Wie ein Lehrbuchfall: Eine Frau will ihren Bankberater adoptieren, um ihn als Alleinerben einzusetzen. Später stellt sich heraus: Sie war unerkannt geisteskrank und geschäftsunfähig. Die Notarkosten muss sie trotzdem zahlen, so der BGH.
Ein kurioser Fall, der Prüfungsämter aufhorchen lassen dürfte, hat es bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) geschafft. Es geht um einen möglicherweise unwirksamen Vertrag, Geschäftsunfähigkeit, Analogie und eine Rechtsprechungsänderung.
Der Sachverhalt könnte so einem Lehrbuch entspringen: Eine Frau wollte ihren ehemaligen Bankberater adoptieren, um ihn als Alleinerben einzusetzen und ihm eine umfassende Vollmacht erteilen. Um das Vorhaben umzusetzen, suchte sie ab August 2021 einen Notar auf. Nach einem Monat Beratung in mehreren Sitzungen entschied sie sich aber um und teilte dem Notar mit, den Mann doch nicht mehr adoptieren und als Erben einsetzen zu wollen. Daraufhin stellte der Notar ihr im Dezember 2021 Kosten in Höhe von knapp über 3.500 Euro in Rechnung. Das Geld zahlte die Frau bisher nicht.
LG und KG lehnen Zahlung ab
Der Notar ließ das nicht auf sich sitzen und zog schließlich vor das Landgericht (LG) Berlin, um seinen Gebührenanspruch durchzusetzen. Dieses lehnte seinen Antrag aber ab, die Frau müsse nicht zahlen. Hiergegen legte der Notar Beschwerde ein. Doch das Kammergericht (KG) stimmte der Vorinstanz zu und wies die Beschwerde zurück.
Beide Gerichte lehnten einen Kostenanspruch des Notars aus § 29 Nr. 1 Gerichts- und Notarkostengesetz (GNotKG) ab. Die Norm regelt, dass derjenige die Notarkosten schuldet, der den Auftrag erteilt oder den Antrag gestellt hat.
Wie sich im Verfahren herausstellte, war die Frau bei Erteilung des Beratungsauftrags unerkannt geisteskrank. Das hatte der Notar im Laufe der Termine nicht erkannt. Die Gerichte stützten ihre Argumentation auf die Schutzvorschriften der §§ 104 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). Die Dame sei nach § 104 Nr. 2 BGB geschäftsunfähig gewesen, der Beratungsauftrag nach dem Rechtsgedanken des § 105 Abs. 1 BGB daher nichtig.
Dem stehe auch § 15 Abs. 1 S. 1 Bundesnotarordnung (BNotO) nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift darf ein Notar seine Urkundstätigkeit nicht ohne ausreichenden Grund verweigern.
Meinungsstreit in Rechtsprechung und Literatur nun entschieden
Bisher waren sich Rechtsprechung und Literatur uneinig, ob ein Kostenanspruch aus § 29 Nr. 1 GNotKG in Fällen der Geschäftsunfähigkeit besteht. Es standen sich – und auch das kennen alle, die Jura studiert haben, aus Klausuren und Hausarbeiten – mehrere Meinungen gegenüber.
So sind einer engen Auslegung nach die §§ 104 ff. BGB analog uneingeschränkt auf die Beauftragung eines Notars anzuwenden, was einen Gebührenanspruch ausschließen würde.
Nach einer, vor allem bis dato in der Rechtsprechung vorherrschenden Ansicht, konnte ein Anspruch dann entstehen, wenn eine konkrete notarielle Beurkundung beauftragt wurde. Denn gerade hier besteht nach § 15 Abs. 1 S. 1 BNotO die Pflicht für den Notar, tätig zu werden.
Die dritte und am weitesten auslegende Ansicht geht davon aus, dass eine Kostenhaftung für jede Tätigkeit des Notars besteht, also nicht nur für eine konkrete Beurkundung. Dieser Ansicht folgte nun der BGH und widersprach damit dem LG und dem KG.
So stellte der BGH mit Beschluss vom 26. Februar 2025 (Az. IV ZB 37/24) fest, dass der beschwerdeführende Notar einen Anspruch auf Zahlung der Kosten habe. Das oberste Zivilgericht Deutschlands hob den Beschluss des KG auf und verwies die Sache an das Beschwerdegericht zurück. Das heißt, das KG muss jetzt noch einmal neu entscheiden.
