Der Bundesgerichtshof muss sich im Rahmen von Revisionsentscheidungen zunehmend mit der neuen Cannabis-Rechtslage befassen. Am Mittwoch veröffentlichte das Gericht zwei Leitentscheidungen, eine davon zum Verhältnis von KCanG und BtMG.
Weil sich die Rechtslage zugunsten von Cannabiskonsumenten seit dem 1. April durch das Cannabis- bzw. Konsumcannabisgesetz (KCanG) geändert hat, muss der Bundesgerichtshof (BGH) zunehmend Strafurteile korrigieren, in denen im Zusammenhang mit Cannabis noch Strafvorschriften des "alten" Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) angewendet wurden.
Hintergrund für die Abänderung von Strafurteilen ist die Vorschrift des § 2 Abs. 3 Strafgesetzbuch (StGB), der nach § 354a Strafprozessordnung (StPO) auch im Revisionsverfahren zu berücksichtigen ist: "Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden." Cannabis fällt seit 1. April nicht mehr unter das BtMG, sondern unter das KCanG. Dort finden sich zwar ähnliche Strafvorschriften wie im BtMG, die Strafrahmen sind jedoch niedriger.
Von der nun geltenden milderen Rechtslage profitiert nach einem am Mittwoch veröffentlichen Beschluss des Ersten Strafsenates des BGH ein Angeklagter, der noch vom Landgericht (LG) Heilbronn im August 2023 wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt worden war (Beschl. v. 29.10.2024, Az. 1 StR 382/24).
Amphetamine statt Cannabis geschmuggelt
Der Mann hatte dem Haupttäter dabei geholfen, eine in einer Hydraulikpresse versteckte, nicht geringe Menge Amphetamine, die aus den Niederlanden nach Deutschland transportiert worden war, zum gewinnbringenden Weiterkauf bereitzustellen. Sein Unterstützungsbeitrag bestand darin, bei der Bereitstellung eines Stellplatzes zum Ausbau der Betäubungsmittel behilflich zu sein. Dazu hatte der Mann das Gelände seines Arbeitgebers auserkoren.
Allerdings ging er von Anfang an davon aus, dass es sich bei der verbotenen Ladung in der Presse nicht um die als gefährlich geltende Droge Amphetamin, sondern um Cannabis handelte. Als die Tat aufflog, war seine Überraschung entsprechend groß. So oder so: Das LG verurteilte den Angeklagten wegen eines Verstoßes gegen das BtMG.
Der BGH änderte nun den Schuldspruch zugunsten des Mannes. Da der Umgang mit Konsumcannabis seit 1. April abschließend im KCanG geregelt ist, seien entsprechende Taten allein nach der Strafvorschrift des 34 KCanG zu bewerten, wenn dies im Vergleich zum BtMG für den Angeklagten zu einem günstigeren Ergebnis führe. Der Mann habe sich daher hier wegen wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Cannabis nach §§ 34 Abs.1 Ziff.4 KCanG, 27 StGB und nicht wegen Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nach dem BtMG (§§29a Abs.1. Ziff. 2, 27 StGB) strafbar gemacht. Dies gelte auch beim Handeltreiben mit einer nicht geringen Menge Cannabis (§ 34 Abs.3 Ziff.4). Auch insoweit sei im Vergleich zum BtMG der Strafrahmen im KCanG niedriger.
Beihilfevorsatz wegen “tatbestandlicher Verwandtschaft”
Ausführliche Ausführungen machte der BGH schließlich zu der dogmatischen Frage, warum es überhaupt möglich ist, den Mann wegen Beihilfe zu einer Straftat nach dem KCanG zu verurteilen, obwohl der Haupttäter wegen Handeltreibens mit Amphetaminen gegen ein ganz anderes Gesetz, nämlich das BtMG, verstößt.
Der BGH stellte diesbezüglich klar, dass die irrige Vorstellung des Angeklagten, er helfe beim Cannabis- und nicht beim Amphetaminhandel, seinen Beihilfevorsatz unberührt lasse. Dieser entfalle nur, wenn er sich eine grundsätzlich andere Tat vorstelle. Beihilfe komme dagegen in Betracht, wenn zwischen vorgestellter und tatsächlich begangener Tat "eine tatbestandliche Verwandtschaft" bestehe, so der Senat.
Gefahr auch beim Konsum von Cannabis
Sind also Cannabis- und Amphetaminstraftaten trotz der Teilegalisierung und geänderter Risikoeinschätzung beim berauschenden Hanf rechtlich als eine "Familie" zu betrachten?
Laut BGH ja. Zwischen den strafbewehrten Taten nach dem KCanG und denen im BtMG bestehe gewissermaßen ein Verwandtschaftsverhältnis. Zwar habe der Gesetzgeber seit 1. April Cannabis bewusst einem anderen Regelungsregime unterstellt, das von dem des BtMG insoweit abweiche, als der Umgang mit Cannabis zum Eigenkonsum nunmehr in eng umgrenzten Ausnahmefällen erlaubt sei. Auch sehe das KCanG im Vergleich zum BtMG deutlich niedrigere Strafrahmen vor. Aber: "Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich allerdings auch, dass der Normgeber weiterhin davon ausgeht, der Konsum von Cannabis sei grundsätzlich gefährlich sei", so der Erste Strafsenat in seinem Beschluss.
Die Vergleichbarkeit beider Gesetze ergebe sich auch daraus, "dass der Gesetzgeber die Straftatbestände des KCanG denen des BtMG nachgebildet und sich bewusst an die Begrifflichkeiten desselben angelehnt hat". Nach dem Beschluss des BGH muss sich nunmehr eine andere Strafkammer des LG Heilbronn erneut mit dem vermeintlichen Cannabisdeal befassen. Dem Angeklagten winkt eine niedrigere Strafe.
Kein Aufteilen großer Cannabismengen auf verschiedene Wohnsitze
In einer anderen ebenfalls am Mittwoch veröffentlichten Leitentscheidung stellte der BGH klar, dass sich die strafbewehrt verbotene Besitzmenge nach dem neuen KCanG (mehr als 60 Gramm Cannabis am Wohnsitz zum Eigenkonsum) nicht dadurch umgehen lässt, indem man mehr als 60 Gramm einfach auf verschiedene Wohnsitze verteilt.
"An verschiedenen Wohnsitzen und dem gewöhnlichen Aufenthalt gleichzeitig vorgehaltene Cannabismengen sind zur Bestimmung der strafrechtlich relevanten Freigrenze nach § 34 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b KCanG zusammenzurechnen", entschied das Gericht (Urt. v. 29.10.2024, Az. 1 StR 276/24).
BGH zu Cannabis: . In: Legal Tribune Online, 27.11.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55973 (abgerufen am: 11.12.2024 )
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