5. Strafsenat des BGH: Keine automatische Entlassung von Sicherungsverwahrten

eso/LTO-Redaktion

11.11.2010

Nach einem Beschluss des BGH sind konventionswidrig untergebrachte Sicherheitsverwahrte auch nach der grundlegenden Entscheidung des EGMR nicht automatisch zu entlassen. Allerdings dürfe die Sicherungsverwahrung nur weiter vollstreckt werden, wenn aus konkreten Umständen eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen abzuleiten ist.

In einem heute bekanntgegebenen Beschluss setzt sich der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) mit der Frage auseinander, ob Verurteilte, die wegen vor dem 31. Januar 1998 begangener Taten seit mehr als zehn Jahren erstmals in der Sicherungsverwahrung untergebracht sind, als Folge des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) vom 17. Dezember 2009 ohne weitere Sachprüfung zu entlassen sind (BGH, Beschl. v. 09.11.2010, Az. 5 StR 394/10).

Der 5. Strafsenat verneint diese Frage, fragt jedoch beim 4. Strafsenat an, ob dieser an seiner entgegenstehenden Rechtsprechung festhalten will. Bei den anderen Strafsenaten des BGH fragt der 4. Senat wegen der grundsätzlichen Bedeutung an, ob sie seiner Rechtsauffassung zustimmen. Sollte die Anfrage keine Einigkeit unter den Strafsenaten ergeben, ist die Sache dem Großen Senat für Strafsachen des BGH zur Entscheidung vorzulegen.

Der 4. Strafsenat des BGH hatte angesichts der Rechtsprechung des EGMR für derartige Altfälle bisher im Wege der konventionskonformen Gesetzesauslegung des § 67d Abs.3 S. 1 StGB die zur Tatzeit bestehende Höchstfrist zur Anwendung gebracht.

Der 5. Strafsenat des BGH in Leipzig kam nun jedoch zu dem Ergebnis, dass für Altfälle die Anwendung von Tatzeitrecht dem in § 67d Abs. 3 S. 1 StGB normierten Rückwirkungsgedanken und damit dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers widerspricht. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts könne diese Vorschrift aufgrund des ausdrücklichen gesetzgeberischen Willens nicht mehr konventionskonform ausgelegt werden.

Allerdings sei § 67d Abs. 3 Satz 1 StGB bei rückwirkender Anwendung im Lichte der Entscheidung des EGMR einschränkend auszulegen. Die erstmalige Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach zehnjährigem Vollzug dürfe nur noch dann weiter vollstreckt werden, wenn aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Untergebrachten eine hochgradige Gefahr schwerster Gewalt- oder Sexualverbrechen abzuleiten ist. Diesen Grundsatz haben die über die Entlassung von Sicherungsverwahrten entscheidenden Gerichte unabhängig vom Ergebnis der Anfrage des Senats bei den anderen Strafsenaten ab sofort zwingend zu beachten.

 

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Zitiervorschlag

5. Strafsenat des BGH: . In: Legal Tribune Online, 11.11.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/1918 (abgerufen am: 04.12.2024 )

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