Dass ein Angeklagter seine Richter wegen Befangenheit ablehnt, kommt häufig vor, auch im NSU-Prozess. Dass sein Antrag abgelehnt wird, auch. Jetzt aber ist es die eigene Mandantin, die die Verteidiger auflaufen lässt - eine Premiere.
Die drei ursprünglichen Pflichtverteidiger der mutmaßlichen Rechtsterroristin Beate Zschäpe sind am Donnerstag mit einem Befangenheitsantrag schon im Vorfeld am Veto ihrer Mandantin gescheitert. Die Rechtsanwälte Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm hatten eine Unterbrechung der Sitzung beantragt, um ihren Antrag zu formulieren. Daraufhin fragte der Vorsitzende Richter Manfred Götzl die Angeklagte, ob das mit ihr abgestimmt sei und sie das mittrage. Sie schüttelte daraufhin den Kopf.
Das Gericht lehnte es daraufhin ab, den Anwälten Zeit für das Schreiben ihres Antrags zu gewähren. "Im vorliegenden Fall beantragen die Anwälte, ein offensichtlich unzulässiges Ablehnungsgesuch zu formulieren", sagte Götzl. Damit folgte das Gericht der Ansicht der Bundesanwaltschaft. Deren Prozessvertreter argumentierte, die Verteidiger hätten kein Recht, auf eigene Initiative einen Befangenheitsantrag zu stellen. Das dürfe nach herrschender Meinung nur die Angeklagte.
Rechtsanwalt Heer konnte sich dagegen nicht mit seinem Argument durchsetzen, das Gericht habe ihn und seine beiden Kollegen gegen ihren und Zschäpes Willen zur Verteidigung verpflichtet und müsse ihnen deshalb erlauben, alle Möglichkeiten der Strafprozessordnung anzuwenden.
Seit ihrem Zerwürfnis mit den drei Pflichtverteidigern hat Zschäpe die Kommunikation mit Heer, Stahl und Sturm abgebrochen. Ihr stehen seit 2015 ein vierter Pflichtverteidiger und ein zusätzlicher Wahlverteidiger zur Seite. Mit ihrem Befangenheitsantrag wollten die Anwälte auf eine Entscheidung des Gerichts reagieren. Sie hatten vergeblich gefordert, die handschriftlichen Notizen des psychiatrischen Gutachters Henning Saß einzusehen, der die Schuldfähigkeit und Gefährlichkeit Zschäpes beurteilt hatte.
Zschäpe ist vor dem Oberlandesgericht München als mutmaßliche Mittäterin der zehn Morde und weiterer Verbrechen angeklagt, die die Bundesanwaltschaft dem "Nationalsozialistischen Untergrund" vorwirft. Neun der Opfer waren türkisch- oder griechischstämmige Gewerbetreibende, die aus fremdenfeindlichen Motiven ermordet worden sein sollen.
dpa/acr/LTO-Redaktion
NSU-Prozess: . In: Legal Tribune Online, 09.02.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/22052 (abgerufen am: 02.12.2024 )
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