Druckversion
Saturday, 4.02.2023, 00:05 Uhr


Legal Tribune Online
Schriftgröße: abc | abc | abc
https://www.lto.de//recht/nachrichten/n/bay-lsg-urteil-l15vs1911-bundeswehr-soldat-krebs-radar-berufskrankheit/
Fenster schließen
Artikel drucken
15494

Bayerisches LSG mit Ohrfeige für Bundeswehr: "irreführend", "nachweislich falsch", "fast grotesk"

von Constantin Baron van Lijnden

08.05.2015

Rote Karte für die Bundeswehr (Symbolbild)

© Brian Jackson - Fotolia.com

Die Bundeswehr muss nach einem Urteil des Bayerischen LSG die Krebserkrankung eines Soldaten als Folge seiner Tätigkeit als Radarmechaniker anerkennen. Das inzwischen rechtskräftige Urteil lässt kein gutes Haar an der Argumentation der Beklagten. Den Umgang mit erkrankten Soldaten kritisiert das Gericht in scharfen Worten.

Anzeige

Der Kläger war als Berufssoldat an Nierenkrebs erkrankt und litt an einer Schilddrüsenerkrankung. Er beantragte 2002 die Feststellung von Schädigungsfolgen, die von der Bundesrepublik jedoch 2003 und 2008 abgelehnt wurde. Der Mann sei bei seiner Tätigkeit als Radarmechaniker zwar Röntgenstrahlung und radioaktiver Leuchtfarbe ausgesetzt gewesen, die Gesamtstrahlendosis habe aber nicht ausgereicht, um die gesundheitliche Schädigung zu verursachen.

Dies sah das Bayerische Landessozialgericht (Bay LSG) anders und gab dem ehemaligen Soldaten Recht. Bei seiner Krebserkrankung handle es sich um eine Folge seiner Tätigkeit bei der Bundeswehr. Dies hatte ein Gutachten ergeben, welches im Einklang mit den Vorgaben des Berichts der Radarkomission stand. Durch das zwischenzeitlich rechtskräftig gewordene Urteil kann der Mann nun Entschädigung geltend machen (Urt. v. 19.11.2014, Az. L 15 VS 19/11). 

Das Vorgehen der Beklagten wurde von den Sozialrichtern scharf kritisiert. So gehe der Senat aufgrund der Aktenlage davon aus, dass im Prozess wichtige Informationen zu Strahlenbelastungen bewusst verfälscht oder verschwiegen worden seien, erforderliche Auskünfte seien erst nach jahrelangem Warten und der Einschaltung höchster Stellen widerwillig und denkbar knapp erfolgt. Die Argumentation der Beklagten bezeichnet das Gericht in verschiedenen Punkten als "irreführend", "nachweislich falsch", "fernab jeglicher Nachvollziehbarkeit", "objektiv nicht haltbar" und "fast grotesk".

3.000 Entschädigungsforderungen nach Krebserkrankungen

Immer wieder hatten frühere Radarmechaniker nach einer Krebserkrankung versucht, Entschädigung zu bekommen. Knapp 3.000 Fälle seien von der Bundeswehrverwaltung bisher bearbeitet worden, hatte die Bundesregierung erläutert. Zweifel an der Korrektheit jener Entscheidungen drückt das LSG zumindest indirekt aus, wenn es schreibt: "Ob und inwieweit angesichts eines derartigen Verhaltens auch weitere Angaben der Beklagten nicht nur in diesem gerichtlichen Verfahren genauerer Nachprüfung bedürfen, sei an dieser Stelle mangels Entscheidungserheblichkeit dahingestellt."

Die Entscheidung reiht sich in eine bereits längere Liste von Urteilen ein, in denen Gerichte gleichfalls scharfe Kritik an der Praxis der Bundeswehr übten, Ersatzansprüche von ehemaligen Soldaten nicht anzuerkennen (so etwa: Bundesverwaltungsgericht, Urt. v. 10.04.2014, Az. 2 B 36/13). Die Handhabung der Fälle gestaltet sich schwierig, da die Geräte, die vor Jahrzehnten bei der Bundeswehr im Einsatz waren, heute nicht mehr existieren und die Gerichte somit auf Angaben der Bundeswehr angewiesen sind.

