzungen zwischen der organisierten Fanszene und dem DFB.
"Mit Blick auf die Fanszenen sprechen wir von einer Vielzahl junger Menschen und die allermeisten haben ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl", sagte KOS-Chef Gabriel. "Das wird durch das spezifische Strafensystem im Fußballsport regelmäßig herausgefordert, zum Beispiel wenn große Gruppen von Fans für das Fehlverhalten einzelner bestraft werden, die sogenannten Kollektivstrafen."
DFB-Anwalt Thomas Summerer sagte hingegen nach der Verhandlung im Juli: "Wir halten nach wie vor die Haftung der Vereine für Zuschauerausschreitungen für unerlässlich." Der Verband hoffe, dass auch der Senat die Sicherheit der Zuschauer im Blick habe bei seiner Entscheidung. "Die verschuldensunabhängige Haftung von Vereinen für das Fehlverhalten von ihnen zuzurechnenden Zuschauern ist seit Jahren vom Internationalen Sportgerichtshof Cas wie auch vom Bundesgerichtshof anerkannt", betonte DFB-Interimspräsident Rainer Koch stets. Die bisherigen Entscheidungen im Fall Jena stünden "in vollem Einklang mit dieser seit Jahren geklärten Rechtslage".
dpa/acr/LTO-Redaktion
BGH entscheidet Streit zwischen FC Carl Zeiss Jena und DFB: . In: Legal Tribune Online, 02.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46527 (abgerufen am: 09.10.2024 )
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