Sogar von BGH-Richtern: Immer mehr Kritik an Maas

von Pia Lorenz und Anne-Christine Herr

06.08.2015

2/2: Bundesrichter: "Politisches Weisungsrecht überdenken"

Die Bundesrichter lassen es sich nicht nehmen, auch das in § 147 GVG geregelte externe Weisungsrecht des Justizministers anzusprechen. Zumindest gebe der Fall Anlass, "kritisch über das politische Weisungsrecht gegenüber der Staatsanwaltschaft nachzudenken."

Sie begründen ihre Forderung mit der Stellung sowie der originären Aufgabe der Behörde der Staatsanwaltschaft innerhalb der Verwaltungsstruktur des Landes und weisen nachdrücklich auf die Trennung von Legislative und Exekutive in einem Rechtsstaat hin.

Die Staatsanwaltschaft sei den Gerichten zugeordnet, §§ 141, 144 GVG, und damit selbst ein Teil der Justiz. Sie nehme als Institution eigener Art keine typische Behördenfunkton wahr, sondern gehöre zum Funktionsbereich der Rechtsprechung. Sie erfülle durch ihre vorbereitende Tätigkeit gemeinsam mit den Gerichten die Aufgabe der Justizgewährung auf dem Gebiet der Strafrechtspflege. In einem gewaltenteiligen Rechtsstaat des Grundgesetzes habe die Staatsanwaltschaft folglich nicht den Status einer nachgeordneten Behörde des Justizministeriums.

Mit der Forderung sind sie nicht allein. Seit Jahren bringt vor allem der Deutsche Richterbund (DRB) sie immer wieder in die Justizministerkonferenz ein. Durchsetzen kann er sich bislang nicht. Dabei wollen die Juristen aus der Justiz gar nicht jegliches Weisungsrecht abschaffen, erklärt Christoph Frank, der Vorsitzende des Präsidiums des Berufsverbandes, in dem neben den Richtern auch die Staatsanwälte organisiert sind. Bestimmte Weisungen hält Frank, selbst Staatsanwalt, sogar für erforderlich. Zum Beispiel solche, mit denen ein einheitliches Vorgehen auf bestimmten Gebieten der Kriminalität geregelt wird.

Judikative gegen Anwaltschaft

Er verweist auch darauf, dass die Generalstaatsanwälte in den Ländern, auch wenn diese mittlerweile alle Laufbahnbeamte, also keine politischen Beamten mehr sind, ohnehin in grundsätzlicher Übereinstimmung mit der Regierung handeln müssten. Nur gegen politisch motivierte Einflussnahme im Einzelfall wehrt der Verband sich mit einem zuletzt im Jahr 2014 aktualisierten Vorschlag für einen Gesetzentwurf, der schon aus dem Jahr 2004 stammt.

Aber es gibt Gegenstimmen, insbesondere aus den Reihen der Anwaltschaft. Der Deutsche Anwaltverein (DAV) weist darauf hin, dass "die Staatsanwaltschaft der Exekutive zuzurechnen ist und nicht der Judikative". Damit trifft er eine Klarstellung, die seit Harald Ranges Statement vom Dienstagmorgen, dass Maas in die "Justiz" eingreife, in der öffentlichen Wahrnehmung etwas untergeht.

Als Bestandteil der Exekutive müsse die Staatsanwaltschaft den Weisungen der Landesjustizverwaltung unterliegen, so Rechtsanwalt Ulrich Schellenberg, Präsident des Deutschen Anwaltvereins. Dies folge aus dem Grundsatz des demokratischen Rechtsstaates. "Wir dürfen nicht vergessen, die Exekutive wird dabei durch das Parlament kontrolliert", so Schellenberg weiter. Die Fachminister trügen die parlamentarische Verantwortung für ihre Ressourcen. "Andernfalls droht eine nicht zu akzeptierende 'Demokratielücke', so der DAV-Präsident.

Der bekannte Strafverteidiger Gerhard Strate spricht in der Zeit an, dass die externe Leitungsbefugnis der Landesjustizverwaltung "ein Segen" sein könne. "Das zeigt sich immer wieder in jenen Fällen, in denen Staatsanwaltschaften durch die Politik dazu gezwungen werden, Fehlurteile und Justizirrtümer neu aufzurollen". So setzte im Fall Gustl Mollath, in dem Strate selbst lange als Verteidiger auftrat, der Bayerische Landtag einen Untersuchungsausschuss ein, um die Umstände des Falles zu klären.

