Fünf Axtschläge von hinten auf den Kopf des Ex-Trainers: Ein Mann hat seinen damaligen Jugendtrainer getötet, weil der ihn missbraucht hatte. Die Verurteilung "nur" wegen Totschlags muss das LG jetzt aber noch einmal überprüfen, so der BGH.
Nach Jahren der Unsicherheit stellte er seinen Peiniger zur Rede – und tötete ihn. Ein Mann, der als Jugendlicher Opfer sexuellen Missbrauchs durch seinen Fußballtrainer wurde, erschlug diesen mit einer Axt. Das Landgericht (LG) Zwickau sah eine Tat im Affekt und verurteilte ihn deshalb wegen Totschlags (§ 212 Strafgesetzbuch (StGB)), obwohl der Mann objektiv heimtückisch gehandelt habe.
Nun musste der Bundesgerichtshof (BGH) das Urteil überprüfen. Er befand, dass es durchaus Hinweise auf eine geplante und womöglich doch heimtückische Begehung der Tat gegeben habe. Weil das LG dies im Rahmen der Beweiswürdigung aber nicht ausreichend beachtet habe, hat der BGH das Urteil aufgehoben und den Fall zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen (Urt. v. 19.12.2024, Az. 5 StR 588/24).
Zwischen Traum und Realität
Der Fall begann im Jahr 1999, als der spätere Angeklagte als damals erst 15-Jähriger Opfer sexuellen Missbrauchs durch seinen Fußballtrainer wurde. Mit der Zeit konnte sich das Missbrauchsopfer aber nicht mehr an diese traumatischen Erlebnisse erinnern, zumindest nicht bewusst. Nach einem Autounfall 2011 entwickelte der Mann eine dissoziative Amnesie, die seine Erinnerungen an den Missbrauch nahezu auslöschte. Doch tief im Unterbewusstsein blieb die Erinnerung, die er immer wieder in seinen Träumen verarbeitete.
Getrieben von dem Drang, Gewissheit zu erlangen, suchte der Angeklagte monatelang im Internet nach Informationen über Kindesmissbrauch, aber auch nach Informationen über Selbstjustiz, K.O.-Tropfen und tödlichem Gift. Im Rahmen seiner Recherchen und auch durch Äußerungen seines Umfeldes stieß er auf den Namen seines ehemaligen Trainers, der zu der Zeit bereits eine Haftstrafe wegen eines ähnlichen Delikts verbüßt hatte. Nach und nach fügte sich der Tathergang im Kopf des Mannes wieder zusammen. Letztlich glaubte er, seinen Peiniger gefunden zu haben, und machte sich entschlossen auf den Weg, ihn und sich selbst mit der Vergangenheit zu konfrontieren.
Fünf Axtschläge auf den Kopf des damaligen Peinigers
Das erste Treffen des Mannes mit seinem früheren Trainer, unter einem Vorwand arrangiert, verlief noch ruhig. Doch beim zweiten kam es zur Konfrontation: Der Trainer gestand den Missbrauch und offenbarte dabei, dass er weiterhin als Jugendtrainer tätig sei. Der Angeklagte floh aus der Wohnung, in der das Treffen stattfand, geriet in Panik und griff, wie er selbst vor Gericht angab, im Affekt nach einer zufällig entdeckten Axt. Fünf Schläge auf den Kopf des Trainers, der ihm mit dem Rücken zugewandt saß, beendeten dessen Leben.
Vor Gericht gab der Angeklagte an, dass er von der Erkenntnis übermannt worden sei, dass ausgerechnet der Mann, der ihn missbraucht hatte, noch immer mit Kindern und Jugendlichen zusammen arbeitete.
Das LG Zwickau beurteilte die Tat letztendlich als Totschlag i. S. d. §212 StGB und stellte darüber hinaus eine erhebliche verminderte Schuldfähigkeit fest. Es war der Meinung, dass der Angeklagte aufgrund einer Bewusstseinsstörung im Affekt gehandelt habe, ausgelöst durch das Eingeständnis des Täters und die daraufhin erlebte Panik. Aufgrund dessen könne das Gericht zudem weder das Mordmerkmal der Heimtücke noch das der niedrigen Beweggründe bejahen. Das Urteil: viereinhalb Jahre Freiheitsstrafe.
BGH: Indizien müssen in der Gesamtschau gewürdigt werden
Der BGH sah in der bisherigen Bewertung des Falls allerdings erhebliche Defizite. Zwar habe das Landgericht alle einzelnen Indizien ausreichend betrachtet, jedoch nur isoliert und nicht in ihrem Zusammenspiel miteinander. Wie auch sonst bei Indizien werde eine relevante Beweisbedeutung erst dann erlangt, wenn diese zueinander in Beziehung gesetzt werden, so der Gerichtshof. Das müsse nicht immer der Fall sein, allerdings habe sich die Notwendigkeit der Gesamtschau hier nach Ansicht der Karlsruher Richter geradezu aufgedrängt.
Zur Begründung führte der BGH an, dass sich der Mann gegenüber einer Zeugin im Frühjahr 2023 geäußert habe, er sei sich sicher, wer ihn missbraucht habe. Wenige Wochen später habe er seiner Freundin geschrieben, der Kampf gegen sexuellen Kindesmissbrauch bedeute ihm alles und durch seine Arbeit könne er viele Täter daran hindern, dass sie dies noch mehr Kindern antun. Darauf seien Recherchen erfolgt zu Sexualstraftätern, zu Mord- und Betäubungsmitteln, zu Selbstjustiz, zur Strafzumessung bei Mord, zum Leben in der Sicherungsverwahrung, zu Anwälten und zu der Polizeistation, wo er sich schließlich gestellt hat, so der BGH.
Die Einladung des später Getöteten unter einem Vorwand und die Tötung mit einer unmittelbar verfügbaren Axt nur wenige Tage nach der letzten Internetrecherche: Alle diese Indizien hätten in ihrer Gesamtheit und nicht nur isoliert betrachtet werden dürfen, so der BGH. Das habe das LG nicht ausreichend gewürdigt.
Heimtücke zu schnell abgelehnt?
Ein weiterer Kritikpunkt des BGH: Widersprüche in der Verwertung der Sachverständigengutachten und die wohl vorschnelle Ablehnung des Mordmerkmals der Heimtücke. Heimtückisch im Sinne des §211 StGB handelt, wer die zum Zeitpunkt seines Angriffs beim Opfer bestehende Arg- und Wehrlosigkeit bewusst zur Begehung der Tat ausnutzt. Die Ausführungen des Landgerichts zum Ausnutzungsbewusstsein, dem subjektiven Tatbestand der Heimtücke, “werden dem rechtlich gebotenen Maßstab nicht gerecht", so der BGH.
So sei nicht entscheidend, ob es dem Täter gerade darauf ankommt, ein arg- und wehrloses Opfer zu töten (gerade darauf hatte das LG maßgeblich abgestellt), sondern nur, ob er die hierfür relevanten Umstände wahrnimmt und in dem Bewusstsein handelt, einen infolge der Ahnungslosigkeit gegenüber dem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen.
Sowohl der Schuldspruch als auch die Feststellungen des Urteils wurden aufgehoben, sodass das LG Zwickau den Fall unter Maßgabe der BGH-Vorgaben erneut bewerten muss.
xp/LTO-Redaktion
BGH zur Heimtücke und Beweiswürdigung: . In: Legal Tribune Online, 23.01.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56411 (abgerufen am: 12.02.2025 )
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