Richtervorlage an BVerfG: BGH hält ärztliche Zwangsmaßnahmen teil­wei­se für ver­fas­sungs­wid­rig

14.07.2015

Der BGH hält die 2013 eingeführten Bestimmungen über ärztliche Zwangsmaßnahmen für teilweise verfassungswidrig. Nun soll das BVerfG klären, ob die Regelungen gegen den Gleichheitssatz verstoßen.

In dem Ausgangsverfahren geht es um eine 63-jährige Frau, die unter einer schizoaffektiven Psychose leidet und deswegen unter rechtlicher Betreuung steht. Zudem wurde bei ihr eine Autoimmunkrankheit diagnostiziert, die zu großflächigen Hautausschlägen und massiver Muskelschwäche führte. Im Zuge der Behandlung ergab sich auch der Verdacht auf Brustkrebs. Weitere Untersuchungen bestätigten ein - noch nicht durchgebrochenes - Mammakarzinom. Die Betroffene hat einer Behandlung der Krebserkrankung widersprochen. Aufgrund ihrer Erkrankung ist sie inzwischen körperlich stark geschwächt und kann weder gehen noch sich selbst mittels eines Rollstuhls fortbewegen.

Ihre Betreuerin beantragte beim Betreuungsgericht, die Unterbringung der Betroffenen in einer geschlossenen Einrichtung sowie ärztliche Zwangsmaßnahmen zur Behandlung des Brustkrebses zu genehmigen. Ohne eine ärztliche Behandlung werde die Tumorerkrankung rasch fortschreiten und unausweichlich zu Pflegebedürftigkeit, Schmerzen und letztlich zum Tod der Betroffenen führen. Diese könne aufgrund ihrer psychischen Erkrankung die Notwendigkeit von Unterbringung und Behandlung nicht erkennen und nicht nach dieser Einsicht handeln.

Ungleichbehandlung von Patienten mit und ohne "Weglauftendenz"

Das Amtsgericht Stuttgart und später auch das Landgericht Stuttgart lehnten das Ersuchen der Betreuerin ab. Eine geschlossene Unterbringung komme nach § 1906 BGB nicht in Betracht, weil die Betroffene bettlägerig sei und auch keinerlei Weglauftendenzen zeige. Ohne eine geschlossene Unterbringung gestatte das Gesetz aber auch keine ärztlichen Zwangsmaßnahmen, so die Gerichte. Der Fall landete schließlich vor dem Bundesgerichtshof (BGH).

Der XII. Zivilsenat hat nunmehr den Fall dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vorgelegt. Das höchste deutsche Gericht soll klären, ob die Regelungen zur Zwangsunterbringung und Zwangsbehandlung gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen (Beschl. v. 01.07.2015, Az. XII ZB 89/15).

Dies ist nach Ansicht des BGH der Fall, da eine in stationärem Rahmen erfolgende ärztliche Maßnahme nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB (Untersuchung des Gesundheitszustands, Heilbehandlung oder ärztlicher Eingriff) gegen den natürlichen Willen des Betroffenen nur möglich ist, wenn der Betroffene zivilrechtlich untergebracht ist, nicht jedoch, wenn eine freiheitsentziehende Unterbringung ausscheidet, weil der Betroffene sich der Behandlung räumlich nicht entziehen will oder aus körperlichen Gründen nicht entziehen kann. Einen hinreichender Grund für diese Unterscheidung kann der BGH nicht erkennen.

mbr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Richtervorlage an BVerfG: . In: Legal Tribune Online, 14.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16220 (abgerufen am: 08.10.2024 )

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