Gericht hat Zweifel an der Schuldfähigkeit: Psy­ch­ia­trie statt U-Haft für Aschaf­fen­burg-Ang­reifer

23.01.2025

Ein Mann greift wie aus dem Nichts eine Kindergruppe in Aschaffenburg an. Zwei von ihnen sterben, drei werden schwer verletzt. Die Ermittlungsrichterin geht nun offenbar von einer psychischen Erkrankung aus, die die Schuld ausschließt.

Nach der Messerattacke von Aschaffenburg mit zwei Toten hat eine Ermittlungsrichterin am Amtsgericht eine einstweilige Unterbringung des Verdächtigen in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Das bestätigten die Polizei Unterfranken und die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg am Donnerstagabend in einer gemeinsamen Presseerklärung. Ein Unterbringungsbefehl ergeht, wenn es Anhaltspunkte gibt, dass ein Verdächtiger zur Tatzeit aufgrund einer psychischen Erkrankung schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war. Die Entscheidung fiel, nachdem ein psychiatrischer Sachverständiger angehört worden war. Der Beschuldigte äußerte sich laut Presseerklärung bislang nicht zu den Vorwürfen. Der Mann befinde sich inzwischen in einer psychiatrischen Einrichtung, so die Behörden.

Der Unterbringungsbefehl erging laut der Mitteilung wegen zweifachen vollendeten und zweifachen versuchten Mordes, jeweils in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Der Afghane soll in einem Park der Stadt an der Landesgrenze zu Hessen am Mittwochmittag einen zweijährigen Jungen marokkanischer Herkunft und einen 41-jährigen Deutschen getötet haben, der zu Hilfe geeilt sein soll. Die Tat geschah laut Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) völlig unvermittelt und gezielt.

Zudem wurde ein zweijähriges Mädchen aus Syrien nach bisherigen Erkenntnissen dreimal im Halsbereich mit dem Küchenmesser verletzt. Ein 72-jähriger Mann erlitt nach Behördenangaben multiple Verletzungen im Thoraxbereich. Eine 59 Jahre alte Erzieherin brach sich in dem Tumult einen Arm. Die drei Schwerverletzten befinden sich nach wie vor in einem Krankenhaus. "Sie sind aber alle außer Lebensgefahr", sagte ein Polizeisprecher am Donnerstag.

Vorläufige Einschätzung: schuldunfähig, aber gefährlich

Der Verdächtige ist 28 Jahre alt. Polizisten nahmen ihm kurz nach der Tat fest. Am Donnerstag wurde er der Ermittlungsrichterin am Amtsgericht Aschaffenburg vorgeführt. Im Rahmen der vorläufigen Prüfung der Strafbarkeitsvoraussetzungen gelangte man dort offenbar gemäß § 126a Strafprozessordnung zu dem Schluss, dass der Mann schuldunfähig oder vermindert schuldfähig ist, aber sich in einem späteren Gerichtsprozess voraussichtlich ergeben wird, dass die Voraussetzungen einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 Strafgesetzbuch erfüllt sind. 

Demnach ist die Unterbringung bei Schuldunfähigen dann anzuordnen, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, dass er wegen seines Zustands weitere "erhebliche rechtswidrige Taten" begehen wird. Taten, "durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind". Die Prognose muss zudem ergeben, dass er "deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist".

Ob das Gericht vorläufig von Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) ausgeht, teilten die Behörden nicht mit. Ob einer dieser Fälle zum Tatzeitpunkt vorlag, müssen die weiteren Ermittlungen und das gegebenenfalls darauffolgende Gerichtsverfahren zeigen. Die Polizei versucht unter anderem zu klären, ob der Afghane gezielt Kinder einer Kindergartengruppe angriff. Der Mann war Innenminister Herrmann zufolge ausreisepflichtig. Anfang Dezember 2024 habe er gegenüber den Behörden schriftlich angekündigt, ausreisen zu wollen, es aber offensichtlich nicht getan.

