Schwangerschaftsabbruch angeboten: AG Gießen ver­ur­teilt Ärztin zu 6.000 Euro Geld­strafe

von Pia Lorenz

24.11.2017

Weil sie auf ihrer Webseite Schwangerschaftsabbrüche anbiete, soll eine Ärztin 6.000 Euro zahlen. Die Argumentation des AG Gießen, das sei eben der vom Gesetzgeber gewollte Kompromiss, will sie nicht akzeptieren.

Allgemeinärztin Kristina Hänel muss eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen à 150 Euro zahlen, weil sie auf ihrer Webseite unter dem Begriff "Schwangerschaftsabbruch" einen Link mit Informationen zu Ablauf, Möglichkeiten und Risiken von Schwangerschaftsabbrüchen angeboten hat.

Damit schloss das Amtsgericht (AG) Gießen sich nicht nur dem Antrag, sondern ausdrücklich auch den Ausführungen der Staatsanwaltschaft an. Eine Vorlage der Vorschrift des § 219a StGB lehnte Einzelrichterin Madalena Fouladfar ab, weil sie diese nicht für verfassungswidrig hält.

Eine solche Vorlage hatte Hänels Verteidigerin, Prof. Dr. Monika Frommel, hilfsweise beantragt für den Fall, dass die Ärztin nicht sowieso freigesprochen würde. Frommel kündigte bereits an, ihre Mandantin werde das Urteil nicht akzeptieren. Man darf annehmen, dass sie sofort in Revision gehen wird, da die dem Verfahren zugrundeliegenden Tatsachen unstreitig sind. 

Richterin: Information laut Gesetz nicht von Ärzten, sondern von Beratungsstellen

Es ist nicht das erste Mal, dass die Allgemeinmedizinerin vor Gericht steht, weil sie auf ihrer Webseite Schwangerschaftsabbrüche als Teil ihres ärztlichen Angebots auflistet. Im Jahr 2005 wurde ein Verfahren gegen Hänel nach § 170 Abs. 2 eingestellt. Man könne, so befand die Justiz damals, ihr den erforderlichen Vorsatz nicht nachweisen. Man ging von einem Verbotsirrtum aus, weil sie nicht zwingend Kenntnis von der Vorschrift des § 219a StGB gehabt haben müsse.

Das rechnete die Richterin ihr nun sogar strafschärfend an: Sie habe schließlich von der Norm gewusst und tatbestandsmäßig gehandelt. Ein Schwangerschaftsabbruch sei, so Fouladfar, keine normale medizinische Leistung, sondern ziehe nach sich, dass ungeborenes Leben beendet werde: "Niemand kann das ungeborene Leben schützen außer dem Staat." Wenn eine Frau meine, ein Kind nicht austragen zu können, sei sie keineswegs, wie von der Verteidigung dargestellt, völlig ohne Informationen gestellt. In dieser schwierigen Situation biete der Staat ihr vielmehr eine verpflichtende Beratung an, "damit sie sich doch für das Kind entscheiden kann". 

"Wenn gar nichts anderes geht" und die Frau sich für einen Abbruch entscheide, sehe der Gesetzgeber vor, dass dieser unter den Voraussetzungen der §§ 218 ff StGB durchgeführt werden könne. Die Systematik der Vorschriften sieht vor, dass es die Beratungsstellen sind, von denen die Frauen die Adressen derjenigen Ärzte erhalte, die Abbrüche vornehmen.

Richterin: Vorschrift nicht verfassungswidrig, "zeitgemäß" nicht relevant

Es sei nicht die Aufgabe des Amtsgerichts, festzustellen, ob eine Vorschrift zeitgemäß sei oder nicht, stellte Fouladfar klar. Es sei an das Gesetz gebunden. Für eine Vorlage zum Bundesverfassungsgericht sehe sie keinen Grund. Sie halte die Vorschrift nicht für verfassungswidrig, sondern für eine verfassungsgemäße Einschränkung der Informationsfreiheit schwangerer Frauen sowie der Berufsfreiheit von Ärzten, denen der Schutz ungeborenen Lebens entgegenstehe.

Damit entsprach die Richterin den Ausführungen von Staatsanwalt Schneider, der mit Blick auf das öffentliche Interesse detailliert auf die Systematik der §§ 218 ff StGB einging. Er stellte ab auf die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Jahr 1993 bestätigten Gründe des Gesetzgebers: Die Normen seien ein notwendiger Kompromiss, dienten aber primär dem Schutz des ungeborenen Lebens.

Die Vorschrift des § 219a StGB, wegen der Hänel verurteilt wurde, erfasse eindeutig auch Ärzte als Täter. Und schließlich habe die 61-Jährige als einzige Ärztin im Umkreis, die mit Schwangerschaftsabbrüchen "so offensiv werbe", auch einen nicht unerheblichen Wettbewerbsvorteil, so Schneider. Schließlich solle die Norm auch "Hochglanzwerbung für Abtreibungen", Abtreibungstourismus und darauf basierende Geschäftsmodelle verhindern. 

Verteidigerin: Nicht am Wortlaut kleben bleiben

Verteidigerin Frommel drang damit mit ihren Argumenten vor dem AG ebenso wenig durch wie mit dem Antrag auf Vorlage an das BVerfG. Die emeritierte Strafrechtlerin von der Universität Kiel warf dem Staatsanwalt in ihrem Plädoyer vor, am Wortlaut der Vorschriften zu kleben: "Wir alle lernen doch im Studium Methodenlehre!"

Frommel wies darauf hin, dass sie nicht die Beratungslösung oder die Unzulässigkeit der Werbung für Schwangerschaftsabbrüche in Frage stellen wolle. In einer Situation, "in der der 218-Kompromiss eigentlich Rechtsfrieden geschaffen hat", würden Ärzte aber über das Einfallstor des § 219 StGB weiterhin von Abtreibungsgegnern angezeigt, diffamiert und kriminalisiert. Die bloße sachliche Information über Abbrüche durch einen Arzt dürfe bei der gebotenen verfassungskonformen Auslegung von der der Vorschrift schon gar nicht erfasst werden. "Durch unzureichende Information ist noch nie eine Abtreibung verhindert worden", beendete sie ihr Plädoyer unter lauter Zustimmung der zahlreichen Frauenrechtlerinnen im Sitzungssaal. Morgens hatten hunderte bereits vor dem Gerichtsgebäude demonstriert.

Frommel will nun für Kristina Hänel Revision einlegen. Die Verteidigerin hofft, dass das Oberlandesgericht sich mehr Gedanken darüber machen wird, wie der Begriff des Anbietens von Schwangerschaftsabbrüchen de lege lata auszulegen ist. Für die Argumentation des Gerichts zeigte die streitbare emeritierte Rechtslehrerin nach der Urteilsverkündung wenig Verständnis: "Die Behauptung der Richterin, Auslegung finde nur bei unbestimmten Rechtsbegriffen statt, ist fast schon eine Satire. Und die Begründung 'Das Gesetz schränkt die Berufsfreiheit der Ärzte eben ein, Pech gehabt! hätte eigentlich schon 1953 nicht mehr fallen dürfen." 

Zitiervorschlag

Pia Lorenz, Schwangerschaftsabbruch angeboten: AG Gießen verurteilt Ärztin zu 6.000 Euro Geldstrafe . In: Legal Tribune Online, 24.11.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/25703/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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