Dieselkunden bekommen Prozente, aber nicht den Kaufpreis zurück. Das hat der BGH zur fahrlässig-illegalen Abschalteinrichtung geurteilt. Noch nicht höchstrichterlich geklärt ist aber, ob die Hersteller überhaupt fahrlässig gehandelt haben.
Dieselkunden, in deren Autos eine illegale Abschalteinrichtung verbaut wurde, steht auch bei fahrlässigem Rechtsverstoß des Herstellers ein Schadensersatzanspruch zu; und zwar in Höhe von 5 bis 15 Prozent des Kaufpreises des Fahrzeuges, wobei in gewissen Konstellationen Nutzungen angerechnet werden müssen. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) am Montag in drei Musterverfahren entschieden (Urteile vom 26.6.2023, Az.: VIa ZR 335/21, VIa ZR 533/21 und VIa ZR 1031/22.).
Ursprünglich gestand der BGH Dieselkunden einen deliktischen Schadensersatz nur zu, wenn Hersteller vorsätzlich sittenwidrig illegale Abschalteinrichtungen eingebaut hatten, wie im Falle der berühmt-berüchtigten VW-Prüfstandserkennung; nicht hingegen bei nur fahrlässig-illegaler Abschalteinrichtung. Der EuGH hingegen verlangte keinen Vorsatz für die Schadensersatzhaftung, der BGH musste damit neu verhandeln.
In den zugrundeliegenden Fällen geht es um Thermofenster, die bei in Deutschland völlig üblichen Temperarturen die Abgasreinigung drosseln oder ausschalten und so die Gesundheit der Bevölkerung schädigen.
Statt großem Schadensersatz, also der Rückabwicklung des Kaufvertrages, soll es wegen Vermögensminderung stets einen Anspruch auf Rückzahlung von 5 bis 15 Prozent des Kaufpreises geben. Dies begründet der BGH mit der drohenden Betriebsuntersagung, die die Verfügbarkeit des Fahrzeuges in Frage stelle. Daraus folge der Erfahrungssatz, dass der Käufer das Fahrzeug nicht zu dem vereinbarten Preis gekauft hätte. Die Tatrichter können in der vom BGH genannten Spanne selbst festlegen, wieviel Prozent Schadensersatz gewährt wird, ein Sachverständigengutachten muss dafür nicht eingeholt werden. Wie der BGH auf die Spanne zwischen 5 und 15 Prozent kam, begründete das Gericht am Montag nicht. Von LTO befragte Deliktsrechtsprofessoren blicken mit unterschiedlichen Bewertungen auf den Entscheidungsansatz des BGH, die sich bereits in der mündlichen Verhandlung andeutete.
Noch keine Rechtssicherheit
Ob den Fahrzeugherstellern tatsächlich Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden kann, hatte der BGH nicht zu entscheiden. Mehrere Oberlandesgerichte haben entschieden, dass Hersteller nicht fahrlässig gehandelt hätten, sondern einem unvermeidbaren Verbotsirrtum unterlegen sind. Von daher stellt sich die Frage, welche Bedeutung das Urteil des BGH in der Praxis tatsächlich haben wird. Allerdings betonte der BGH, dass die Hersteller darlegen und beweisen müssen, dass sie weder vorsätzlich gehandelt noch fahrlässig verkannt haben, dass im Fahrzeug eine illegale Abschalteinrichtung verbaut ist.
Für die Bejahung eines "unvermeidbaren Verbotsirrtums" bestünden strenge Vorgaben, so die Senatsvorsitzende Dr. Eva Menges in der Urteilsbegründung. In den der Öffentlichkeit noch nicht vorliegenden Urteilsgründen, sollen sich insoweit dezidierte Vorgaben für die unterinstanzlichen Gerichte finden, nach denen sie ihre Prüfung zu richten haben. Dr. Menges stellt aber auch klar, dass der BGH keine verschuldensunabhängige Haftung anordnen könne, denn das deutsche Recht setze beim deliktischen Anspruch Verschulden voraus. Hintergrund dieser Ausführungen dürfte die Rechtsprechung des EuGH sein, der in seinem Urteil formulierte, dass Mitgliedstaaten der EU vorsehen müssen, dass Dieselkunden bei illegaler Abschalteinrichtung ein Schadensersatz zusteht.
Auch nach diesem Urteil besteht also keine finale Rechtssicherheit für Autohersteller und Dieselkunden. Es ist wahrscheinlich, dass sich der BGH ein weiteres Mal mit der Fahrlässigkeitshaftung bei illegalen Abschalteinrichtungen beschäftigen muss. So könnte er zu überprüfen haben, ob Gerichte bei der Bejahung oder Verneinung eines unvermeidbaren Verbotsirrtums die richtigen Maßstäbe angesetzt haben.
BGH-Urteil zu fahrlässiger illegaler Abschalteinrichtung: . In: Legal Tribune Online, 26.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52079 (abgerufen am: 05.10.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag