Anstatt Waffen an die Ukraine zu liefern, soll die Bundeswehr ihre eigene Verteidigungsfähigkeit im Blick behalten, sagt die AfD. Kanzlerkandidatin Weidel forderte nun in ARD und ZDF eine zweijährige Wehrpflicht. Ist das rechtlich möglich?
In der Diskussion um eine Reaktivierung der Wehrpflicht für junge Menschen, den sogenannten Grundwehrdienst, wurde AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel nun konkret: Zur Stärkung der Bundeswehr wirbt sie für einen zweijährigen Wehrdienst. "Wir sind nicht mehr fähig zur Landesverteidigung", bemängelte sie in der ARD/ZDF-Wahlkampfsendung "Schlussrunde" am Donnerstagabend. Zudem diene der Wehrdienst auch der Identifikation der Bevölkerung mit ihrer Armee.
Die Merkel-geführte schwarz-gelbe Bundesregierung hatte die Wehrpflicht in Friedenszeiten 2011 ausgesetzt. Während sich BSW und FDP gegen eine Reaktivierung aussprechen und die Union einen Mittelweg vorschlägt, plädiert die AfD-Co-Chefin für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht. So steht es auch im Wahlprogramm der AfD.
Zur Zeitdauer des Grundwehrdienstes findet sich dort allerdings nichts. Hierzu schlägt Weidel nun einen neuen Höchstwert vor, auf Nachfrage von ZDF-Moderatorin Diana Zimmermann antwortete sie: "zwei Jahre." Damit würde die Dauer des Grundwehrdienstes das bisherige Höchstmaß aus den 60er Jahren um ein halbes Jahr überschreiten. Ab Anfang der 70er Jahre war dieser Wert immer weiter reduziert worden, hatte 1990 bis 1995 bei einem Jahr gelegen und 2011 zuletzt nur noch sechs Monate betragen. Wäre diese Forderung rechtlich umsetzbar?
Reaktivierung der Wehrpflicht einfach möglich
Um die Wehrpflicht in Friedenszeiten zu reaktivieren, müsste man zunächst § 2 des Wehrpflichtgesetzes (WPflG) ändern. Hier war 2011 die Passage aufgenommen worden: "Die §§ 3 bis 53" – das ist praktisch das gesamte Gesetz – "gelten im Spannungs- oder Verteidigungsfall." Das war eine Einschränkung: In Friedenszeiten gilt sie nicht. Will man das ändern, müsste man diese Passage also wieder streichen.
Der Regelungsmechanismus der Aussetzung hat zur Folge, dass die Bestimmungen zur Wehrpflicht seit 2011 im Wesentlichen unangetastet fortgelten, nur eben wegen § 2 nicht zur Anwendung kommen. Das gilt auch für die Regelung der Zeitdauer des Grundwehrdienstes. Diese legt § 5 Abs. 2 S. 1 WPflG nach wie vor auf sechs Monate fest. Verpflichtet sind nach §§ 1 Abs. 1, 5 Abs. 1 grundsätzlich alle Männer, die zu Beginn des Wehrdienstes zwischen 18 und 23 Jahre alt sind.
Die Dauer des verpflichtenden Grundwehrdienstes zu verlängern, wäre durch eine entsprechende Änderung von § 5 grundsätzlich möglich. Doch setzt das Verfassungsrecht – namentlich die Grundrechte der Betroffenen – Grenzen. Diese ist jedoch nicht starr definiert, Art. 12a Grundgesetz (GG), wo die Wehrpflicht verfassungsrechtlich verankert, regelt, dass nur Männer vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden können. Über die Länge dieser Verpflichtung schweigt sich das Grundgesetz aus.
Zeitdauer hängt verfassungsrechtlich vom Bedarf ab
Vielmehr gilt ein flexibler Maßstab, der sich am militärischen Bedarf orientiert, betont Verwaltungsrechtler Dr. Patrick Heinemann gegenüber LTO. "Es kommt darauf an, was für die Verteidigung erforderlich ist, um den Eingriff in die Freiheit der Wehrpflichtigen zu rechtfertigen. Daran hat sich dann auch die Länge eines Grundwehrdienstes zu orientieren."
Ob in der aktuellen Situation eine Zeitdauer von zwei Jahren angemessen erscheint, lasse sich aktuell nicht abschließend beurteilen. Das hänge auch von der Logistik der Bundeswehr ab – die zusätzlichen Wehrdienstleistenden müssten schließlich untergebracht und ausgebildet werden.
Heinemann warnt die Politik jedoch davor, das Thema Verteidigung zurückhaltend anzugehen. "Funktionierende Streitkräfte haben in unserem Land auch eine freiheitssichernde Funktion, wie wir vielleicht bald schmerzlich feststellen könnten, sollte Russland die EU angreifen." Der Rechtsanwalt betont, dass die Diskussion um eine Wehrpflicht nicht allein mit gesellschaftspolitischen Argumenten zu führen sei. Vielmehr sei der Staat verfassungsrechtlich vor allem dazu angehalten, durch hinreichende Verteidigungsanstrengungen die Freiheitsrechte seiner Bürger zu sichern.
Was fordern die anderen Parteien?
Die Union sieht ebenfalls Handlungsbedarf, will aber nicht so weit gehen wie Weidel. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt machten sich in der "Schlussrunde" für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr stark, das etwa bei der Bundeswehr, der Feuerwehr oder dem Technischen Hilfswerk abgeleistet werden kann. Die Union spricht sich für eine "aufwachsende Wehrpflicht" aus. Damit gemeint ist eine flexible und schrittweise Rückkehr zur Wehrpflicht. Johann Wadephul ist stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion für Auswärtiges und Verteidigung. Der Major der Reserve fasst die Position der CDU zusammen: "Wir sind zu dem Ergebnis gekommen: Wir wollen eine Wehrpflicht, aber nicht ganz zurück in das alte Modell."
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner lehnte die AfD-Pläne kategorisch ab und warnte vor einem "gewaltigen Freiheitseingriff bei jungen Menschen". Auch BSW-Gründerin Sahra Wagenknecht signalisierte Widerstand in der "Schlussrunde": "Wir brauchen eine Bundeswehr, die uns verteidigen kann. Dafür brauchen wir aber keine Wehrpflicht." Das BSW spricht sich auch gegen Auslandsaufenthalte und Waffenlieferungen aus. Ein "Pflichtjahr im Sinne sozialer Arbeit" befürworte sie, das sollte aber vom Wehrdienst entkoppelt sein.
Update: Einen Tag nach der ARD-ZDF-Sendung hat Alice Weidel in einem Tweet auf X nun einen 10-monatigen Grundwehrdienst sowie zusätzlich maximal ein Jahr Dienst in Reserve, der nicht am Stück abgeleistet werden muss, gefordert.
Mit Material der dpa
Hinweis: Aktualisierte Fassung vom 23.02.2025, 18:00 Uhr. In einer früheren Version hieß es fälschlicherweise, dass 2011 die GroKo die Wehrpflicht ausgesetzt hatte.
AfD-Kanzlerkandidatin zur Reaktivierung der Wehrpflicht: . In: Legal Tribune Online, 21.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56657 (abgerufen am: 21.04.2025 )
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