Ohne Federn und halbtot im Bio-Hühnerstall: Ein Tierschützer drang heimlich in Ställe ein und filmte dort grausame Zustände. Der MDR strahlte die Bilder aus, wogegen sich die Eigentümer nun vor dem BGH wehrten. Dieser gab dem Sender Recht.
Ein Tierschützer drang heimlich in Ställe ein und fertigte dort Filmaufnahmen über die Haltungsbedingungen an. Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) strahlte diese anschließend in einer Sendung aus. Das kann zulässig sein, befand nun der Bundesgerichtshof (BGH). Jedenfalls dann, wenn erhebliche Missstände aufgedeckt werden (Urt. v. 10.04.2018, Az. VI ZR 396/16).
Ein Tierschutzaktivist war im Mai 2012 zweimal nachts in Hühnerställe in Mecklenburg-Vorpommern eingedrungen und hatte dort heimlich gefilmt. Später wurde das Material unter anderem im Rahmen einer Reportage zu billiger Bio-Ware ausgestrahlt im MDR ausgestrahlt. Die Filmaufnahmen zeigten die Tiere zum Teil federlos oder sogar tot am Boden liegend.
Die Aufnahmen basierten zwar auf einer Verletzung des Hausrechts und damit einem Rechtsbruch, führte der Vorsitzende Richter Gregor Galke aus. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit sei in diesem Fall aber höher zu bewerten als die Rechte des Erzeugerbetriebs. "Es ging um Massenproduktion bei Bioerzeugnissen und damit um ein hoch aktuelles Thema", so Galke weiter.
Qualität der Berichterstattung wichtig für Abwägung
Ins Gewicht sei auch gefallen, dass der MDR sich an dem Hausfriedensbruch nicht beteiligt habe, so der BGH in seiner Pressemitteilung. Zudem seien durch die Aufnahmen keine Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse des Unternehmens offenbart worden. Das Filmmaterial dokumentiere vielmehr die Art der Hühnerhaltung in den betroffenen Betrieben. An einer näheren Information über diese Umstände habe die Öffentlichkeit grundsätzlich ein berechtigtes Interesse.
Auch die Qualität der Berichterstattung spielte eine Rolle bei der Abwägung: Die Filmaufnahmen transportierten keine unwahren Tatsachenbehauptungen, sondern informierten den Zuschauer zutreffend, so der BGH. Die ausgestrahlten TV-Beiträge befassten sich mit den Auswirkungen, die die Aufnahme von Bio-Erzeugnissen in das Sortiment der Supermärkte und Discounter zur Folge hat, und warfen auch die Frage auf, wie preisgünstig Bio-Erzeugnisse sein können.
Es entspreche, so der BGH, der Aufgabe der Presse als "Wachhund der Öffentlichkeit", sich mit diesen Gesichtspunkten zu befassen und die Öffentlichkeit zu informieren. Die Funktion der Presse sei nicht auf die Aufdeckung von Straftaten oder Rechtsbrüchen beschränkt.
In den beiden Vorinstanzen hatten die Gerichte dem Landwirtschaftsbetrieb Recht gegeben. Das Landgericht Hamburg (LG) hatte den MDR aufgrund dessen verurteilt, die Verbreitung von Bildaufnahmen zu unterlassen. Das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) hatte zuletzt argumentiert, dass die Aufnahmen ja keine strafbaren Missstände gezeigt hätten. Zudem hätten sie nur entstehen können, da der Tierschutzaktivist unbefugt in die Ställe eingedrungen und damit Hausfriedensbruch begangen habe.
MDR-Programmdirektor: "Ein guter Tag für die Pressefreiheit"
Der Sender begrüßte die Entscheidung des Bundesgerichtshofs. "Das ist ein guter Tag für die Pressefreiheit und eine Stärkung der investigativen Recherche", sagte MDR-Programmdirektor Wolf-Dieter Jacobi. Journalisten benötigten dringend Rechtssicherheit, wenn sie über offenkundige Missstände berichteten.
Die BGH-Entscheidung kommt zu einer Zeit, in der die Gerichte sich verstärkt mit der Frage beschäftigen müssen, wie rechtlich mit Tierschützern umgegangen werden soll, die in Höfe eindringen, um dort Missstände aufzudecken. Zuletzt hatte das OLG Naumburg in einem Strafverfahren den Tierschutz als notstandsfähig angesehen und Aktivisten, die in einen Stall eingedrungen waren, freigesprochen.
Der aktuelle Koalitionsvertrag enthält dagegen nur eine sehr vage Absichtserklärung: "Wir wollen Einbrüche in Tierställe als Straftatbestand effektiv ahnden". Ob und wie das umgesetzt werden soll, scheint allerdings noch völlig unklar.
"Das sollte bald geschehen, denn das heutige Urteil des BGH dürfte Stalleinbrüche wieder befeuern", befürchtet Tanja Eisenblätter, Anwältin bei der Wirtschaftskanzlei Hogan Lovells, die Unternehmen der Ernährungsindustrie vertritt, gegenüber LTO. "Der BGH hat mit seiner Entscheidung die Möglichkeit vertan, Stalleinbrüche noch deutlicher zu verurteilen."
Anwältin der Ernährungsindustrie: "Urteil dürfte Stalleinbrüche wieder befeuern"
Die Tierschutzorganisation Animal Rights Watch (ARIWA), die das Filmmaterial dem MDR zur Verfügung gestellt hatte, teilte mit: "Das Urteil zugunsten der Veröffentlichung ist ein wichtiges Signal für einen ehrlichen öffentlichen Diskurs über die Zustände in der Nutztierindustrie."
Das Besondere an dem Urteil aus Sicht der Aktivisten: "Die Zustände waren katastrophal – stellten aber keine Straftatbestände dar", so ARIWA. "Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe urteilte heute, dass die Bilder ausgestrahlt werden dürfen, obwohl sie weitestgehend legale Zustände zeigen."
Dennoch zeigten die Aufnahmen, dass die Lebensrealität der Legehennen nichts mit vermeintlich glücklichen Hühnern zu tun habe, wie man sie in der Werbung sehe.
kus/LTO-Redaktion
Mit Material von dpa
BGH zu Dokumentation über Tierhaltung: . In: Legal Tribune Online, 10.04.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27975 (abgerufen am: 11.12.2024 )
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