Kann mit Robert Sesselmann ein Mitglied einer in Thüringen als rechtsextrem eingestuften Partei ein kommunales Spitzenamt übernehmen? Nun gibt es eine Entscheidung - die Rechtslage bleibt aber unsicher.
Nach einer Überprüfung seiner Verfassungstreue kann der AfD-Politiker Robert Sesselmann Landrat im südthüringischen Landkreis Sonneberg bleiben, wie das zuständige Landesverwaltungsamt am Montagabend gegenüber LTO bestätigte. Bei Sesselmann würden "derzeit keine konkreten Umstände gesehen, die von hinreichendem Gewicht und objektiv geeignet sind, eine ernsthafte Besorgnis an dessen künftiger Erfüllung der Verfassungstreuepflicht auszulösen", teilte das Amt am Montag mit.
Sesselmann, der mittlerweile seine Arbeit im Landratsamt aufgenommen hat, war am 25. Juni zum ersten AfD-Landrat Deutschlands gewählt worden. Unmittelbar nach der Wahl kam Kritik an Sesselmann auf. Denn "wer nicht die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Landesverfassung eintritt", kann nicht zum Landrat gewählt werden, wie es nach § 24 (und § 28) des Thüringer Kommunalwahlgesetzes geregelt ist.
Die Überprüfung war von Amtswegen gestartet worden. Hintergrund ist, dass die Thüringer AfD vom Landesverfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft und beobachtet wird. "Dies impliziert, dass (einzelne) Mitglieder des AfD-Landesverbands Thüringen rechtsextremistische Bestrebungen verfolgen", teilte das Landesverwaltungsamt mit. Demnach sei im konkreten Einzelfall zu überprüfen gewesen, ob Sesselmann "zu dieser Gruppe der AfD-Mitglieder gehört". "Extremisten können in unserer Demokratie nicht rechtswirksam für ein Wahlbeamtenamt kandidieren, da ihnen die Grundeigenschaft der Demokratie-Eignung fehlt", erklärte das Landesverwaltungsamt sein Vorgehen.
Schwachstelle im System: Überforderung des Wahlausschusses bei Prüfung vor der Wahl?
Grundlage für die Einzelfallprüfung ist das Thüringer Kommunalwahlgesetz. In der öffentlichen Diskussion stand zuletzt auch die Frage im Raum, ob eine tiefere Überprüfung Sesselmanns nicht schon vor der Wahl hätte stattfinden müssen. Denn eigentlich ist es laut Gesetz bereits Sache des Wahlausschusses und des Wahlleiters, die Wählbarkeit der Kandidaten abzuklären. Nur ist rechtlich bislang unklar, wie weit der Umfang einer solchen Überprüfung reicht. Sind damit nur Altersbeschränkungen, Aufenthalt, Staatsangehörigkeit gemeint? § 22 der Thüringer Kommunalwahlordnung sieht in Abs. 2 vor: "Bewerber, die den Bestimmungen des Thüringer Kommunalwahlgesetzes und dieser Verordnung nicht entsprechen, werden im Wahlvorschlag gestrichen." Das klingt nach einem eher umfassenden Prüfungsprogramm für das Gremium, macht doch das Kommunalwahlgesetz gerade auch die Verfassungstreue zur Voraussetzung für die Wahl zum Landrat.
Gerichte hatten in der Vergangenheit auch ein durchaus umfangreiches Prüfprogramm verlangt. Das Verwaltungsgericht Neustadt erklärte 2011 etwa, geprüft werden könnten "eigene Veröffentlichungen (z.B. Flugblätter, Zeitungsanzeigen oder Abhandlungen mit verfassungsfeindlichen Aussagen oder einer verfassungsfeindlichen Zielrichtung), Teilnahme an Demonstrationen oder sonstigen Veranstaltungen mit verfassungsfeindlicher Tendenz, Mitgliedschaft oder sonstige Tätigkeit in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung oder Bestrebung, Mitgliedschaft in Parteien mit verfassungsfeindlicher Zielrichtung, gleichgültig, ob die Partei für verfassungswidrig erklärt worden ist oder nicht."
Das dürfte von einem Wahlausschuss mit Ehrenamtlichen und ohne Team von Verwaltungsjuristen zu viel verlangt sein. Es klingt eher nach der Aufgabenbeschreibung einer Verfassungsschutzbehörde als der eines Wahlausschusses. Deshalb darf ein Wahlleiter beim Verfassungsschutz auch "öffentlich verwertbare Erkenntnisse" einholen, wenn sich für ihn Hinweise oder Verdachtsmomente ergeben. Das ist nach Informationen von LTO im Fall Sesselmann offenbar nicht passiert. Damit offenbart sich neben der Frage nach dem Umfang des Prüfprogramms eine weitere Schwachstelle: Die knapp bemessene Zeit, in der der kleine Ausschuss entscheiden muss. Im ungünstigsten Fall bleiben dem Gremium aufgrund gesetzlicher Fristen vierzehn Tage für seine Prüfung. Muss dieser Zeitraum möglicherweise für die Zukunft erweitert werden?
Landesverwaltungsamt: "Wahlvorschriften eingehalten"
Das Landesverwaltungsamt stellte mit Blick auf das Vorgehen des Wahlausschusses nur fest, "dass die Wahlvorschriften bezüglich der Feststellung der Wählbarkeit eingehalten wurden". Eine weitere Prüfung sei dazu nicht nötig. Damit fallen die Aussagen zur möglichen Schwachstelle im System sehr knapp aus. So bleiben die berechtigten Erwartungen an die rechzeitige Prüfarbeit des Wahlausschuss vor der Wahl weiter unsicher. Dabei kommen absehbar die nächsten Fälle von aussichtsreichen AfD-Kommunalkandidaten auf die Verwaltung zu.
Die AfD sieht sich nach dem Wahlerfolg in Sonneberg, einer gewonnenen Bürgermeisterwahl in Sachsen-Anhalt und Zuwächsen bei Umfragewerten auf Landes- wie Bundesebene im Aufwind. In Thüringen kam sie zuletzt bei einer Infratest-dimap-Umfrage im Auftrag des MDR auf 34 Prozent - und damit auf Platz eins. Demnach kamen die Parteien der aktuellen Landes-Koalition - Linke, SPD und Grüne - zusammen auf fast die gleiche Prozentzahl wie die AfD allein. In Thüringen soll kommendes Jahr regulär ein neuer Landtag gewählt werden.
Mit Material der dpa
Nach Wahl in Sonneberg: . In: Legal Tribune Online, 10.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52203 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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