Speicherung von IP-Adressen: EuGH erlaubt Vor­rats­da­ten­spei­che­rung bei allen Straf­taten

02.05.2024

In seinem jüngsten Urteil rückt der EuGH von seiner bisherigen restriktiven Haltung zur Vorratsdatenspeicherung ab. Die vorbeugende Speicherung von IP-Adressen ist nunmehr zur Verfolgung jeglicher Art von Straftaten gestattet.

Bisher war die anlasslose Vorratsdatenspeicherung nur dann möglich, wenn diese der Bekämpfung schwerer Kriminalität diente, wie beispielsweise der Verbreitung von Kinderpornografie. Diese Einschränkung lockerte der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil von Dienstag. IP-Adressen können von nun an zur Bekämpfung jeglicher Kriminalität gespeichert werden (Urt. v. 30.04.2024, Az. C-470/21).

Im konkreten Fall ging es um die Bekämpfung von illegalem Filesharing von Musik- und Filmdateien. Die französische Behörde "Hadopi", welche gezielt gegen Urheberrechtsverletzungen im Internet vorgeht, griff auf die Daten der französischen Vorratsdatenspeicherung zu, um illegale Filesharer identifizieren zu können.

Drei Strikes, dann folgt die Strafverfolgung

Bei den ersten beiden Verstößen erhielten illegale Filesharer durch die Hadopi eine Warnung. Damit die betroffenen Personen aber verwarnt werden konnten, musste die Hadopi diese erst ausfindig machen. Zu diesem Zweck ermächtigte die französische Regierung die Hadopi im Jahr 2010 per Dekret, von Telekommunikationsanbietern die Identitätsdaten mutmaßlicher Straftäter über deren IP-Adressen abzufragen.

Kam es darüber hinaus zu weiteren Verstößen, durfte die Hadopi die zuständige Justizbehörde einschalten, um eine strafrechtliche Verfolgung einzuleiten. Bereits 2012 geriet die Hadopi mit diesem sogenannten "Three-Strikes-Modell" in Kritik.

Die vier Bürgerrechtsorganisationen La Quadrature du Net (LQDN), Fédération des fournisseurs d'accès à Internet associatifs, Franciliens.net und das French Data Network wendeten sich gerichtlich gegen ebenjenes Dekret. Ob diese Art der Vorratsdatenspeicherung in Ordnung sei, fragte der französische Staatsrat daraufhin den EuGH.

Beschränkung der Datenspeicherung nicht gerechtfertigt

Der EuGH stellt nunmehr klar, dass die Beschränkung der Datenspeicherung auf ausschließlich schwere Kriminalität nicht gerechtfertigt sei. Mit der IP-Adresse könne kein Persönlichkeitsprofil gewonnen werden, solange die IP-Adresse nicht mit anderen Daten kombiniert werde, so das Gericht.

Damit stelle die Speicherung laut Ansicht des Senats auch keinen schweren Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen dar. Grenzenlose Möglichkeiten biete das Ganze jedoch nicht: Der EuGH stellte klar, dass die Zwangsspeicherung von IP-Adressen durch Internetdienstanbieter auf das absolut Notwendige zeitlich begrenzt werden müsse. Eine konkrete Zeitspanne in Wochen oder Monaten nannten die Richter nicht. Die Hadopi muss an ihrem Vorgehen demnach wahrscheinlich nicht ändern.

Was bedeutet das für Deutschland?

Auch wenn es im konkreten Fall um Frankreich geht, könnte er Einfluss auf die laufenden Diskussionen im Bundesgebiet haben. Nancy Faeser (SPD), die sich bisher für die Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen hatte, sieht sich durch das Urteil bestärkt. "Der Europäische Gerichtshof hat durch das Urteil des Plenums aller 27 Richterinnen und Richter jetzt sehr deutlich entschieden, dass eine Pflicht zur Speicherung von IP-Adressen zur Verbrechensbekämpfung nicht nur ausdrücklich zulässig ist, sondern auch zwingend erforderlich", so die Bundesinnenministerin.

Erst vergangenen Monat einigte sich die Ampel-Koalition auf das Quick-Freeze-Verfahren statt der Vorratsdatenspeicherung. Dem ging ein langer Streit zwischen FDP und SPD voraus. Das Vorhaben war im Koalitionsvertrag verabredet, es folgte jedoch nichts – nur ein Stillstand, der sich zog. Dabei legte Marco Buschmann (FDP) den Entwurf zum Quick-Freeze Verfahren bereits Ende 2022 vor.

Das Quick-Freeze-Verfahren funktioniert anders als die Vorratsdatenspeicherung anlassbezogen. Soweit der Verdacht schwerwiegender Straftaten besteht, kann die Sicherung von IP-Adressen grundsätzlich nur nach einem Richterbeschluss angeordnet werden. Diese IP-Adressen werden dann "eingefroren". Von diesem Zeitpunkt an haben Strafverfolgungsbehörden maximal einen Monat Zeit, um einen weiteren Richterbeschluss zu erwirken, der es ihnen erlaubt, die eingefrorenen Daten zur Auswertung zu erhalten.

Trotz der Einigung der Ampel-Koalition hält Faeser an ihrer Forderung nach einer anlasslosen Speicherung von IP-Adressen fest. An der Rechtslage ändert dies jedoch nichts: Ohne eine neue gesetzliche Regelung bleibt die anlasslose Vorratsdatenspeicherung in Deutschland weiterhin untersagt.

xp/LTO-Redaktion mit Materialien der dpa

Zitiervorschlag

Speicherung von IP-Adressen: . In: Legal Tribune Online, 02.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54474 (abgerufen am: 06.12.2024 )

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