Weil sie sich nicht um Hilflosen kümmerten: AG Essen-Bor­beck ver­ur­teilt Bank­kunden

18.09.2017

Ein Rentner liegt im Vorraum einer Bankfiliale. Kunden ignorieren ihn, später stirbt der Mann. Ihr Verhalten sei zwar nicht mitursächlich, aber von Gleichgültigkeit geprägt gewesen, so das AG, und verurteilt wegen unterlassener Hilfeleistung.

Das Amtsgericht (AG) Essen-Borbeck hat am Montag eine Frau und zwei Männer wegen unterlassener Hilfeleistung zu Geldstrafen von 90 beziehungsweise 80 Tagessätzen verurteilt (Urt. v. 18.09.2017).

Im Vorraum einer Essener Bankfiliale war Anfang Oktober 2016 ein 83-jähirger Mann zusammen gebrochen und bei dem Sturz mit dem Kopf auf den Boden aufgeschlagen. Die Videoaufnahmen zeigten, dass insgesamt vier Kunden den am Boden liegenden Rentner wahrnahmen, aber einen Bogen um ihn machten, um ihre Bankgeschäfte zu erledigen. Erst der fünfte setzte einen Notruf ab. Der Mann verstarb letztlich eine Woche später im Krankenhaus an einem Schädel-Hirn-Trauma. Der Fall löste eine Debatte über die Verrohung der Gesellschaft aus.

Angeklagte: "Ich gehe einfach nur rein und gehe wieder"

In der Verhandlung waren alle drei Angeklagten geständig und bedauerten ihr Verhalten. Allesamt geben sie an, den 83-Jährigen für einen schlafenden Obdachlosen gehalten zu haben. Einer der Angeklagten, ein 55 Jahre alter Servicetechniker aus Oberhausen, gab an, wegen Erkrankungen seiner Eltern "neben der Spur" gewesen zu sein. Der 61 Jahre alte angeklagte Maschinist aus Essen schilderte, er habe auch schon mal jemanden angesprochen und sei dann beschimpft worden.

Die 39 Jahre alte Beschuldigte aus Essen, die zwei Trinkhallen betreibt, sagte, dass sie schon öfter von Obdachlosen belästigt worden sei. Ihr Verhalten in der Bank beschreibt sie so: "Ich gehe einfach nur rein, mache meine Erledigungen und gehe wieder."

Staatsanwältin: Ein Zeichen setzen

Die zuerst am Unfallort eintreffenden Polizeibeamten konnten das Verhalten der Angeklagten nicht nachvollziehen. Sie gaben in der Vernehmung an, dass es für sie sofort klar war, dass es sich nicht um einen Obdachlosen handele, sondern um einen "gepflegten älteren Herren, der Hilfe braucht".

Ob das Leben des Rentners bei einem früheren Eingreifen hätte gerettet werden können, ließ sich im Nachhinein nicht sicher feststellen. Ein Rechtsmediziner sagte in dem Prozess als Gutachter, dass ein schnelleres Eingreifen eines Notarztes nicht zwingend zum Überleben des Mannes beigetragen hätte.

In ihrem Plädoyer forderte die Staatsanwältin hohe Geldstrafe. Diese müssten empfindlich sein, "um ein deutliches Zeichen zu setzen, dass wir uns nicht in Richtung einer wegsehenden Gesellschaft bewegen". Sie forderte deswegen für die Angeklagten Strafen zwischen 150 und 170 Tagessätzen. Die Verteidiger plädierten für Freispruch.

Richter: Generalpräventiv gegen eine "Scheißegal-Haltung"

Richter Karl-Peter Wittenberg verurteilte die beiden Angeklagten zu einer Geldstrafe von je 80 Tagessätzen. Insgesamt müssen sie 2.800 Euro beziehungsweise 2.400 Euro bezahlen. Für die weibliche Angeklagte sieht das Urteil eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 40 Euro vor. Der Essener Richter attestierte ihnen eine "Scheißegal-Haltung". Der Mann sei allen drei Bankkunden gleichgültig gewesen. Sie hätten billigend in Kauf genommen, dass da jemand liege, der Hilfe benötige. "Keiner wollte Hilfe leisten", begründete er seine Entscheidung.

Der Direktor des AG Essen-Borbeck, Hermann Heimeshoff, ordnete den Strafrahmen gegenüber LTO als "im unteren Bereich" ein. Natürlich habe das Urteil auch generalpräventiven Charakter. Zugunsten der Anklagten sei aber berücksichtigt worden, dass "keiner vorbestraft ist, das Verhalten letztlich nicht mitursächlich für den Tod war und alle schon durch das öffentlichkeitswirksame Verfahren belastet sind", sagte Heimeshoff.

Zwei Verteidiger kündigten noch im Gerichtssaal an, in Berufung gehen zu wollen. Das Verfahren gegen einen vierten Angeklagten war im Vorfeld wegen dessen Gesundheitszustandes abgetrennt worden.

mgö/LTO-Redaktion

Mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

Weil sie sich nicht um Hilflosen kümmerten: . In: Legal Tribune Online, 18.09.2017 , https://www.lto.de/persistent/a_id/24577 (abgerufen am: 03.10.2024 )

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