Rassistische Gesänge bei Veranstaltung: Ber­liner Polizei hält "Aus­länder Raus!"-Rufe für straflos

von Hasso Suliak

04.03.2025

Wie im Mai 2024 auf Sylt kam es nun auch bei einer Party in einem Berliner Tennis- und Hockeyclub zu ausländerfeindlichen Gesängen. Der Club distanziert sich und will Anzeige erstatten. Die Berliner Polizei sieht kein strafbares Verhalten.

Nach diversen Vorfällen wie auf Sylt jetzt auch in einem schicken Berliner Tennis- und Hockeyclub: Auf einer Schülerparty am Samstag in den Räumlichkeiten des Clubs TC 1899 e.V. Blau-Weiss legte der DJ den inzwischen in Verruf geraten Party-Hit "L'amour Toujours" von Gigi D'Agostino auf – eigentlich ein Liebeslied. 

Doch wie auf der Nordseeinsel im Lokal "Pony" grölten einige der Partybesucher auch auf dem Gelände der Sportanlage im Berliner Westen wenig Liebevolles, sondern verwandelten den Song in ein ausländerfeindliches Hass- und Hetzlied: "Deutschland den Deutschen, Ausländer raus", tönte es aus den Kehlen tanzender Neuntklässler, die dabei ausgelassen feierten.

"Verfassungsfeindliche Parolen": Verein will Strafanzeige erstatten

Nachdem der Vorfall bekannt wurde, das entsprechende Video auf Social-Media-Kanälen die Runde machte und auch die Bild-Zeitung davon erfuhr, zeigte sich der Tennis Club TC 1899 e.V. Blau-Weiss über die "verfassungsfeindlichen Parolen" auf seinem Clubgelände schockiert.

Am Sonntag gab es die erste Stellungnahme auf der Homepage des Vereins, am Montag die zweite. Einen derartigen Vorfall habe es in der 125-jährigen Vereinsgeschichte noch nie gegeben. "Wir sind tief betroffen, dass unser Club in diesem Zusammenhang genannt wird, und werden alles tun, um sicherzustellen, dass sich ein solches Ereignis nicht wiederholt", so der Vorstand. Außerdem teilte der Club mit, dass er Maßnahmen ergreifen werde bzw. dies auch schon getan habe: So versprach er, dass man in Zukunft alle Veranstaltungen, bei denen Blau-Weiss-Mitglieder mit Gästen feiern, nach strengen Kriterien beurteilen und erheblich einschränken werde. Die Diskussion im Vorstand darüber habe bereits begonnen. 

Weiter stellte Blau-Weiss klar, dass Mitgliedern des Clubs, die sich an dem Vorfall beteiligt haben, ggf. der Vereinsausschluss drohe. Im Übrigen habe man auch "unverzüglich eine Strafanzeige in die Wege geleitet", schreibt der Verein. Das vorhandene Video werde man den Behörden übergeben mit der Bitte, alle notwendigen rechtlichen Schritte gegen die beteiligten Personen einzuleiten. Geschehen sei das aber noch nicht, wie der Anwalt des Vereins Dr. Ben Irle mitteilte. 

"Nach dem derzeitigen Ermittlungsstand unserer seit dem Wochenende erfolgenden internen Untersuchung war – entgegen dem durch das Video vermittelten Eindruck – nicht ein großer Teilnehmerkreis der Party an dem ausländerfeindlichen Gesang beteiligt, sondern fünf, sechs Jugendliche im Alter von 15 und 16 Jahren, zum Teil mit Migrationshintergrund, die die 9. Klasse einer Berliner Schule besuchen", so Irle. Dies erkläre, warum das Singen des ausländerfeindlichen Textes in weiten Teilen des über 400 Personen fassenden Raumes weder vom Veranstalter noch von den meisten der Partybesucher wahrgenommen worden sei.

Strafrechtlich relevante Umstände außerhalb der Video-Sequenz? 

Der Anwalt bekräftigte, dass man an der Erstattung einer Strafanzeige festhalten werde: "Obgleich der durch das Video festgehaltenen Szene keinerlei strafrechtlich relevante Handlungen zu entnehmen sind, werden wir für unsere Mandanten Strafanzeige erstatten, um den Vorfall von einer objektiven Ermittlungsbehörde untersuchen zu lassen, die voraussichtlich auch der Frage nachgehen wird, ob zu dem durch einzelne Jugendliche gesungenen Liedtext noch weitere, nicht in dem Video dargestellte Umstände hinzutreten, die eine strafrechtliche Verfolgbarkeit auslösen."

