Das individuell geprägte Asylrecht sei "inhuman". Das meint jedenfalls der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion Thorsten Frei und erntet dafür von allen Seiten vehementen Widerspruch.
In einem Gastbeitrag für die FAZ hat Unionsgeschäftsführer Thorsten Frei (CDU) gefordert, das Grundrecht auf Asyl (Art. 16a GG) als individuelles Recht abzuschaffen. Laut Frei, Abgeordneter der CDU und gelernter Jurist, hätten theoretisch 35 Millionen Afghanen das Recht, in Deutschland aufgenommen zu werden. "Damit möglichst wenig Menschen ihr Recht in Anspruch nehmen, knüpfen wir es an die Voraussetzung eines Antrages auf europäischem Boden." Diese Auswahl sei aber "zutiefst inhuman". "Wer zu alt, zu schwach, zu arm oder zu krank ist, ist chancenlos", so der MdB.
Frei zufolge könnte die EU jedes Jahr ein Kontingent von 300.000 bis 400.000 Schutzbedürftigen direkt aus dem Ausland aufnehmen und auf die 27 Mitgliedstaaten verteilen. Aus dem Individualrecht auf Asyl müsse eine sogenannte Institutsgarantie werden. Damit würden Sicherheitsrisiken minimiert und Chancen auf Integration maximiert. Der Bezug von Sozialleistungen wäre dann "umfassend ausgeschlossen".
Die EU plant derzeit eine weitreichende Asylreform, um die allerdings im Trilog zwischen EU-Parlament, Rat und Kommission noch gerungen wird. Vorgesehen sind zahlreiche Verschärfungen, um illegale Migration zu begrenzen - insbesondere aus Ländern, die als relativ sicher gelten. Wer wenig Aussicht auf Asyl hat, soll bereits an den EU-Außengrenzen geprüft und gegebenenfalls zurückgeschickt werden. Das Asyl- und Migrationsrecht in Deutschland ist maßgeblich durch unionsrechtliche Regelungen geprägt.
"Angriff auf grundlegende Menschenrechte"
Gegen die Äußerungen von Frei wurde am Dienstag breite Kritik laut. Gegenüber LTO äußerte die Flüchtlingsorganisation PRO ASYL, man sei bestürzt über diesen offenen Angriff auf grundlegende Menschenrechte. Frei unterschlage in seinem Gastbeitrag, was er wirklich wolle: "Den Austritt Deutschlands und der EU-Staaten insgesamt aus der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention und der EU-Grundrechtecharta".
Weiter unterstellte die Organisation Frei "extreme Geschichtsvergessenheit". Das individuelle Asylrecht sei gerade als Reaktion darauf entwickelt worden, dass aus Deutschland fliehende jüdische Menschen und andere politisch Verfolgte keine Aufnahme in anderen Ländern gefunden haben. "Von einer demokratischen Partei erwarten wir, Menschenrechte konsequent zu verteidigen. Im Übrigen ist die Vorstellung, durch solche Maßnahmen das Leid und Sterben an den Außengrenzen beenden zu können, naiv und realitätsfern. Wenn ihr Leben von Bomben, Todesstrafe oder Folter bedroht ist, dann fliehen Menschen. Im Zweifel begeben sie sich nur auf noch gefährlichere Routen.", so PRO ASYL.
Als "gefährlichen Brandsatz" bezeichnete der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) die Aussagen des CDU-Politikers gegenüber LTO. "Thorsten Frei betreibt gefährlichen Populismus. Seine Auffasung lässt jegliches Mitgefühl für die dramatische Lage der Betroffenen vermissen. Er nutzt deren Leiden für eigene politische Ziele. Das ist manipulativ. Diese Aussagen beschädigen unser Rechtssystem als Fundament unserer Demokratie.", so Berenice Böhlo, Rechtsanwältin und Vorstandsmitglied des RAV. Das individuelle Asylrecht sei völkerrechtlich zwingend vorgegeben und Ausdruck eines humanen Menschenbildes. Aus Sicht des RAV ist es deshalb "unverhandelbar".
Die Sprecherin für Flucht- und Rechtspolitik der Linksfraktion im Bundestag, Clara Bünger, äußerte sich ebenfalls und verwies dabei auf die historische Dimension des individuellen Asylrechts. Der "geschichtsvergessene" Gastbeitrag Freis zeige, wie weit sich die CDU nach rechts bewegt habe und dass Frei "von der Realität von Flucht keine Ahnung hat". Wolle man wirklich etwas gegen das Leid an den Außengrenzen tun, müsse man das individuelle Recht auf Asyl entschieden verteidigen, so Bünger.
Kritik von SPD, FDP und Grünen
Auch aus den Reihen der AfD im Bundestag erntete Frei Widerspruch. Nach Auffassung ihres innenpolitischen Sprechers, Gottfried Curio, unterlaufe Frei ein "Denkfehler", er verkenne das eigentliche Problem des individuellen Asylrechts. Der Status der Schutzbedürftigkeit dürfe nicht nach Verlassen des Fluchtlandes beliebig lang fortbestehen, so Curio.
Filiz Polat, stellvertretendes Mitglied der Grünen im Innenausschuss des Bundestages, bezeichnete Vorschlag des CDU-Poltikers "nicht nur als verfassungswidrig, sondern auch als brandgefährlich". Der EU komme eine "Vorbildfunktion in Hinblick auf Rechtsstaatlichkeit und Menschlichkeit" zu, die "wir nicht verspielen dürfen", so Polat. Der sichere Zugang zu Asyl müsse gestärkt werden.
Mangelnde Seriösität warf unterdessen FDP-Generalsekräter Bijan Dijr-Sarai Frei vor: "Nach ihrer katastrophalen Flüchtlingspolitik von 2015 ist die CDU derzeit offenbar auf der Suche nach einem Kurs in der Migrationsdebatte. Die CDU hat es in ihrer Regierungszeit nicht vermocht, die Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik zu ordnen. Die FDP steht für Steuerung, Kontrolle und Begrenzung in der Migrationspolitik. Daher ist es auch ein richtiger Schritt, dass auf europäischer Ebene das Gemeinsame Europäische Asylsystem reformiert wird. Es wäre gut, wenn die CDU mit Ernsthaftigkeit diese Bemühungen unterstützen würde."
SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese meldete sich am Dienstag ebenfalls zu Wort: Freis Vorstoß schleife das individuelle Recht auf Asyl - "eine wichtige humanitäre Errungenschaft, die die Mütter und Väter des Grundgesetzes aus gutem Grund nach dem Zweiten Weltkrieg dort installiert haben".
Mit Materialien der dpa
Heftige Kritik an Unionsvorschlag zum Asylrecht: . In: Legal Tribune Online, 18.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52272 (abgerufen am: 12.10.2024 )
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