Ein Prozess in Koblenz stellt juristisches Neuland dar: Der eine Angeklagte soll für die Folter Tausender Menschen verantwortlich gewesen sein, der andere Dutzende Demonstranten ins Gefängnis gebracht haben.
Erstmals stehen vom kommenden Donnerstag an zwei Syrer wegen mutmaßlicher Gräueltaten in Gefängnissen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad vor einem deutschen Gericht. Die Bundesanwaltschaft spricht mit Blick auf das Oberlandesgericht Koblenz (OLG) sogar vom "weltweit ersten Strafverfahren gegen Mitglieder des Assad-Regimes wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit" (Az.: 1 StE 9/19).
Die zwei angeklagten Ex-Geheimdienstmitarbeiter, Anwar R. (57) und Eyad A. (43), waren im Februar 2019 in Berlin und Rheinland-Pfalz festgenommen worden. Sie sitzen in Untersuchungshaft. Die Anklage wirft R. Verbrechen gegen die Menschlichkeit 2011 und 2012 vor. Sie legt ihm 58-fachen Mord, Vergewaltigung und schwere sexuelle Nötigung in Syrien zur Last. A. ist wegen Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit 2011 angeklagt. Michal Böcker, Anwalt von R., und Hannes Linke, Verteidiger von A., wollten sich beide vor Prozessbeginn nicht öffentlich zu den Vorwürfen äußern.
Über 4.000 Menschen brutal gefoltert
R. soll in einem Gefängnis des Allgemeinen Geheimdienstes in der syrischen Hauptstadt Damaskus in leitender Funktion für die brutale Folter von mindestens 4.000 Menschen verantwortlich gewesen sein. Mindestens 58 Gefangene seien an den Folgen gestorben, so die Anklage. Dem in Rheinland-Pfalz festgenommenen A. wird vorgeworfen, mindestens 30 Demonstranten in das Foltergefängnis gebracht zu haben.
Die Anklage spricht von brutalen physischen und psychischen Misshandlungen. Die Opfer seien mit Schlägen, Tritten und Elektroschocks traktiert worden. Ihnen sei auch die Misshandlung naher Angehöriger angedroht worden. Die Folter sollte der Bundesanwaltschaft zufolge Geständnisse und Informationen über die Oppositionsbewegung in Syrien erzwingen.
Die Haftbedingungen seien unmenschlich und erniedrigend gewesen - ohne medizinische Versorgung und Körperpflege. Es habe nicht genug Essen gegeben, oft sei es auch ungenießbar gewesen. Die Zellen seien teils so überfüllt gewesen, dass sich die Gefangenen weder hinsetzen noch hinlegen konnten. Häftlinge hätten im Stehen schlafen müssen.
R. habe als Leiter der Ermittlungseinheit die Gefängniswärter zum Dienst eingeteilt und die Folterungen überwacht. A. habe als Mitarbeiter einer Unterabteilung mit Kollegen die Straßen nach fliehenden Demonstranten abgesucht, so die Anklage.
Zahlreiche Zeugen und Nebenkläger
Laut dem OLG Koblenz sind vorerst 24 Verhandlungstermine bis zum 13. August terminiert. Wegen des erwarteten Andrangs sei schon vor der Coronakrise ein Ausweichen in den größten Saal des Landgerichts Koblenz vorgesehen gewesen. Angesichts des hochansteckenden Coronavirus verringere sich nun im dortigen Saal 128 die Zahl der Sitzplätze für Zuschauer und Journalisten von mindestens 92 auf 29.
Bei Prozessbeginn an diesem Donnerstag ist dem OLG zufolge bereits auch der Einstieg in die Beweisaufnahme geplant. Dafür sei ein deutscher Polizist als erster von zahlreichen Zeugen geladen. OLG-Sprecherin Petra Zimmermann sagte zudem: "Es gibt neun Nebenkläger aus dem Kreis mutmaßlicher Geschädigter."
Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) unterstützt nach eigenen Angaben Folterüberlebende in dem Verfahren. Der Verein spricht ebenfalls von neun Nebenklägern unter den 16 betreuten Frauen und Männern aus Syrien. Die anderen sieben kämen als Zeugen in Betracht.
dpa/ast/LTO-Redaktion
OLG Koblenz zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit: . In: Legal Tribune Online, 20.04.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/41348 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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