Täter polizeibekannt

Nach Herrmanns Worten war der Mann in psychiatrischer Behandlung. Vorausgegangen seien jeweils Gewalttaten.

Bei Polizei und Justiz war der Mann wegen mehrerer Ermittlungsverfahren gegen ihn bekannt, auch wegen Gewaltdelikten. Wie eine Justizsprecherin mitteilte, erging am Amtsgericht Schweinfurt nach einer tätlichen Auseinandersetzung in einem Anker-Zentrum, also einer Aufnahmestelle für Asylbewerber, im März 2023 ein Strafbefehl mit einer Geldstrafe gegen den Mann wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Einen weiteren Strafbefehl habe er vom Amtsgericht Aschaffenburg wegen Betrugs erhalten, weil er mit einem falschen Fahrschein erwischt worden war. 

Am Gericht in Schweinfurt ist darüber hinaus ein Verfahren anhängig wegen Sachbeschädigung in einem Anker-Zentrum im Januar 2024. Außerdem laufen den Angaben zufolge noch zwei Ermittlungsverfahren wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und Beleidigung. Wie die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg mitteilte, war der Mann im Mai 2024 auf das Revier der Bundespolizei in Aschaffenburg gekommen und hatte zunächst um Hilfe gebeten. Doch dann habe er mit der flachen Hand "gegen eine Beamtin geschlagen". Als mehrere andere Beamte ihn daraufhin zu Boden brachten, soll er die Sicherung eines Waffenholsters bei einem der Polizisten gelöst haben, bevor ihm Hand- und Fußfesseln angelegt wurden. Drei Polizeibeamte wurden verletzt. Bei der Tat soll der Mann unter dem Einfluss von Cannabis gestanden haben.

Dieses Ermittlungsverfahrens sei noch nicht abgeschlossen, weil die Behörde die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens beauftragt habe. Dieser Auftrag sei aber zunächst ausgesetzt worden, weil die Zentrale Ausländerbehörde der Staatsanwaltschaft mitgeteilt hatte, der Beschuldigte wolle freiwillig ausreisen.

Seit Dezember 2024 unter Betreuung

Im Juni 2024 soll der Mann sich am Hauptbahnhof in Aschaffenburg vor zwei Polizeibeamten an einem Bahnsteig vollständig ausgezogen und einen Streugutbehälter beschädigt haben. Im August soll er in Alzenau randaliert und ein Auto beschädigt haben. Nachdem die Polizei eingetroffen war, soll er immer wieder seinen Kopf gegen den Boden geschlagen haben. Als er daraufhin in die Klinik gebracht wurde, soll er Rettungssanitäter und Polizeibeamten getreten haben.

In keinem der Verfahren seien die Voraussetzungen für einen Haftbefehl gegeben gewesen, teilte die Staatsanwaltschaft mit, auch nicht für eine strafrechtliche einstweilige Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus.

Ein weiteres Verfahren werde von der Amtsanwaltschaft Frankfurt geführt, teilte die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg mit. Außerdem geht die Aschaffenburger Behörde nun den Aussagen einer Zeugin nach, wonach der Mann eine Bewohnerin einer Flüchtlingsunterkunft in Alzenau mit einem Messer verletzt haben soll.

Wie die Sprecherin des Amtsgerichts Aschaffenburg weiter mitteilte, stand der Tatverdächtige dann seit dem 9. Dezember 2024 unter Betreuung, "da der Betroffene aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht in der Lage war, seine Angelegenheit rechtlich zu besorgen". Der Beschluss sollte für drei Jahre gelten. Zu einem vereinbarten Termin mit seiner Betreuerin sei er nicht erschienen. Zweimal, im Januar und im Mai 2024, war er den Angaben zufolge von der Polizei in der Psychiatrie untergebracht worden.

dpa/mk/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Gericht hat Zweifel an der Schuldfähigkeit: . In: Legal Tribune Online, 23.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56419 (abgerufen am: 12.02.2025 )

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