Anklage gegen Anwalt wegen Betrugs im NSU-Prozess: Staats­an­walt for­dert zwei Jahre auf Bewäh­rung und Teil-Berufs­verbot

von Pia Lorenz

19.11.2020

Zwei Jahre auf Bewährung für den Anwalt, der im NSU-Prozess vom Staat 211.000 Euro für ein Opfer bekam, das es nie gab, fordert der Staatsanwalt. Der Advokat hat nun doch etwas gesagt - und das Gericht einen wichtigen Hinweis erteilt.

Zwei Jahre Gesamtfreiheitsstrafe und ebenso lange keine anwaltliche Tätigkeit im Strafbereich: Das war die Gesamtfreiheitsstrafe, die Oberstaatsanwalt Buchard Witte am Donnerstag nach seinem mehr als vierstündigen Plädoyer forderte. Witte hielt damit an den Vorwürfen aus der Anklage fest. Es geht um gleich mehrere Komplexe, für die der Ankläger unterschiedliche Strafen forderte.

Ein Jahr und zehn Monate soll Rechtsanwalt Ralph W. aus Eschweiler dafür bekommen, dass er über zwei Jahre lang im sog. NSU-Prozess, dem Strafverfahren gegen Beate Zschäpe u.a. wegen zehnfachen Mordes gemeinsam mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, ein angebliches Opfer des Nagelbombenanschlags in der Kölner Keupstraße vertrat, das es nicht gibt, und dafür zwischen 2013 und 2015 insgesamt 25 Vorschusszahlungen beantragt und vom Staat bekommen hat, insgesamt über 211.000 Euro Gebühren, Auslagen, Reisekosten und Mehrwertsteuer. W., der sich am Mittwoch zum ersten Mal teilweise zu den Vorwürfen äußerte, bestreitet, gewusst zu haben, dass es die Mandantin, zu der der Kontakt fast nur über einen Mittelsmann gelaufen sei, gar nicht gab.

Den Oberstaatsanwalt konnte er damit nicht überzeugen. Für die Staatsanwaltschaft ist sein Verhalten ein Betrug in einem besonders schweren Fall, einerseits gewerbsmäßig, andererseits weil dabei ein Vermögensverlust großen Ausmaßes eingetreten ist. Einen weiteren schweren Fall des Betrugs in Tateinheit mit Urkundenfälschung sieht die Staatsanwaltschaft darin, dass W. für seine angebliche Mandantin Meral Keskin eine Pauschalzahlung von 5.000 Euro aus dem Opferfonds der Bundesregierung für die Opfer des sog. NSU beantragt und erhalten hat. Er hat dabei zur Begründung der Nebenklage jeweils Atteste vorgelegt, die ursprünglich auf andere, real bei dem Anschlag in der Keupstraße verletzte Personen ausgestellt und nachträglich verändert worden waren.

StA: Kein Rücktritt vom Betrugsversuch im Loveparade-Prozess

Auch im Zusammenhang mit dem Strafverfahren wegen der Loveparade-Katastrophe in Duisburg im Jahr 2010 wollte W. mitmischen. Der Staatsanwalt forderte am Donnerstag sechs Monate Freiheitsstrafe wegen versuchten Betrugs, ebenfalls in Tateinheit mit Urkundenfälschung, weil W. sich auch in dem dortigen Verfahren als Nebenklagevertreter bestellen lassen wollte. Bezahlen sollte auch hierfür der Staat. Sein Mandant in diesem Verfahren existierte zwar, litt aber gar nicht unter irgendwelchen Nachwirkungen der Katastrophe in Duisburg. Dass es zu einer Bestellung am Ende nicht kam, rechnete Staatsanwalt Witte nicht zugunsten des Angeklagten:

Dass W. seinen Antrag schließlich zurückgenommen habe, sei kein Rücktritt vom versuchten Betrug gewesen, so Witte. Vielmehr habe der Anwalt erkannt, dass seine Versuche keinen Sinn mehr machten. W. hatte, nachdem er kein aussagekräftiges Attest vorlegen konnte, eidesstattliche Versicherungen von Mutter und Schwester des angeblich Geschädigten eingereicht, die er vorformuliert und zu deren Abgabe er die beiden aufgefordert haben soll.

Ebenfalls im Loveparade-Vefahren geht Oberstaatsanwalt Witte von einem weiteren Betrugsversuch aus, für den er zwei Monate Freiheitsstrafe beantragte. W. soll hier Beihilfe geleistet haben. Inzident geht Oberstaatsanwalt Witte damit davon aus, dass der bekannte Kölner Strafverteidiger Mustafa Kaplan der Haupttäter gewesen sei. Er ist dabei nicht an die Beurteilung des Landgerichts (LG) Köln gebunden: In der Domstadt werden die angeblichen Haupttaten von Mustafa Kaplan bei der zuständigen Staatsanwaltschaft nicht mehr verfolgt, das LG Köln hat die Hauptverhandlung auch auf eine Beschwerde der Staatsanwaltschaft nicht eröffnet.