Bei dem DJ, der das Stück auflegte, soll es sich zugleich um den Veranstalter der Party handeln. Bei ihm handele es sich um eine im Verein seit Jahren bekannte und geschätzte Persönlichkeit. Die Party fungierte als "Apres-Ski-Party" und war in den Jahren zuvor immer von Blau-Weiss und einem anderen traditionsreichen Berliner Tennisclub (LTTC Rot-Weiß e.V.) im Wechsel ausgetragen worden, wie Irle gegenüber LTO erläutert. Der Anwalt vertritt daher in der Angelegenheit nun beide Tennisvereine.

Polizei: "Ohne weitere Begleitumstände nicht strafbar"

Strafrechtliche Schritte wird es gegen die Betreffenden wohl erst einmal nicht geben, jedenfalls nicht, wenn es nach der Berliner Polizei geht. Ihr gegenüber wurde der Sachverhalt am Montag angezeigt, die Behörde sieht aber in dem "Ausländer Raus!"-Gesang kein strafbares Verhalten, wie die stellvertretende Pressesprecherin der Polizei Berlin Anja Dierschke gegenüber LTO erläutert: 

 "Das Landeskriminalamt hat eine mögliche Strafbarkeit geprüft und ist nach dem derzeitigen Ermittlungsstand zu der Einschätzung gekommen, dass eine solche nicht vorliegt. Grundsätzlich käme eine Strafbarkeit in Betracht, wenn weitere situationsbedingte Begleitumstände hinzukämen, zum Beispiel das Heben des Arms zum Hitlergruß, das Mitführen einer Reichskriegsflagge oder das gezielte Rufen der Parole in Richtung von Personen mit Migrationshintergrund."

In einem solchen Fall würden Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen die §§ 86a Strafgesetzbuch (StGB, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen)  und/oder 130 StGB (Volksverhetzung) oder weiterer verwirklichter Straftatbestände eingeleitet Eine endgültige strafrechtliche Einordnung des Vorfalls müsse aber die Berliner Staatsanwaltschaft vornehmen, so die Polizeisprecherin. Die Ermittlungsbehörde teilte am Dienstag auf Anfrage von LTO mit, dass ihr der Vorgang noch gar nicht vorliege.

Strafrechtler: "Einige Oberlandesgerichte bejahen Strafbarkeit"

LTO hatte nach dem Sylt-Vorfall den renommierten Strafrechtler Prof. Dr. Matthias Jahn um eine juristische Einschätzung gebeten. Jahn sagte: "Einige Oberlandesgerichte sehen als möglich an, dass die aus einer größeren Personengruppe heraus gegrölte Parole 'Ausländer raus' den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Dies wird als grundsätzlich dazu geeignet angesehen, zum Hass aufzustacheln und zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung aufzufordern. Eine unmittelbare Aktion braucht nicht beabsichtigt zu sein."

Der Strafrechtsexperte wies jedoch auch darauf hin, dass das Bundesverfassungsgericht bei der Volksverhetzung nach § 130 Strafgesetzbuch in seiner Meinungsfreiheitsjudikatur deutlich restriktiver entscheide: "Es geht für die Parole 'Ausländer raus' nur beim Hinzutreten weiterer Begleitumstände von einem Angriff auf die Menschenwürde aus. Diese Umstände müssen jetzt über die kurze Video-Sequenz hinaus durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden ermittelt werden, denn ein Anfangsverdacht besteht."

Im Sylter Fall ermittelte die Staatsanwaltschaft Flensburg wegen Volksverhetzung und auch wegen des Vorwurfs des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Ob diese Ermittlungen inzwischen abgeschlossen sind, teilte die Flensburger Staatsanwaltschaft auf Anfrage von LTO am Dienstag bis zum Erscheinen des Artikels nicht mit. Wie die Berliner Staatsanwaltschaft im Fall der Party im Grunewald verfahren wird, ist noch offen.

Zitiervorschlag

Rassistische Gesänge bei Veranstaltung: . In: Legal Tribune Online, 04.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56724 (abgerufen am: 22.04.2025 )

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