2. Strafsenat legt erneut Frage zur Wahlfeststellung vor: Großer Senat soll zur Zuläs­sig­keit der Wahl­fest­stel­lung ent­scheiden

03.11.2016

Der 2. Strafsenat am BGH ist von der Verfassungswidrigkeit der Wahlfeststellung überzeugt - im Gegensatz zum 5. Senat. Nun ruft der Senat unter Thomas Fischer erneut den großen Senat zur Klärung an.

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) hat dem Großen Senat für Strafsachen die Frage vorgelegt, ob Verurteilungen auf der Grundlage einer so genannten "Wahlfeststellung" allgemein zulässig sind und ob sie im Einzelfall durch gesetzliche Regelungen verdrängt werden (Beschl. v. 02.11.2016, Az. 2 StR 495/12). 

Es ist schon das zweite Mal, dass der Senat unter dem Vorsitz von Thomas Fischer diese Frage vorlegt. Zugrunde liegt ein Fall, in dem das Landgericht, weil der Sachverhalt insoweit unaufklärbar war, die Angeklagten "wegen (gewerbsmäßigen) Diebstahls oder (gewerbsmäßiger) Hehlerei" verurteilt hatte. Eine solche wahldeutige Verurteilung ist nach seit langer Zeit bestehendem Richterrecht zulässig, wenn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme einer von zwei sich ausschließenden Tatbeständen sicher gegeben ist, jedoch offen bleibt, welcher Sachverhalt vorliegt. Die Rechtsprechung lässt in diesen Fällen eine Wahlfeststellung zu, wenn eine dritte Möglichkeit ausgeschlossen ist und die beiden möglichen Taten "rechtsethisch und psychologisch vergleichbar" sind. Die Strafe wird in diesem Fall aus dem milderen Strafrahmen festgesetzt. Das Verhältnis zwischen Diebstahl und Hehlerei ist der häufigste Fall der Wahlfeststellung. Die Rechtsprechung hat sie aber auch für zahlreiche andere Konstellationen zugelassen. 

Nach Meinung des 2. Strafsenats müsste aber in solchen Fällen jeder Tatbestand gesondert geprüft und in Anwendung des Grundsatzes "im Zweifel für den Angeklagten" der Angeklagte freigesprochen werden, weil keine der beiden Taten zweifelsfrei bewiesen ist. 

Geldwäsche als Auffangtatbestand?

Der 2. Strafsenat hält die richterrechtliche Grundlage wegen Verstoßes gegen das Gesetzlichkeitsprinzip im Strafrecht (Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz) für verfassungswidrig. Er hatte diese Frage bereits im Jahr 2015 dem Großen Senat für Strafsachen vorgelegt. Die Vorlage hatte er dann aber im August 2016 zurückgenommen, weil im bisherigen Verfahren noch nicht geprüft worden war, ob die Anwendung der Wahlfeststellung im konkreten Fall nicht schon deshalb ausscheidet, weil im Tatbestand der Geldwäsche gem. § 261 Strafgesetzbuch (StGB) ein gesetzlicher Auffangtatbestand besteht, der als geschriebenes Recht eine entgegenstehende richterrechtliche Praxis ausschließt.

Schon eine Woche nach dem Rücknahmebeschluss des 2. Strafsenats entschied dann aber der 5. Strafsenat, der Tatbestand der Geldwäsche verdränge die Wahlfeststellung zwischen einzelnen Tatbeständen aus dem gesetzlichen Katalog seiner Vortaten nicht (Beschl. v. 16.08.2016, Az. 5 StR 182/16 ). Es sei daher "wahldeutig" zu verurteilen.  

Der 2. Strafsenat hat nun – nach Durchführung einer erneuten Hauptverhandlung – entschieden, wegen grundsätzlicher Bedeutung wiederum den Großen Strafsenat mit der Frage zu befassen. Er hält weiterhin an seiner Ansicht fest, dass es für die "Wahlfeststellung" einer gesetzlichen Grundlage bedürfe, weil es sich nicht allein um eine prozessuale Entscheidungsregel, sondern um materielles Strafbegründungsrecht handele, das den Erfordernissen des Art. 103 Abs. 2 GrundgesetzG unterfalle. 

Überdies, so meint der 2. Strafsenat abweichend vom 5. Senat in Leipzig, sei eine wahldeutige Verurteilung wegen gewerbsmäßigen Diebstahls oder gewerbsmäßiger Hehlerei ausgeschlossen, weil beide Alternativen Katalogtaten des § 261 StGB seien. Nach dessen eindeutigem Wortlaut – unabhängig vom möglichen subjektiven Willen des Gesetzgebers – sei dieser Tatbestand als Auffangtatbestand anzuwenden. 

acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

2. Strafsenat legt erneut Frage zur Wahlfeststellung vor: . In: Legal Tribune Online, 03.11.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/21052 (abgerufen am: 13.10.2024 )

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