Netzpolitik.org-Gründer schon in Maaßens Anzeige namentlich genannt

Das Handelsblatt meldet unterdessen am Donnerstag, dass in der Anzeige des Verfassungsschutzes, welche die Ermittlungen gegen Netzpolitik.org ins Rollen brachte, der Vorwurf des Landesverrats nicht vorkomme. Die Ende März beim Landeskriminalamt in Berlin eingereichte Anzeige, die der Zeitung vorliege, enthalte lediglich die Standardformulierung, dass Maaßen "unter allen rechtlichen Gesichtspunkten" Anzeige erstatte.

Wie bereits bekannt, richtete sich die Anzeige gegen Unbekannt. Zur Versicherung Maaßens, die Anzeige habe sich nicht gegen die Journalisten des Blogs, sondern gegen deren Quellen gerichtet, gebe der Text der Anzeige nur wenig Aufschluss.

Der Blog-Gründer Markus Beckedahl, gegen den später Ermittlungen wegen Landesverrats begannen, werde aber bereits genannt: "Der Blog netzpolitik.org wird von einer Person namens Marcus Beckedahl betrieben", heißt es in dem Text der Anzeige - mit falsch geschriebenem Vornamen. Zuvor wird auf jenen Artikel auf Netzpolitik.org verwiesen, in dem aus dem Haushaltsplan des Bundesamts für Verfassungsschutz für 2013 und dem Konzept zur Internetüberwachung zitiert wurde. "Die im Beitrag wiedergegeben Zitate entstammen - überwiegend im Wortlaut, z.T. auch umgeschrieben - dem Vorwort zum BfV-Wirtschaftsplan 2013 (VS-Einstufung Geheim) und dem vom BfV ... erstellten Konzept der Erweiterten Fachunterstützung Internet (EFI) ... (VS-Einstufung Vertraulich)", zitiert die Zeitung aus der Anzeige.

Grüne wollen weiter Sondersitzung des Rechtsausschusses

FDP-Chef Christian Linder forderte personelle Konsequenzen an der Spitze des Verfassungsschutzes. Der Deutschen Presse-Agentur sagte er, dessen Präsident Maaßen habe "den Vorwurf des Landesverrats durch seine Anzeige ins Feld geführt. Und er hat diesen Vorwurf durch ein Gutachten seines Hauses vorangetrieben. Herr Maaßen hat das offensichtlich getan, weil er seine Behörde nicht im Griff hat und weil er Journalisten einschüchtern wollte - oder zumindest die Einschüchterung von Journalisten billigend in Kauf genommen hat."

Zudem verlangte der Vorsitzende der 2013 aus dem Bundestag abgewählten Liberalen eine Aufarbeitung der politischen Rollen von Justizminister Heiko Maas (SPD) und Innenminister Thomas de Maizière (CDU): "Wer wusste was wann. Wer hat auf wen Einfluss genommen - oder eben nicht".

Der Bundesjustizminister wirke auf ihn "hilf- und orientierungslos in den letzten Wochen", so Lindner. Er sei für das Chaos in diesen Tagen verantwortlich. Er meint, der Justizminister hätte sich früher einschalten müssen – oder gar nicht.  Jetzt Range zum Sündenbock zu machen, sei für ihn eine Form von schlechtem Stil und auch politischer Verantwortungslosigkeit.

Auch Berlins Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) könne das Verhalten des Ministers nicht nachvollziehen, sagte er der "Rheinischen Post" am Donnerstag. "Entweder er versteht sich als vorgesetzte Behörde des Generalbundesanwalts, dann hätte er aber schon seit zwei Monaten eingreifen müssen", sagte Heilmann. "Oder er ist wie ich der Meinung, dass Politik nicht über politische Strafverfahren entscheiden darf, dann hätte er auch jetzt nicht eingreifen dürfen."

Die Opposition will die Affäre nicht auf sich beruhen lassen. Mit scharfen Worten reagierten die Grünen auf die Ablehnung eines Antrags auf eine Sondersitzung des Rechtsausschusses des Bundestages zur Blog-Affäre. "Ich finde es ungeheuerlich, dass Union und SPD keinen dringenden Handlungsbedarf für eine Sondersitzung des Rechtsausschusses sehen", sagte die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, Britta Haßelmann.

Mit Materialien von dpa

* Teaser kurz nach Veröffentlichung wegen neuer Entwicklungen im Bundesinnenministerium geändert am Donnerstag, 06.08.2015, 15:22 Uhr.

Zitiervorschlag

Pia Lorenz und Anne-Christine Herr, Sogar von BGH-Richtern: Immer mehr Kritik an Maas . In: Legal Tribune Online, 06.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16520/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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