Die Karlsruher Richter stimmten darin überein, dass ein Gebührenanspruch aus § 29 Nr. 1 GNotKG bestehe, und lehnten damit die direkte oder analoge Anwendung der §§ 104 ff. BGB ab – auch das kennen Jurastudierende aus den ersten Semestern.
Notar hat öffentlich-rechtlichen Anspruch
Zur Begründung erklärt der BGH: Indem die Frau den Notar aufgesucht hat, um zu einer Testamentserstellung, einer Adoption oder einer Vollmachtserteilung zumindest beraten zu werden, habe sie einen Auftrag an den Notar im Sinne des § 29 Nr. 1 GNotKG erteilt. Dabei führten die Vorschriften der §§ 104 ff. BGB auch nicht zur Unwirksamkeit des Vertrags, da diese nicht anwendbar seien, so der BGH.
Die direkte Anwendung scheitere nämlich daran, dass der Anspruch des Notars öffentlich-rechtlicher Natur sei. Es komme kein privatrechtlicher Vertrag zwischen Auftraggeberin und Notar zustande. Nur auf einen solchen seien die Regelungen zur Unwirksamkeit von Verträgen anwendbar. Ein Notar nehme seine Amtsgeschäfte nämlich "aufgrund seiner Eigenschaft als unabhängiger Träger eines öffentlichen Amtes auf dem Gebiet der vorsorgenden Rechtspflege wahr". Unter diese Amtstätigkeit fallen dabei laut BGH alle Tätigkeiten eines Notars, also auch "sonstige Betreuungsgeschäfte" nach §§ 23, 24 Bundesnotarordnung (BNotO).
Dieser Auffassung stehe auch nicht entgegen, dass § 19 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 BNotO den Begriff des "Auftraggeber" verwende. Daraus folge kein privatrechtlicher Auftrag an den Notar.
Auch eine analoge Anwendung scheitert
Das Gericht lehnte auch eine analoge Anwendung der §§ 104 ff. BGB ab. Für eine Analogie sind eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage notwendig. Beides fehlt laut BGH.
Die Karlsruher Richter konnten zunächst keine planwidrige Regelungslücke sehen. § 29 Nr. 1 GNotKG sehe eindeutig eine Kostenübernahme vor. Schon vor Einführung des GNotKG 2013 habe es Rechtsprechung gegeben, wonach eine Gebührenhaftung von geschäftsunfähigen Auftraggebern gegeben war. Hätte der Gesetzgeber das ändern wollen, hätte er einen Ausnahmetatbestand zugunsten Geschäftsunfähiger schaffen können, schloss der BGH daraus*. Da er dies nicht getan hat, sei davon auszugehen, dass er eine Haftung von geschäftsunfähigen Auftraggebern gerade beabsichtigt habe.
Auch eine vergleichbare Interessenlage konnte der Senat nicht feststellen. Anders als im privaten Rechtsverkehr stehe der Einleitung eines notariellen Verfahrens eine mögliche Geschäftsunfähigkeit nicht entgegen. Ein privatrechtlicher Vertrag kann unwirksam sein, wenn eine Partei geschäftsunfähig ist – diese Unsicherheit sei vom Rechtsverkehr zu akzeptieren, so der Gerichtshof. Ein Notar hingegen dürfe eine Beurkundung erst ablehnen, wenn er sich zuvor von der Geschäftsunfähigkeit überzeugt hat. Dies folge aus § 11 Abs. 1 S. 1 Beurkundungsgesetz (BeurkG). Es werde also erst eine kostenpflichtige Leistung erbracht, bevor ein Verfahren beendet werden könne.
BGH: Notar konnte Geschäftsunfähigkeit nicht erkennen
Die Frau verteidigte sich vor Gericht damit, dass der Notar die Sache nicht richtig behandelt habe. Sie stützte sich hierbei auf § 21 Abs. 1 S.1 GNotKG – erfolglos. Danach dürften Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, nicht erhoben werden.
Dafür hätte dem Notar aber ein offen zutage tretender Verstoß gegen eindeutige gesetzliche Normen oder ein offensichtliches Versehen unterlaufen müssen, so der BGH. Das wäre der Fall, hätte der Notar die Geschäftsunfähigkeit schon bei Auftragserteilung erkannt. Dafür sah das Gericht aber keine Anhaltspunkte.
tw/LTO-Redaktion
*Irreführende Formulierung korrigiert am Tag der Veröffentlichung, 18.34 Uhr.
BGH bejaht Zahlungsanspruch: . In: Legal Tribune Online, 28.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56897 (abgerufen am: 22.05.2025 )
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