Beginn der IGH-Anhörungen: Gibt es eine völ­ker­recht­liche Pflicht zum Kli­ma­schutz?

von Dr. Franziska Kring

02.12.2024

Vor dem IGH fordert Vanuatu, Versagen beim Klimaschutz als Verstoß gegen Völkerrecht anzuerkennen. Das Rechtsgutachten könnte weitreichende Folgen für die Klimapolitik haben und für das Völkerrecht.

Welche Bedeutung der Fall für sein Land hat, machte Ralph Regenvanu, der Außenminister und auch Klimabeauftragter des kleinen Pazifikstaats Vanuatu ist, nach wenigen Augenblicken klar: "Wir stehen an vorderster Front einer Krise, die wir nicht verursacht haben, einer Krise, die unsere Existenz und die Existenz vieler anderer Menschen bedroht", sagte Regenvanu am Montag vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH).

Welche Bedeutung der Fall auch für die anderen Staaten und das internationale Recht als solches hat, zeigt sich nicht zuletzt an der Rekordzahl der Teilnehmenden: Bei den Anhörungen, die noch bis zum 13. Dezember 2024 in Den Haag stattfinden, werden 98 Staaten und 12 internationale Organisationen ihre Argumente vortragen.

Der IGH soll in einem Rechtsgutachten unter anderem die Frage klären, inwieweit Staaten rechtlich zum Klimaschutz verpflichtet und für die Folgen des Klimawandels vor allem in den ärmeren Staaten verantwortlich sind. Vanuatu hatte gemeinsam mit 17 anderen Staaten, darunter auch Deutschland, einen Resolutionsentwurf in die Generalversammlung eingebracht. Im März 2023 hatte die Generalversammlung die Resolution verabschiedet (A/RES/77/276), LTO berichtete

Am Montag forderte Regenvanu den IGH auf, anzuerkennen, "dass das Verhalten, das meinem Volk und so vielen anderen bereits schwerwiegende Schaden zugefügt hat, rechtswidrig ist und dass seine Folgen behoben werden müssen". Die Staaten müssten zur deutlichen Reduzierung des Ausstoßes von Treibhausgasen und zu Reparationszahlungen für die von ihnen verursachten Schäden verpflichtet werden. Er will also die Feststellung erreichen, dass ein Versagen beim Klimaschutz auch ein Verstoß gegen internationales Recht ist.

"Menschen haben fast alles verloren, was ihr Leben ausmacht"

Vanuatu ist wie kaum ein anderer Staat schon jetzt von den Folgen des Klimawandels betroffen und durch den steigenden Meeresspiegel in seiner Existenz bedroht. Seine Vertreter bekamen am Montag als erste das Wort. Die Staaten, die mit dem Ausstoß von Treibhausgasen für die Folgen des Klimawandels verantwortlich seien, verstießen nicht nur gegen den Grundsatz der Vermeidung erheblicher Umweltschäden, sondern u.a. auch gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker und verschiedene Menschenrechte, so Vanuatus Generalstaatsanwalt Arnold Kiel Loughman.

Insbesondere um das Selbstbestimmungsrecht ging es in den verschiedenen Stellungnahmen der Vertreter Vanuatus immer wieder. Demnach können Staaten das eigene politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle System frei bestimmen. Es zählt zum Völkergewohnheitsrecht, ist aber unter anderem auch in Artikel 1 Abs. 1 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte geregelt. Das Selbstbestimmungsrecht ist ein "Eckpfeiler der internationalen Rechtsordnung", so der Menschenrechtler Julian Aguon. Immer wieder komme es zu Naturkatastrophen wie Wirbelstürmen, dadurch würden ganze Völker vertrieben und Existenzen zerstört. Die Menschen in Vanuatu hätten "fast alles verloren, was ihr Leben ausmacht", sagt Aguon.

Deutschland: Rechtliche Pflichten vs. freiwillige Beiträge

Auch Deutschland hatte die von Vanuatu angestoßene Resolution unterstützt. Bei der Anhörung am Montag betonten die Rechtsvertreter jedoch, es sei wichtig, zwischen rechtlichen Pflichten und freiwilligen Beiträgen zu unterscheiden.