W. jedenfalls soll eine auf ihn ausgestellte Vollmacht einer weiteren – echten – Geschädigten der Loveparade-Katastrophe auf Kaplan übertragen haben, der sich dann für sie als Nebenkläger bestellte. Die Frau soll davon laut der Anklage nichts gewusst haben. W. hat behauptet, sie sei informiert und einverstanden gewesen. Weil Kaplan versucht habe, ohne Mandat vom Staat eine Vergütung für seine Beiordnung zu beziehen, hat W. laut Staatsanwaltschaft Beihilfe zum versuchten Betrug und zur Urkundenfälschung begangen. Zu einer Bestellung kam es auch hier am Ende nicht.

StA: Zwei Jahre Berufsverbot im Strafrecht

Weil er all diese Taten als Anwalt begangen hat, hat Witte am Donnerstag in Aachen zudem beantragt, W. für zwei Jahre die Ausübung seines Anwaltsjobs im Strafbereich zu untersagen. Ein solches Berufsverbot, das nach § 70 Strafgesetzbuch (StGB) angeordnet werden kann, wenn die Gefahr besteht, dass der Anwalt im Rahmen seiner Tätigkeit weiterhin ähnliche erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird, ist ein erheblicher Eingriff in die Berufswahlfreiheit.

Witte sah jedoch eine Verletzung berufsspezifischer Pflichten und des berufsspezifischen Vertrauens in den Anwalt sowie eine besonders grobe Verletzung standesrechtlicher Pflichten: W. habe sein Verhalten im NSU-Prozess, durch das er die Zulassung der Nebenklage erreicht habe, über Jahre durchgezogen und immer weiter verstärkt. Auch auf Nachfragen des Oberlandesgerichts (OLG) München, vor dem der NSU-Prozess stattfand und vor dem die angebliche Mandantin Meral Keskin trotz mehrerer Ladungen niemals erschien, immer wieder Ausflüchte gefunden, statt offenzulegen, dass Keskin nie existiert habe.

W. habe mit dieser Tat ausgerechnet im NSU-Prozess zudem den Rechtsfrieden in ganz Deutschland gestört, betonte Witte. Die dadurch begründete ganz "erhebliche Indizwirkung" erklärte er für so stark, dass sie dadurch, dass W. sich seitdem nichts habe zuschulden kommen lassen, nicht widerlegt werde. Er beantragte jedoch, sie auf den Bereich des Strafrechts zu begrenzen, weil W. die Taten nur im Strafbereich begangen habe.

Gericht: Verletzungen, die die Nebenklage begründeten, können so nicht entstanden sein

W. ist Fachanwalt für Arbeits- und Sozialrecht und mittlerweile nach eigenen Angaben wieder fast ausschließlich im Sozialrecht tätig. Nach Monaten des Schweigens hatte der Anwalt aus Eschweiler am Mittwoch erstmalig Auskunft zu einigen Fragen gegeben. In der Sache blieb er dabei, selbst belogen und betrogen worden zu sein von Attila Ö., selbst einem Opfer des Nagelbombenanschlags, der ihm das Mandat vermittelt hatte. Er habe keine eigenen Überprüfungen angestellte, weil er dazu keinen Anlass gesehen habe, sagte W. In die Akte habe er anfänglich eher kursorisch geschaut, so sei ihm auch nicht aufgefallen, dass vieles nicht zusammenpasste.

Das könnte ihm so oder so am Ende zum Verhängnis werden. Richterin Melanie Theiner hat bereits einen rechtlichen Hinweis erteilt, dass es am Ende womöglich gar nicht darum gehen muss, ob und wann W. wusste, dass es die Mandantin, für deren Vertretung er Geld erhielt, nicht gab.

Die 9. Kammer des LG Aachen könnte, so Theiner, eine mögliche Betrugsstrafbarkeit im Komplex des NSU-Verfahrens auch daran anknüpfen, dass W. bewusst gewesen sein müsse, dass die Verletzungen, die er behauptet habe, um die Nebenklage von Meral Keskin zu begründen, so gar nicht zustande gekommen sein könnten. Laut seinem Antrag auf Beiordnung soll Meral Keskin eine Zigarette vor einem Restaurant geraucht haben, als die Nagelbombe in der Keupstraße explodierte. Dann aber hätte sie ebenso schwer verletzt sein müssen wie die anderen Personen, die sich dort befanden, so Richterin Theiner. Das hat aber niemand, auch W. nicht, je behauptet.

Wenn die angebliche Meral Keskin sich aber, wie W. an anderer Stelle vortrug, zum Zeitpunkt der Explosion im Restaurant oder in einem Friseursalon befunden hätte, hätte sie wiederum nicht die Hörschäden, Platzwunden und andere physische Verletzungen haben können, die W. zur Begründung der Nebenklageberechtigung behauptet habe. W.s Anwalt Peter Nickel wird in der kommenden Woche plädieren. Ein Urteil will das LG Aachen am 30. November fällen.

Zitiervorschlag

Anklage gegen Anwalt wegen Betrugs im NSU-Prozess: Staatsanwalt fordert zwei Jahre auf Bewährung und Teil-Berufsverbot . In: Legal Tribune Online, 19.11.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43490/ (abgerufen am: 29.03.2024 )

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