Das Urteil des LSG führte in der Folge zu einer Kleinen Anfrage der Grünen in Bezug auf die Handhabung der knapp 3.000 Entschädigungsfälle. Daraus ergab sich unter anderem, dass 42 solcher Fälle über zehn Jahre in Bearbeitung waren und 15 noch immer offen sind. Nicht gefragt war, wie viele der krebskranken Antragssteller während der Verfahren verstorben sind.

Mit Materialien von dpa

  • Drucken
  • Senden
  • Zitieren
Zitiervorschlag

Constantin Baron van Lijnden, Bayerisches LSG mit Ohrfeige für Bundeswehr: "irreführend", "nachweislich falsch", "fast grotesk" . In: Legal Tribune Online, 08.05.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/15494/ (abgerufen am: 04.02.2023 )

Infos zum Zitiervorschlag
Das könnte Sie auch interessieren:
  • Erneut ein Jurist - Pis­to­rius wird Ver­tei­di­gungs­mi­nister
  • Sollte man kennen - Sieben wich­tige BVerwG-Ent­schei­dungen aus 2022
  • Bundesverteidigungsministerium muss antworten - Hat Lam­b­recht das Poser-Foto ihres Sohnes gemacht?
  • Tinder-Profil einer Offizierin - So begründet Bie­fang ihre Ver­fas­sungs­be­schwerde
  • LTO-Podcast "Allein unter Juristen" - der Fall Biefang - Der Ein­druck eines "wahl­losen Sexual­lebens" vor dem BVerfG
  • Rechtsgebiete
    • Sozialrecht
  • Themen
    • Berufskrankheit
    • Bundeswehr
  • Gerichte
    • Bayerisches Landessozialgericht
TopJOBS
Voll­ju­ris­tin / Voll­ju­rist (w/m/d)

Deutsche Rentenversicherung Hessen , Kö­n­ig­stein

Voll­ju­ris­ten (m/w/d) – Ih­re Zu­kunft in der hes­si­schen Jus­tiz

Hessisches Ministerium der Justiz , Wies­ba­den

Rechts­re­fe­ren­dar im Be­reich Em­p­loyee Re­la­ti­ons (m/w/d)

Bayer AG , Le­ver­ku­sen

Rechts­an­wäl­te (m/w/d) als An­ge­s­tell­te oder Frei­be­ruf­ler

RechtDialog Rechtsanwaltsgesellschaft mbH , Bun­des­weit

Rechts­an­walts­fach­an­ge­s­tell­te/ Rechts­fach­wir­te als Büro­lei­tung (m/w/d)...

e-rechtsanwälte.eu , Leip­zig

Be­reichs­lei­tung Soft­wa­re Ent­wick­lung - On­li­ne Ac­co­un­ting (m/w/d) -...

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Lud­wigs­burg

Voll­ju­ris­ten (m/w/d) mit dem Schwer­punkt Ar­beits- und So­zial­recht

Vereinigung Trierer Unternehmer in der Region Trier e.V. , Tri­er

Steu­er­fa­ch­ex­per­te als Kun­den­be­ra­ter (m/w/d) - Soft­wa­re- und Pro­zess­be­ra­tung...

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Ber­lin und 1 wei­te­re

Wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­ten­de / Wi­Mi / Werk­stu­dent:in (w/m/d)

rightmart , Bre­men

Steu­er­fa­ch­ex­per­te als IT Pro­jekt­lei­ter (m/w/d) - Un­ter­sch­leißh­eim (bei...

Wolters Kluwer Deutschland GmbH , Un­ter­sch­leißh­eim und 1 wei­te­re

Alle Stellenanzeigen
Veranstaltungen
Montagskaffee: Wie du deine Expertise in Fachvorträgen didaktisch gut vermittelst

06.02.2023

Powerworkshop-Reihe: "Deine Networking-Erfolgsstrategie 2023"

08.02.2023

Digitales MARKENFORUM® 2023 vom 06.-10.02.2023 jeweils von 12—13 Uhr

06.02.2023

Umsatzsteuer national und international

07.02.2023

Fachanwaltslehrgang Steuerrecht im Fernstudium/online

08.02.2023

Alle Veranstaltungen
Copyright © Wolters Kluwer Deutschland GmbH