In seiner Stellungnahme ging der Potsdamer Völkerrechtler Prof. Dr. Andreas Zimmermann insbesondere auf den Zusammenhang zwischen dem Klimawandel und den Menschenrechten ein. Beides seien grundsätzlich parallele Vertragsregime, die sich allerdings gegenseitig beeinflussten. Wenn Staaten aber Maßnahmen zum Klimaschutz ergriffen, sollten sie ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen berücksichtigen – und umgekehrt. In puncto Klimaschutz sei natürlich das Pariser Klimaschutzübereinkommen aus dem Jahr 2015 das entscheidende Vertragswerk. Deutschland bekenne sich klar dazu.

"Nicht abstrakte Personen vor abstrakten Risiken bewahren"

Eine entscheidende Frage ist aber, inwiefern Staaten wie Deutschland extraterritoriale Verpflichtungen gegenüber Menschen in den Pazifikstaaten haben, also Menschen, die nicht auf ihrem Hoheitsgebiet wohnen. Grundsätzlich bezieht sich die Hoheitsgewalt eines Staates nur auf Personen auf dessen Territorium. Es gibt zwar Ausnahmen, in denen eine extraterritoriale Anwendbarkeit anerkannt ist, nämlich wenn ein Staat die "effektive Kontrolle" über Personen ausübt. Zwischen einem Staat, von dessen Hoheitsgebiet Emissionen ausgehen, und einer bestimmten Person oder sogar ganzen Bevölkerungsgruppen im Ausland bestehe jedoch keine solche besondere Verbindung, so Zimmermann.

Zimmermann bezog sich hier auch auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) im Fall der portugiesischen Jugendlichen, die neben Portugal noch 32 andere Staaten verklagt hatten. Ein so weit gefasstes Konzept der extraterritorialen Hoheitsgewalt würde eine unbegrenzte Verantwortung von Staaten gegenüber Menschen praktisch überall auf der Welt bedeuten. "Ein solcher Ansatz würde die Menschenrechtsverträge faktisch in globale Verträge zum Klimawandel verwandeln", so Zimmermann.

Auch menschenrechtliche Verpflichtungen gegenüber zukünftigen Generationen, also gegenüber Menschen, die noch nicht auf der Welt sind, lehnt Deutschland ab: "Das Ziel von Menschenrechtsverträgen ist es, die tatsächlichen Opfer von Menschenrechtsverletzungen zu schützen, und nicht etwa abstrakte Personen vor abstrakten Risiken zu bewahren."

"Das folgenreichste Gutachten, um das der IGH jemals ersucht wurde"

Noch bis zum 13. Dezember werden die 98 teilnehmenden Staaten und 12 Organisationen ihre Argumente vortragen. China und die USA, die weltweit größten Emittenten von CO2, sind am Dienstag bzw. Mittwoch an der Reihe.

Veröffentlichen wird der IGH sein Gutachten erst im nächsten Jahr. Am Ende der Anhörungen am 13. Dezember können die 15 Richterinnen und Richter des IGH einzelnen oder auch allen Staaten Fragen stellen. Die Staaten haben dann bis zum 20. Dezember Zeit, diese schriftlich zu beantworten. Außerdem bestimmte der IGH die Frist für etwaige Stellungnahmen anderer Staaten zu diesen Antworten auf den 30. Dezember.

Das Gutachten ist zwar nicht rechtsverbindlich, kann aber dennoch weitreichende Auswirkungen auf die Klimapolitik der Staaten haben – und die völkerrechtlichen Pflichten der Staaten zum Klimaschutz festschreiben. "Das Gutachten könnte eines der, wenn nicht sogar das folgenreichste Gutachten sein, um das der Gerichtshof jemals ersucht wurde", so Zimmermann.

Mit Material der dpa

Zitiervorschlag

Beginn der IGH-Anhörungen: . In: Legal Tribune Online, 02.12.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56010 (abgerufen am: 17.01.2025 )

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