Nach Mord an Rechtsanwalt in der Türkei: Rechts­an­walts­kammer Berlin kri­ti­siert staat­liche Repres­sion

30.11.2015

Vergangenen Samstag wurde ein türkischer Rechtsanwalt, der sich für Frieden und Rechtsstaat im Land einsetzte, erschossen. Die Rechtsanwaltskammer Berlin sieht einen Zusammenhang zwischen staatlicher Repression und dem Anschlag.

Am vergangenen Samstag ist in der südosttürkischen Stadt Diyarbakir der Vorsitzende der Rechtsanwaltskammer von Diyarbakir, Tahir Elci, auf offener Straße erschossen worden. Kurz zuvor hatte er noch in einer Pressekonferenz für Frieden in der Region geworben und dabei erklärt: "Wir sagen, der Krieg, die Kämpfe, die Waffen, die Einsätze sollen fern bleiben von hier." Direkt danach eröffneten Männer auf offener Straße das Feuer auf Elci und die neben ihm stehenden Menschen.

Der Vizepräsident und Menschenrechtsbeauftragte der Rechtsanwaltskammer Berlin, Marc Wesser, berichtet, gegen Tahir Elci habe es in der Vergangenheit bereits Morddrohungen gegeben. Trotzdem sei es dem türkischen Staat nicht gelungen, sein Leben zu schützen. "Dies spielt all jenen in die Hände, die den Rechtsstaat schwächen und die Meinungsfreiheit in der Türkei beschneiden wollen", so Wesser weiter.

"Durch die Ermordung des Kollegen Tahir Elci, den der türkische Staat trotz der bekannten Bedrohung nicht effektiv zu schützen vermocht hat, erreicht das Klima der Angst eine neue Ebene. Die türkische Anwaltschaft verdient in ihrem Ringen um den Rechtsstaat unseren Respekt und unsere volle Unterstützung."

"Repression des türkischen Staates gegen Kollegen nimmt zu"

Scharfe Worte äußert der Kammervize gerade in Richtung der türkischen Regierung: "Die Repression des türkischen Staates gegen Rechtsanwaltskollegen nimmt von Jahr zu Jahr zu. Einer der Höhepunkte war die Verhaftung nahezu des gesamten Vorstandes der Rechtsanwaltskammer Istanbul, nachdem sich dieser für die Wahrung der prozessualen Rechte von Angeklagten in einem Massenverfahren eingesetzt hatte."

Bundesregierung und Europäische Union seien aufgefordert, die türkische Regierung bei den bevorstehenden Verhandlungen mit der Türkei eindringlich an ihre Verpflichtungen gemäß der "UN-Grundprinzipien betreffend die Rolle der Rechtsanwälte" zu erinnern. Die Türkei müsse endlich wieder sicherstellen, dass die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in der Türkei ihre beruflichen Aufgaben ohne Einschüchterung und Verfolgung wahrnehmen können.

Es sei kaum erträglich zu sehen, wie seine Rechtsanwälte, die sich in vorbildlicher Weise für die Rechtsstaatlichkeit in der Türkei und die Unabhängigkeit der türkischen Justiz engagieren, eben wegen dieses Engagements durch die türkische Regierung mit politisch motivierten Anklagen überzogen werden.

Auch Journalisten werden verhaftet

Der Verdacht staatlicher Motivation von bestimmten Anklagen betrifft nicht nur die Rechtsanwaltschaft – auch die Presse ist betroffen. Gerade erst waren zwei bekannte Journalisten regierungskritischer Zeitungen verhaftet wurden. Nun muss sich ein weiterer türkischer Autor wegen seiner Berichterstattung vor Gericht verantworten.

Am vergangenen Donnerstag war gegen den Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet, Can Dündar, und den Hauptstadtkorrespondenten der Zeitung, Erdem Gül, Haftbefehl erlassen worden. Ihnen werden unter anderem Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und Spionage vorgeworfen. Hintergrund ist ein von Dündar und Gül verfasster Bericht vom Sommer über angebliche Waffenlieferungen von der Türkei an Extremisten in Syrien. Erdogan hatte persönlich Anzeige erstattet.

Wie die Nachrichtenagentur DHA am Samstag berichtete, wurde nun auch der Hürriyet-Journalist Ertugrul Özkök wegen Beleidigung des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan angeklagt. Hintergrund sei eine im September in der Zeitung Hürriyet erschienene Kolumne mit dem Titel: "Schäme dich, he großer Mann." In dem Text kritisiert Özkök Präsident Erdogan, ohne ihn namentlich zu nennen. Özkök drohten bis zu fünf Jahre und vier Monate Haft.

ahe/LTO-Redaktion

Mit Materialien von dpa

Zitiervorschlag

Nach Mord an Rechtsanwalt in der Türkei: Rechtsanwaltskammer Berlin kritisiert staatliche Repression . In: Legal Tribune Online, 30.11.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/17712/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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