Münchner Prozess um Eizellenspenden: Wann fängt Leben an?

28.10.2020

Wenn ungewollt kinderlose Paare sich für eine künstliche Befruchtung entscheiden, werden in einigen Fällen mehr Eizellen befruchtet, als eingepflanzt werden können. Dürfen diese übrigen Zellen dann anderen Paaren gespendet werden? 

Es ist eine ganz grundsätzliche Frage, mit der das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) sich derzeit befasst: Wann entsteht Leben? Dort begann am Mittwoch ein Prozess gegen den Gründer des Vereins "Netzwerk Embryonenspende" und zwei Mediziner. Sie sind wegen Verstoßes gegen das Embryonenschutzgesetz angeklagt, wegen missbräuchlicher Anwendung von Fortpflanzungstechniken beziehungsweise Beihilfe dazu. Zwei Gerichte hatten sie freigesprochen, das BayObLG ist die letzte Instanz. Nach Angaben eines Gerichtssprechers ist es das erste Mal bundesweit, dass ein obergerichtliches Urteil zu dem Thema ansteht - und möglicherweise eins mit großer Bedeutung für Paare mit unerfülltem Kinderwunsch. Das Urteil soll am 4. November fallen.

Seit 2013 hatte der Verein ungewollt kinderlosen Paaren Eizellenspenden vermittelt - ohne dafür Geld zu nehmen, wie Vereinsgründer Hans-Peter Eiden betont. Dabei handelte es sich um Eizellen, die anderen Frauen im Rahmen von Kinderwunschbehandlungen entnommen wurden und dabei gewissermaßen übrig blieben. Die Zellen hätten Eidens Angaben zufolge sonst vernichtet werden müssen. Die Paare hätten sich ganz freiwillig entschieden, die Zellen zu spenden, damit auch andere Paare sich ihren Kinderwunsch erfüllen können.

"Es sind 50 Kinder auf der Welt, die nach dem Willen der Staatsanwaltschaft im Mülleimer gelandet wären", sagt Eiden. Einer der Verteidiger betont: "Die Diskussion ist schon etwas perfide, wenn man in ein Gesetz, das Embryonenschutzgesetz heißt, hineinlesen will, dass man Embryonen vernichten muss."

Ab wann ist die Eizelle befruchtet?

Vielen Paaren falle es sehr schwer, die Eizellen, die sie selbst nicht mehr brauchen, einfach zu vernichten. "Die Zellen werden personifiziert als Schneeflöckchen und Eisbärchen", sagt Eiden. "Die Zellen haben für die Paare Ärmchen und Beinchen." Von einer Embryonen-Adoption sprechen die Anwälte des Vereins. Es sei doch nicht nachvollziehbar, warum Babys zur Adoption freigegeben werden dürften - befruchtete Eizellen aber nicht.

Die Eizellen, um die es im Verfahren geht, wurden mit Spermien zusammengebracht und dann eingefroren, kurz bevor es zur Verschmelzung der Zellkerne und zur Zellteilung kam. Aus Sicht des Vereins ist das eine Befruchtung, weil diese ohne das Einfrieren unaufhaltsam gewesen wäre. Darum geht der Verein davon aus, nichts Strafbares getan zu haben. Die Staatsanwaltschaft sieht das anders. § 1 Abs. 1 Nr. 2 des Embryonenschutzgesetzes (ESchG) untersagt es, "eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt". Genau das sei hier aber geschehen, als man die Eizellen auftaute und weiter kultivierte, finden die Strafverfolger. Aus ihrer Sicht ist die Befruchtung erst vollendet, wenn die Eizelle mit dem Ziel aufgetaut wird, sie einer anderen Frau einzupflanzen.

Die zentrale Frage, die das Gericht bei der Urteilsverkündung am Mittwoch (4.11.) kommender Woche beantworten muss, lautet also: Ab wann gilt eine Eizelle als befruchtet? Der Prozess sei ein Meilenstein, sagt Eiden: "Es entscheidet sich zum allerersten Mal die juristische Fragestellung: Wann entsteht Leben? Wenn wir gewinnen, ist juristisch entschieden, dass das Leben mit dem Eindringen der Spermien in die Eizelle beginnt." Neben dem Zeitpunkt der Befruchtung geht es auch darum, wer die Eizielle bekommt: Der Verein und seine Anwälte stellen sich auf den Standpunkt, der Straftatbestand werde nicht erfüllt, weil die Eizelle ursprünglich mit dem Ziel befruchtet wurde, sie der Besitzerin einzupflanzen. 

Staatsanwältin: "Ärzte, die glauben, in die Natur eingreifen zu müssen"

Sollten die Taten der drei Angeklagten nicht strafbar sein, würde es "am Ende zu vielen unbekannten Geschwistern kommen", sagt dagegen die Anklägerin Regina Sieh vor Gericht. Das ist allerdings bei den zahlreichen Kindern, die aus Samenspenden entstanden sind, schon heute der Fall. Sieh wirft dem Verein eine eigenmächtige Gesetzesauslegung vor: "Ich denke, das hat alles ethisch-moralische Gesichtspunkte, die der Gesetzgeber zu entscheiden hat und nicht einzelne Ärzte, die glauben, in die Natur eingreifen zu müssen."

Für eine der angeklagte Ärztinnen liegt die Sache dagegen ganz anders: Sie ist davon überzeugt, mit ihrer Arbeit für den Verein Paare davon abhalten zu können, in Tschechien oder Spanien Eizellen zu kaufen. Denn diesen "Medizintourismus" hält sie für moralisch falsch. Dabei werde die wirtschaftliche Notlage der spendenden Frauen ausgenutzt. Keine Frau nehme freiwillig und aus rein altruistischen Gründen die Strapaze auf sich, sich Eizellen entnehmen zu lassen. Aber in Fällen, die dem Verein vorgeworfen werden, gebe es die Eizellen ja schon. 

"Auf unserer Warteliste stehen Paare, die alles ausgenutzt haben. Die meisten haben 20.000, 30.000, 40.000 Euro ausgegeben", sagt Eiden, der früher Geschäftsführer im Berufsverband Reproduktionsmedizin war und so zum Thema Eizellenspende fand. "Menschen, die sich Kinder wünschen und bei denen klappt es nicht - für die ist es die Hölle."

dpa/vbr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Münchner Prozess um Eizellenspenden: . In: Legal Tribune Online, 28.10.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43246 (abgerufen am: 08.10.2024 )

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